Was die BILD dir über deine Weihnachts-Schokolade verschweigt

Es hat mittlerweile fast schon Tradition: Alle Jahre wieder in der Vorweihnachtszeit brechen früher oder später politisch aufgeheizte Diskussionen über Figuren aus Schokolade los. Panisch verbreiten dann AfD, BILD und Co. die Falschbehauptung, der Weihnachtsmann müsse jetzt „Zipfelmann“ oder „Klapper Klaus“ heißen und der Adventskalender „Geschenke-Lager„. Das sind alles echte Beispiele, wir denken uns das nicht aus. Doch dieses Jahr gibt es einen Aufreger, der zumindest etwas mehr mit der Realität zu tun hat. Denn dank Klimawandel werden, wie Wissenschaft, Aktivist:innen und viele seriöse Medien seit Jahren warnen, immer öfter Ernten schlecht ausfallen. Die Kakao-Ernte ist da keine Ausnahme. Dieses Jahr macht sich das zum ersten Mal deutlich an den Preisen bemerkbar. Doch in der BILD (aber auch anderen Medien) liest man von den Klima-Hintergründen nichts. Kann nicht sein, was nicht sein darf?

Schokolade-Berichterstattung verschweigt Ursache für Preisanstieg?

So knallen jetzt die Schoko-Preise rauf“ – das titelte die BILD am 2. Dezember. Und das Desinformationsblatt lag hier faktisch sogar mal richtig. Tatsächlich ist der Preis für Kakao enorm gestiegen. Lag der ICCO Daily Price vor einem Jahr noch bei rund 4.300 $ für eine Tonne Kakaobohnen, waren es Anfang Dezember über 9.000 $, mittlerweile (Stand: 19.12.) sogar über 11.400 $. Dieser enorme Anstieg macht sich natürlich auch bei den Preisen für alle möglichen Schoko-Produkte bemerkbar, wie neben BILD z.B. auch Spiegel berichtete. Als es im Frühjahr um die Osterhasen aus Schokolade ging, berichtete ebenfalls u.a. die ZEIT. Doch in all den Beispielen wirkt es so, als sei das eben einfach ein bisschen Pech gewesen. Von einer „schlechten Ernte“ ist die Rede, wo implizit die Versicherung drin steckt, in den nächsten Jahren wird schon alles wieder werden wie es immer war.

Dabei ist in der Wissenschaft schon längst bekannt, dass es eben nicht einfach nur einzelne schlechte Ernten sind – sondern dass wir es hier mit den Auswirkungen des Klimawandels zu tun haben. Denn obwohl es in der Debatte über den Klimawandel oft um Pläne und Sorgen in der Zukunft geht (Kohleausstieg 2038, CO₂-Neutralität 2045 oder doch erst 2050 usw.) passieren ganz reale Auswirkungen genau heute. Wir können hier dem Klimawandel buchstäblich im Regal vom Supermarkt zuschauen. Das ist genauso dramatisch, wie es klingt – und gerade deswegen trauen sich viele offenbar nicht, genauer hinzuschauen. Dann tun wir das eben.

Warum das Wetter in Westafrika den Preis unserer Schokolade beeinflusst

Zunächst müssen wir mal auf die Fakten schauen. Für viele beginnt die Schokolade in Weihnachtsmannform im Supermarkt und endet mit dem Gefühl von leichter Übelkeit, das gegen Ende Dezember zeigt, man hat es mal wieder übertrieben. Dabei hat die Süßigkeit im Supermarktregal eine lange Reise hinter sich. Denn vor allem der Kakao in der Schokolade ist in der Regel schon um die halbe Welt gereist, bevor er in unseren Supermärkten ankommt.

Dabei ist der Anbau von Kakao ziemlich stark auf eine Weltregion konzentriert. 4 westafrikanische Länder produzieren rund 70 % aller Kakao-Bohnen weltweit: Elfenbeinküste, Ghana, Nigeria und Kamerun. Das heißt, Entwicklungen in dieser Region haben massiven Einfluss auf die Verfügbarkeit von Kakaobohnen – und damit natürlich auch auf den Preis.

Gleichzeitig ist Westafrika eine der am stärksten vom Klimawandel betroffenen Regionen der Welt. Es lässt sich also auf die Formel herunterbrechen: Je mehr Klimawandel, desto teurer wird unsere Schokolade. Natürlich ist uns bewusst, dass Preissteigerungen von Schoko-Weihnachtsmännern wirklich nicht die dramatischsten Folgen der Klimakrise sind. Allerdings ist es ein sehr plastisches Beispiel dafür, wie die oftmals als eher abstrakt wahrgenommenen Warnungen vor der Klimakrise sich ganz konkret und auch heute schon zeigen. Deswegen: Nutzen wir die schlechte Arbeit einiger Medien doch dafür.

Der Einfluss der Klimakrise auf die Kakaoernte

Denn die Frage, wie sich der Klimawandel auf den Kakaoanbau auswirkt, wurde schon mehrfach untersucht. So analysierte zum Beispiel eine Studie von 2013 die Lage in Ghana und der Elfenbeinküste. Das sind die beiden Länder, die mit Abstand am meisten Kakao produzieren. Für die allermeisten Gebiete kam dabei heraus, dass der Klimawandel den Kakaoanbau teils erheblich erschweren wird, in einzelnen Regionen könnten sich die Bedingungen dagegen verbessern. Eine weitere Studie aus dem Jahr 2014 beschäftigte sich in erster Linie damit, warum der Kakao-Anbau in Westafrika über die Jahre „migriert“. Einer unter mehreren Aspekten war auch hier der Klimawandel. Vor allem Trockenphasen (ganz besonders die El-Niño-Jahre 1982/83) hatten in der Untersuchung einen starken Einfluss auf den Kakaoanbau.

2020 untersuchte eine Studie in der Zeitschrift für Pflanzenbauwissenschaft Agronomy die Auswirkungen der Klimakrise genauer. Demnach wird Klimawandel dazu führen (und führt auch schon dazu), dass gewisse Bedingungen für das Wachstum von Kakaobäumen nicht mehr oder nur noch eingeschränkt gegeben sind. Dabei geht es vor allem um die Verfügbarkeit von Wasser bzw. Trockenphasen, aber auch um die relative Luftfeuchtigkeit und das Auftreten von Stürmen. Die Auswirkungen von verstärkten Trockenphasen sind dabei wohl bedeutsamer als der eigentliche Temperaturanstieg. Darüber hinaus sorgt der Klimawandel auch für die verstärkte Ausbreitung einiger Schädlinge und Krankheiten, wie z.B. das Cacao-swollen-shoot-virus.

Natürlich gibt es für diese Entwicklungen durchaus Anpassungsmöglichkeiten. Dazu zählen z.B. das Züchten neuer, insektenresistenter Pflanzen. Außerdem können grundsätzlich neue Anbaugebiete erschlossen werden. Diese Maßnahmen sind aber nur begrenzt realisierbar und schlagen sich natürlich auch wieder auf die Preise um.

Aktuell besonders dramatisch durch El Niño

Diese Studien sind zum Teil mehr als 10 Jahre alt, dürften also nicht überraschen. Aber genau das ist ja das Problem beim Umgang mit der Klimakrise: Die Warnungen der Wissenschaft werden zu oft ignoriert. Denn aus der Perspektive eines einzelnen Menschen sind langfristige Prozesse und deren Folgen schwer zu erfassen. Umso wichtiger wäre es deshalb, akute Auswirkungen wie jetzt beim Thema Weihnachts-Schokolade exakt zu benennen. Dieses Jahr sind die Auswirkungen nämlich so groß, weil es nicht nur eine langsame, schleichende Verschlimmerung gab, sondern eine fast schon sprunghafte Veränderung.

Das liegt wohl zumindest teilweise auch daran, dass dieses und letztes Jahr das Wetterphänomen El Niño auftrat. Durch ein Abflauen der Passatwinde kommt es großflächig zu Temperaturänderungen im Südpazifik, was global für Veränderungen des Wetters sorgt. Die Auswirkungen treffen auch Westafrika. So fielen in Abidjan, der größten Stadt der Elfenbeinküste, in kürzester Zeit große Mengen an Regen, was im Juni zu Überflutungen und Erdrutschen führte. Mindestens 24 Menschen kamen ums Leben. Doch El Niño hatte auch schwere, teils verheerenden Folgen für die Landwirtschaft. So sorgten die unregelmäßigeren Regenfälle und die erhöhten Temperaturen für größere Feuchtigkeit. Das wiederum begünstigte die Ausbreitung von Pilzerkrankungen sowie die Verbreitung von Schmierläusen, die das oben erwähnte Cacao-swollen-shoot-virus übertragen. In manchen Farmen der Elfenbeinküste sind die zarten Blüten der Pflanzen auch schlicht von den unerwartet späten und heftigen Regenfällen zerstört worden.

Auch El Niño wohl vom Klimawandel beeinflusst

Das Phänomen El Niño sorgt jeweils für deutlich stärkere Ausschläge im Wetter, als es der vergleichsweise langsame Klimawandel von Jahr zu Jahr tut. Allerdings sind natürlich auch El Niño und Klimawandel nicht komplett unabhängig voneinander. In der Wissenschaft wird aktuell daran geforscht, welchen Zusammenhang es zwischen den beiden gibt.

Der genaue Zusammenhang zwischen Klimawandel und El Niño ist nämlich weiterhin schwer zu bestimmen. Das liegt vor allem daran, dass El Niño nur aller paar Jahre auftritt, die moderne Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten also nur wenige Male wirklich live beobachten und messen konnte, was passiert. Das wiederum erhöht die Gefahr, dass die Daten durch „Ausnahmejahre“ verzerrt sind. Deswegen basieren die Erkenntnisse noch zu großen Teilen auf Rekonstruktionen und/oder Modellen. Es tauchen allerdings erste Hinweise darauf auf, dass der Klimawandel vermutlich auch den Effekt von El Niño verstärkt.

Eine 2023 veröffentlichte Studie unterstützt diese Sichtweise. Wissenschaftler hatten anhand von Mineralablagerungen in Höhlen des US-Bundesstaates Alaska El Niño-Ereignisse der vergangenen 3.500 Jahre rekonstruieren können. Das Ergebnis: Während über die meiste Zeit dieser 3.500 Jahre das Auftreten von El Niño stärker mit der Sonnenaktivität zusammenhing, sind seit den 1970er-Jahren abweichende Ergebnisse entstanden. Laut Studienautor Paul Wilcox ein klares Zeichen für den Einfluss des menschengemachten Klimawandels. Eine weitere, Modell-gestützte Studie aus demselben Jahr kam zu ähnlichen Ergebnissen. Demnach trat ab den 1960er Jahren eine deutliche Veränderung in Bezug auf Häufigkeit und Schwere von El Niño auf.

Welchen Einfluss haben Spekulationen auf den Preis der Schokolade?

Auf jeden Fall ist klar, dass es nicht einfach nur ein bisschen Pech mit dem Wetter war. Unsere hohen Preise für Schokolade hängen direkt mit dem Klimawandel zusammen. Und vielleicht auch indirekt über das El Niño-Phänomen, welches ebenfalls durch den Klimawandel gestärkt wird.

Es gibt allerdings noch einen weiteren Faktor, der Einfluss auf die Preise hat. Dabei geht es allerdings eher um die Funktionsweise globaler Märkte. Die SZ berichtete nämlich, dass die globale Kakaoernte dieses Jahr auf dem Papier 44 Mal den Besitzer wechselte, bevor sie ausgeliefert wurde. Ein Teil des Preisanstiegs ist also auf Spekulation an den globalen Kakao-Märkte zurückzuführen. Deswegen haben die Kakaobauern in Ghana und der Elfenbeinküste auch kaum etwas davon, dass ihre Produkte so hohe Preise erzielen.

Wie hoch der Einfluss von Spekulation auf den Preis tatsächlich ist, bzw. wie viel niedriger der Preis ohne Spekulation wäre, ist schwer zu rekonstruieren. Der wichtigste Faktor ist wahrscheinlich trotzdem die schlechte Ernte und, in Verbindung damit, der Klimawandel.

Fazit

Wir wollen hier nicht „die Medien“ pauschal zerreißen. Solche undifferenzierten Urteile würden nicht der Wahrheit entsprechen. Zum Beispiel hatte tagesschau.de schon Ende Februar zum Preisanstieg der Oster-Schokolade den Klima-Kontext korrekt dargestellt. Auch die FAZ (paywall) bezog kürzlich den Klimawandel als selbstverständliche (Teil-)Ursache mit ein. Und sogar die BILD (!) erwähnte vor Ostern den Klimawandel als Ursache für die Preisexplosion.

Und dennoch passiert es eben regelmäßig, dass der Klimawandel außen vor bleibt. Es scheint in manchen Redaktionen oder bei einigen Journalist:innen die Tendenz zu geben, die Leute „jetzt nicht schon wieder damit nerven“ zu wollen. Gerade bei einem scheinbar eher harmlosen, vielleicht sogar unpolitischen Thema wie dem Preis ihrer Schokolade an Weihnachten. Dabei gibt es Studien, die zeigen, dass die Menschen sich sogar eher mehr Berichterstattung über Klima wünschen. Doch diese Erkenntnisse scheinen noch nicht überall angekommen zu sein. Dann werden die Hintergründe vage mit „einer schlechten Ernte“ begründet – so als wäre die Erklärung mit dem Klimawandel ein optionales add-on, das man je nach Schreibstil hinzufügt oder nicht.

Tatsächlich ist es allerdings ein fahrlässiges Unterschlagen von Informationen, wenn der Kontext der Klimakrise nicht erwähnt wird. So als würde man bei der Berichterstattung über einen Unfall nicht erwähnen, dass die Person alkoholisiert war, weil das ja die gute Feierlaune an Silvester stören könnte. Es muss endlich auch in den letzten Redaktionen ankommen, dass Klima nicht einfach ein Gefälligkeits-Thema ist, das man immer mal anbringt, um ein gewisses Milieu zu befriedigen. Die Klimakrise bedroht die Grundlagen unserer Zivilisation. Nicht auf apokalyptische „Alles verbrennt im Feuersturm“-Art, sondern viel subtiler mit zunehmenden Ernteausfällen und Wetter-Verschiebungen. Doch die Auswirkungen dessen sind vielleicht noch dramatischer als einzelne Hitzewellen. Das zu kommunizieren und auf den Ernst der Lage hinzuweisen, ist die Aufgabe der Medien – auch in der Vorweihnachtszeit.

Artikelbild: canva.com/Screenshot bild.de

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