Dürfen die Bundestagsfraktionen für ihre Partei werben? Was gilt im Wahlkampf? Der Bundesrechnungshof fordert strengere Regeln. Der Bundestag will deshalb das Abgeordnetengesetz ändern. Trotz der aktuellen Fehden sieht es so aus, als könnte sich eine Mehrheit darauf einigen.
Nach dem Rauswurf von Ex-Finanzminister Christian Lindner und dem Zusammenbruch der Ampel-Koalition hat quasi über Nacht auch der Wahlkampf begonnen. Robert Habeck von den Grünen brachte sich als Kanzlerkandidat auf Instagram in Stellung, die Union machte Druck für einen frühen Wahltermin und der gechasste Lindner rief aus, die FDP wolle auf jeden Fall zweistellig werden.
Mit dem Wahlkampf wird auch eine alte Frage wieder aktuell: Dürfen die Bundestagsfraktionen für ihre Partei werben?
75 bis 100 Prozent der Social-Media-Posts, die Bundestagsfraktionen in den sechs Wochen vor der Bundestagswahl 2021 veröffentlichten, waren illegal. Zu diesem Schluss kam der Bundesrechnungshof in einer Analyse, die er im März dieses Jahres veröffentlichte. Zur kommenden Wahl im Februar 2025 sollen deshalb neue Regeln gelten, wenn es nach den Fraktionen geht. Darin sind sie sich ungewohnt einig.
Bislang muss sich die Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen klar auf deren parlamentarische Arbeit beziehen, so verlangt es das Abgeordnetengesetz. Werbung für die Parteien und deren Standpunkte ist ausgeschlossen. Bezug auf Fraktionstätigkeiten fand der Bundesrechnungshof in den beanstandeten Postings allerdings nicht. Laut Abgeordnetenwatch wurde danach weiterhin Parteiwerbung mit Fraktionsgeldern betrieben.
Die Fraktionen von SPD, Union, Grünen und FDP wollen mit einem überarbeiteten Abgeordnetengesetz ermöglichen, dass die Fraktionen auch allgemeine Parteipositionen in die Öffentlichkeit tragen dürfen, ohne konkreten parlamentarischen Anlass. Der federführende Geschäftsordnungsausschuss des Bundestages hat, wie heute bekanntgegeben wurde, nun eine Beschlussempfehlung für das überarbeitete Gesetz abgegeben, mit wenigen Änderungswünschen.
Die Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen wird aus Steuermitteln finanziert
Das Problem: Die Fraktionen werden aus Steuermitteln finanziert, deshalb gelten für sie engere Regeln als für die Parteien. Fraktionen als Elemente organisierter Staatlichkeit dürfen sich nicht an Parteiarbeit beteiligen. Das soll verhindern, dass fraktionslose Abgeordnete und Parteien ohne Sitze im Parlament benachteiligt werden. Denn die Chancengleichheit der Parteien im politischen Wettbewerb ist in Artikel 21 Absatz 1 des Grundgesetzes festgeschrieben.
Der Bundesrechnungshof schreibt in seiner Verlautbarung vom März: „Anders als die staatliche Finanzierung der Parteien ist die staatliche Finanzierung der Fraktionen in der Höhe nicht begrenzt. Die Fraktionen bewilligen sich ihre für Fraktionsaufgaben zu verwendenden Mittel im Parlament selbst. Deshalb besteht die Gefahr, dass sich die Fraktionen im Ergebnis übermäßig viele (Fraktions-)Mittel bewilligen, mit denen sie über ihre Aufgaben hinaus auch Parteiaufgaben wahrnehmen.“
140 Millionen Euro erhalten die Fraktionen aktuell im Jahr. Damit produzieren sie nicht nur Inhalte, sie kaufen zum Teil auch Werbung und damit Reichweite für ihre Social-Media-Posts, zwischen 50 und 1.500 Euro pro Nachricht geben die Fraktionen laut Rechnungshof dafür aus.
Die Fraktionen wollen Parteiwerbung machen dürfen
Die Stellungnahme des Rechnungshofes vom März ist es auch, die die Überarbeitung des Gesetzes angestoßen hat. Doch anstatt, wie vom Rechnungshof gefordert, klar zu definieren, wie sich die Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen von der der Parteien abzugrenzen hat, wollen sich die Fraktionen mit dem im Juni veröffentlichten Gesetzentwurf weitgehende Öffentlichkeitsarbeit aus Steuermitteln erlauben.
Möglich sein soll dann nicht nur die Unterrichtung über parlamentarisches Geschehen und der Dialog mit Bürger*innen, sondern auch die Vermittlung von allgemeinen politischen Standpunkten. Der Bundesrechnungshof sieht darin verfassungsrechtliche Risiken, die er im September in einer Unterrichtung dargelegt hat. So könnte die staatsfinanzierte Öffentlichkeitsarbeit einer Fraktion als unzulässige Spende an ihre Partei angesehen werden. Auch die Verletzung der chancengleichen Teilhabe der Parteien am politischen Prozess sei verfassungsrechtlich relevant.
„Danach dürften die Fraktionen künftig außerhalb des Zeitraums vor Bundestagswahlen aktiv für ihre Politik werben, also z. B. Kampagnen mit Werbespots und Großplakaten starten, dabei für allgemeine politische Standpunkte im Stil eines Wahlkampfes ‚ihrer‘ Partei werben. Eine inhaltliche Grenze gäbe es – abgesehen von Partei- oder Wahlwerbung wie beispielsweise expliziten Wahlaufrufen – nicht mehr, solange erkennbar ist, dass es eine Werbemaßnahme der Fraktion (und nicht der Partei) ist“, so der Bundesrechnungshof.
Schärfere Regeln sechs Wochen vor der Wahl
Für den Zeitraum von sechs Wochen vor Bundestagwahlen werden die Regeln nach dem Gesetzentwurf allerdings leicht verschärft. In diesem Zeitraum bräuchte Öffentlichkeitsarbeit der Parteien einen besonderen parlamentarischen Anlass, wo bislang jegliche Fraktionsaktivität als Begründung der Öffentlichkeitsarbeit ausreicht.
Der Geschäftsführungsausschuss weitete diese Beschränkung auf Empfehlung des Bundesrechnungshofes nun auch auf die sechs Wochen vor den Wahlen zum Europaparlament aus. Außerdem fügte er einen Satz ein, der sicherstellt, dass die Fraktionen als illegal beanstandete Öffentlichkeitsarbeit beenden müssen, also zum Beispiel entsprechende Social-Media-Postings löschen.
Doch wer prüft eigentlich die Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen? Nach dem Gesetzentwurf soll das der Ältestenrat des Bundestages übernehmen, der in Einzelfällen den Bundesrechnungshof zur Prüfung auffordern kann. Doch der Ältestenrat besteht ja selbst aus Fraktionsmitgliedern. Der Bundesrechnungshof hält diese Konstruktion deshalb für misslungen.
Es fehlt ein wirksamer Sanktionsmechanismus
Außerdem fordert der Bundesrechnungshof einen wirksamen Rückforderungs- und Sanktionsmechanismus für rechtswidrig eingesetzte Fraktionsgelder. Nach dem Gesetzentwurf wird ein solcher Missbrauch in einer Bundestagsdrucksache veröffentlicht, „rechtswidrig verwendete Geld- und Sachleistungen sind an den Bundeshaushalt zurückzuführen.“
Der Bundesrechnungshof schreibt dazu:
… weil die Fraktionen die Höhe ihrer Mittel aus dem Bundeshaushalt selbst bestimmen, besteht die Gefahr, dass finanzielle Sanktionen alleine ins Leere laufen … Ferner lassen sich die Ausgaben am Beispiel der sozialen Medien für einen einzelnen Beitrag objektiv nicht ermitteln. Denn hierbei müssten die anteiligen Kosten für den Aufbau einer IT-Infrastruktur und die Kosten für den langjährigen Ausbau von Reichweite (Follower usw.) ermittelt werden können.
Er fordert deshalb eine Konkretisierung, in welchen Verfahrensschritten und in welcher rechtlichen Form die Sanktionierung geschehen soll und wie sich die betroffene Fraktion gegen einen Rückzahlungsanspruchs wehren kann.
Angesichts der ungewöhnlichen Allianz aus SPD, Union, Grünen und FDP, die den Gesetzentwurf trägt, ist es allerdings möglich, dass dieser trotz Bedenken des Bundesrechnungshofs noch im Bundestag abgestimmt wird, bevor der Bundeskanzler die Vertrauensfrage stellt und das Parlament aufgelöst wird.
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