Von Felicitas Rabe
Am Samstag veranstaltete der Philosophische Salon in Köln eine Lesung und Podiumsdiskussion mit den Autoren des druckfrischen Buches "Staatsfeind? ‒ Wie ich zum Kämpfer für echte Demokratie wurde". Der Philosophische Salon wurde 2019 von der Kölnerin Sabine Marx in ihren Privaträumen gegründet. Seither veranstaltet sie regelmäßig Vorträge und Diskussionen unter dem Motto "Jede Meinung wird gehört".
"Staatsfeind?" ist das erste Buch, das die engagierte Veranstalterin herausgibt. Darin stellen die Autoren Ulrike Guérot, Patrik Baab, Michael Meyen, Werner Rügemer, Ullrich Mies, Gabriele Gysi, Werner Köhne, Hermann Ploppa und Dirk Pohlmann in mitreißenden Geschichten ihre persönliche und politische Entwicklung vor. Biografisches vermischt sich auf kurzweilige und zum Teil auch sehr humorvolle Art mit Zeitgeschichte.
Beim Philosophischen Salon am Wochenende bekamen die Autoren Gelegenheit, ein Stück aus ihrer Geschichte vorzutragen und mit dem Publikum darüber zu sprechen. Was verbindet diese Autoren? Sie waren bis vor kurzem renommierte anerkannte Akademiker in der deutschen Gesellschaft. Ihre Expertise als Hochschullehrer, investigative Journalisten, Politikwissenschaftler, Künstler und Philosophen war in diesem Land gefragt. Aber nur bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie als Meinungsdissidenten aus der akademischen Mainstreamblase ausgeschlossen wurden. Wie es aus ihrer jeweiligen Biografie heraus zu den unterschiedlichen Perspektiven auf das Weltgeschehen kommen konnte, stellen sie in ihren Buchbeiträgen unterhaltsam und doch tiefgründig dar.
Als Zuhörer und Leser wird man berührt von den Lebensgeschichten und den Rückblicken auf die politischen Entwicklungen in der Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik, die mit dem Persönlichen verwoben werden. Während die einen eher sachlich und nüchtern über ihre aktuelle Ausgrenzung berichten, vermitteln andere einen Einblick in das psychische und existenzielle Ringen mit der eigenen Lage, oder werfen einen weiten philosophischen Blick auf die eigene Existenz.
Wie ich mein Land verlor
Die Politikwissenschaftlerin Professor Dr. Ulrike Guérot schreibt zum Thema "Wie ich mein Land verlor": "Wenn ich Dissidentin bin, dann nur, weil Du (Bundesrepublik) zuvor Häretikerin geworden bist und alles verraten hast, was uns einmal lieb und teuer war: Die Meinungsfreiheit, die Wissenschaftsfreiheit, das Recht auf den eigenen Körper, die Wohnung und die Privatsphäre, das Versammlungsrecht, die Friedenspflicht und vieles andere mehr." Man konnte erleben, so die Geisteswissenschaftlerin, "wie sich eine windende und winselnde Bundesrepublik beschämt und mit gesenkten Augen ihren eigenen Übergang in die 'simulative' Demokratie orchestrierte".
Der Journalist Patrik Baab, früher ein vom Mainstream nachgefragter Reporter, verlor wegen seiner Recherchen im Donbass seine Lehraufträge an Universitäten. Nun beschreibt er seine Zunft "als Lohnschreiber, die sich vor den Machteliten ausrichten, wie Metallspäne vor einem Magneten". Rundfunkanstalten würden zurückfallen in die Rolle von mittelalterlichen Ausrufen, die die Entscheidungen des Fürsten verkündeten. Es handele sich um eine "Refeudalisierung der Öffentlichkeit". Beim Journalismus ginge es nicht mehr um Fakten. Baab fasst zusammen: "Wir sind angekommen im postfaktischen Journalismus."
Die Schauspielerin Gabriele Gysi richtet ihren Blick auf die Kriege und konstatiert ein Schweigen über die damit verbundene Menschenverachtung. Dabei meint sie nicht nur die militärischen Kämpfe in der Ukraine und im Nahen Osten. Mit dem Bestreiten der natürlichen Geschlechterunterschiede installiere man in jedem einzelnen Menschen den Krieg mit sich selbst.
Wie der Zeitgeist die Menschen beherrscht
Den Zeitgeist und was dieser mit den Menschen macht, beschreibt der Philosoph Dr. Werner Köhne so zutreffend, dass man als Leser auf einmal den eigenen Zustand fühlen und verstehen kann: "Wir werden in eine hektische und gleichsam uns lähmende Befindlichkeit hineingezogen. Gerade in diesen Krisenzeiten, in denen geradezu beliebig schnell herbeigeredete Konfrontationen mit dem Feind, seien es nun Viren, Russen, Schwurbler oder Rechte, eine Kultur der Reflexe befeuern, wird das absurde Existenzmuster eines 'rasenden Stillstands' eingeübt."
Der Medienwissenschaftler Professor Dr. Michael Meyen glaubt lange, "das bessere Argument würde sich durchsetzen". Der als Professor Dr. Kokolores in der Presse verbrämte Dissident zeigt auch Mitgefühl für die Mehrheit der angepassten Mitmenschen: "Nichts fürchten wir mehr als den Ausschluss aus der Gruppe. Die meisten sind dafür bereit, ihren eigenen Augen und Ohren zu misstrauen und nachzuplappern, was die Mehrheit denkt. Anhand ihrer Lebensgeschichte erklären die Politikwissenschaftler und Publizisten Ullrich Mies, Hermann Ploppa und Dirk Pohlmann, warum sie zu Widerständlern und Eigendenkern wurden. Dabei reflektieren sie bedeutsame politische Ereignisse, die sie auf ihrem Werdegang beeinflussten, und rekonstruieren Augenblicke des Widerstands in der Geschichte der Bundesrepublik.
Wie entsteht ein eigener Blick auf die Welt?
Der Sozialphilosoph Dr. Werner Rügemer unterbricht seinen politischen und persönlichen Rückblick mit kurzen Episoden über Gespräche, die sein siebenjähriger Enkel Jonas und er über das Leben führen. Im Kontext dieses Buches nimmt der Enkel Jonas uns dabei mit zu den Anfängen unseres eigenen Denkens und wie man einen Blick auf die Welt entwickelt.
Politische Analyse und Poesie – in diesem Buch findet der Leser eine vielfältige Darstellung von Dissidententum in den politischen Wirren unserer Zeit. Durch den Blick der anderen auf sich selbst eröffnet sich dem Leser gleichsam auch ein Blick auf die eigene Entwicklung. Wie haben mich mein persönliches Umfeld und die politischen Umstände dahin gebracht, wo ich jetzt gelandet bin, fragt man sich unwillkürlich beim Zuhören oder Lesen der Texte. Was führt dazu, dass manche Menschen so viel riskieren, indem sie sich gegen die Denkvorgaben der herrschenden Meinung stellen? Was bedeutet selbstständiges Denken, und in welchem Lebensalter hat man damit angefangen? Kann ein soziales Wesen wie der Mensch überhaupt unabhängig denken, oder geht es eher darum, sich bewusst zu machen, wie die "eigenen Gedanken" zustande gekommen sind? Zu solchen Fragen hat das Buch mich jenseits der Texte inspiriert. In der Diskussion stellte Gabriele Gysi fest:
"Wir Menschen werden das Denken nicht aufgeben, da können sie sich noch so anstrengen."
Das Buch "Staatsfeind? ‒ Wie ich zum Kämpfer für echte Demokratie wurde" wurde im September 2024 vom Philosophischen Salon Köln herausgegeben.
Mehr zum Thema ‒ Glaubt denn wirklich noch jemand, dass es auf der Welt Demokratie gibt?
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