Russland entwickelt mit Weißrussland ein neues Flugzeug - Warum?

Von Olga Samofalowa

Das im Ural gelegene Werk für Zivilluftfahrt und das Flugzeugreparaturwerk im weißrussischen Baranowitschi arbeiten gemeinsam an der Entwicklung eines kleinen Mehrzweckflugzeugs, teilte Wladimir Putin mit.

Es handelt sich um ein zweimotoriges Flugzeug für 19 Passagiere mit dem Namen Asweja . Beide Länder haben am 15. April ein zwischenstaatliches Abkommen über die Entwicklung und Organisation der Produktion unterzeichnet.

Das technische Erscheinungsbild des neuen Flugzeugs soll im September im "Uraler Werk für Zivilluftfahrt" (russisch abgekürzt USGA) genehmigt werden, danach erhalten die weißrussischen Kollegen Aufträge für die Entwicklung bestimmter Baugruppen. Es wurde festgestellt, dass es einen konkreten Bedarf an diesen Flugzeugen gibt, der bereits ermittelt wurde. Vergleichbare Flugzeuge aus anderen Ländern kosten auf dem Markt zwischen 5,5 und 8 Millionen US-Dollar.

In Weißrussland wurde bereits ein Konstruktionsbüro geplant, das sich im Aufbau befindet und auf die Vorbereitung der Flugzeugproduktion spezialisiert ist. Außerdem wird ein Investitionsprojekt zur Bereitstellung von Maschinen und Werkzeugmaschinen beschlossen, um die erforderlichen Stückzahlen der zu produzierenden Teile zu vervielfachen. In dem beteiligten weißrussischen Werk wird eine neue Halle gebaut werden, die dreimal so groß sein wird wie die bestehende. Nach Angaben der weißrussischen Seite soll die Vorbereitung der Serienproduktion des Flugzeugs bis 2027 abgeschlossen sein, und innerhalb von drei Jahren bis 2030 sollen dann mindestens 85 oder sogar 100 solcher Flugzeuge hergestellt werden können. Der Direktor des Portals Авиа.ру/Aviaru.net Roman Gussarow berichtet:

"Dieser Flugzeugtyp mit 19 Sitzen wurde in der Sowjetzeit und auch danach durch das tschechische Flugzeug L-410 abgedeckt. Allerdings gilt es als russisch: Die Sowjetunion hat einst einen Wettbewerb für den Bau eines solchen Flugzeugs ausgeschrieben, wir hatten unsere eigenen Entwicklungen, aber dann wurde dem tschechischen Brudervolk der Zuschlag erteilt. Im Grunde wurde dieses Flugzeug aber nach unserer technischen Anforderungen für den Einsatz in der Sowjetunion entwickelt. In der postsowjetischen Zeit hatten wir dann eine gemeinsame Produktion dieses Flugzeugs im Werk für Zivilluftfahrt im Ural aufgebaut: Wir haben dieses Flugzeug bei uns montiert, allerdings noch immer aus tschechischen Baugruppen. Doch im Jahr 2022 kamen die EU-Sanktionen dazwischen, die eine weitere Zusammenarbeit unmöglich machten."

Russland braucht diesen Flugzeugtyp jedoch dringend. Jaroslaw Kabakow erklärt in seiner Rolle als Strategiechef bei der Investmentgesellschaft Finam:

"Es kann für eine Vielzahl von Aufgaben eingesetzt werden: für den Passagiertransport, da die Asweja ideal für regionale Strecken insbesondere in dünn besiedelten und schwer zugänglichen Gebieten ist, für den Frachttransport, einschließlich der Lieferung von humanitärer Hilfe und Medikamenten, sowie für die Aufgaben des Ministeriums für Notfallsituationen in abgelegenen Gebieten. Darüber hinaus kann das Flugzeug für medizinische Notfälle zur Evakuierung insbesondere in schwer zugänglichen Regionen eingesetzt werden."

Kabakow erläutert weiter:

"Die Asweja sollte in der Lage sein, unter rauen klimatischen Bedingungen und auf unbefestigten Landebahnen zu operieren. Das ist für den Einsatz im hohen Norden, in Sibirien und im Fernen Osten besonders wichtig, weil dort die Flughafeninfrastruktur oft begrenzt ist. Bei der Konstruktion des Flugzeugs muss der Betrieb unter extremen Temperaturverhältnissen und auf nicht asphaltierten Flugplätzen berücksichtigt werden."

Ein solches Flugzeug kann auch in Aeroclubs für Fallschirmspringer und vor allem als Flugtrainer für die Ausbildung von Piloten eingesetzt werden. Gussarow unterstreicht das:

"Nach unseren Prüfungsvorschriften muss ein Flugzeug für die Pilotenausbildung der Zivilluftfahrt ein zweimotoriges Flugzeug sein. Und die Asweja ist für diesen Zweck bestens geeignet."

Warum entwickelt Russland ein neues Kleinflugzeug zusammen mit Weißrussland und nicht allein? Gussarow ist sich sicher, dass es sich dabei um eine für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit handelt und dass es ohne die weißrussischen Partner schwierig wäre, das Projekt zu verwirklichen – vor allem dann, wenn es schnell gehen muss. Er argumentiert so:

"Tatsache ist, dass die Kapazitäten unserer Fabriken mit der Herstellung komplexerer und größerer Flugzeuge ausgelastet sind, und selbst die müssen schon erweitert werden. In der Sowjetunion wurden auch die Produktion von Regionalflugzeugen an befreundete Länder delegiert. So wurde zum Beispiel die An-2 mitsamt ihrer Dokumentation an Polen übergeben. Hierbei wird nun der Großteil der Komponenten in Russland produziert werden, einschließlich der Triebwerke, während einige Teile und die Endmontage dann in Weißrussland erfolgen werden. Die Weißrussen, die über einen sehr gut entwickelten Maschinenbau verfügen, werden uns dabei also helfen werden. Und ein neues Werk muss ohnehin irgendwo errichtet werden."

Gussarow erläutert das noch weiter:

"Zweitens wird das Asweja-Projekt nicht von der Vereinigten Flugzeug-Korporation (OAK), sondern vom Uraler Werk für Zivilluftfahrt (USGA) realisiert, das kein Teil dieses Konzerns ist. Es entwickelte sowohl das Gasturbinentriebwerk WK-800 als auch das Baikal-Flugzeug sowie das Ladoga-Flugzeug und nun auch die Asweja. Das russische Unternehmen brauchte unbedingt Partner, da das USGA wie jedes Konstruktionsbüro nicht alle diese Flugzeuge allein herstellen kann, sondern als Hauptentwickler fungiert."

Das USGA plant auch nicht, alle diese Flugzeuge selbst zu montieren, sondern sie in Partnerbetrieben montieren zu lassen. So wird die "Ladoga" im Flugzeugwerk Samara und die "Baikal" in dem im Bau befindlichen Werk in Komsomolsk am Amur hergestellt. Als neuer Standort für die Montage der Asweja wurde nun Weißrussland gewählt. Kabakow verweist auf die folgenden Vorteile dieser Zusammenarbeit:

"Weißrussland verfügt über beträchtliche Erfahrungen in der Flugzeug- und Maschinenbauproduktion und ist damit ein wertvoller Partner für Russland. Zweitens ermöglicht die gemeinsame Arbeit an dem Projekt beiden Ländern, ihre Abhängigkeit von westlichen Technologien und den Beschränkungen durch die Sanktionen zu verringern und vielmehr ihre eigenen Hochtechnologie-Produktionsstätten zu entwickeln. Drittens kann Russland die erforderlichen Komponenten und Baugruppen liefern, während sich Weißrussland auf die Montage und die Serienproduktion konzentrieren wird. Diese effiziente Arbeitsteilung ermöglicht es, die besten Entwicklungen und Fähigkeiten beider Länder zu nutzen."

Warum braucht Russland so viele Kleinflugzeuge? Die Sowjetunion schätzte bereits einst ihren Bedarf für die regionale und lokale Luftfahrt durch drei Typen solcher Flugzeuge ab.

Die "Baikal" soll die An-2 "Kukurusnik" mit einer Kapazität für bis zu neun Passagiere ersetzen. Dieses besonders kleine Flugzeug wird benötigt, um bei Bedarf Dörfer und kleine Siedlungen mit 200 bis 300 Bewohnern beispielsweise in Jakutien anzufliegen, um die mit Lebensmitteln und Medikamenten zu versorgen, wenn man den spärlichen Passagierverkehr dorthin berücksichtigt, sagt Gussarow. Solche Flugzeuge können auch zur Überwachung und zum Schutz von Gas- und Ölpipelines, Stromleitungen und anderer wichtiger Infrastruktur eingesetzt werden.

Für den Transport einer größeren Anzahl von bis zu 19 Passagieren benötigt man aber ein Flugzeug wie die Asweja mit zwei Motoren. Denn es ist nach Luftfahrtnormen verboten, mehr als neun Personen in einem einmotorigen Flugzeug zu befördern. Der bisherige Konkurrent L-410 wurde vor allem auf Kamtschatka, aber auch auf Sachalin, zu den Kurilen und so weiter aktiv eingesetzt.

Die "Ladoga" ist noch größer und bietet Platz für 44 Passagiere. Sie soll die An-24 ersetzen. Gussarow erklärt als Direktor von Avia.ru dazu:

"Die An-24 war wahrscheinlich das am häufigsten in Serie produzierte Aeroflot-Flugzeug sowjetischen Typs, so groß war die Nachfrage nach ihr. Sie fliegt sowohl zwischen Städten, transportiert Fracht und befördert dabei auch regelmäßig Passagiere."

Alle diese Flugzeugtypen werden vor allem im nichteuropäischen Teil Russlands benötigt, nämlich hinter dem Ural, wo es riesige Gebiete mit geringer Bevölkerungsdichte  wie etwa in Jakutien gibt, die nur mit solchen Flugzeugen erreicht werden können. Natürlich gibt es auch Hubschrauber, doch ist deren Einsatz für solche Langstrecken-Bedingungen unrentabel.

Die für den Zeitraum 2027 bis 2030 geplante Produktion von 85 bis zu 100 Flugzeugen sei zwar anspruchsvoll, aber realisierbar, sofern die Serienproduktion erfolgreich anlaufen kann und das Projekt effektiv verwaltet wird, meint Kabakow. Und Gussarow fügte noch hinzu:

"Die Nachfrage nach 100 Stück solcher Flugzeuge ist bereits jetzt gegeben. Wir werden uns aber natürlich deshalb nicht auf die Produktion von hundert Flugzeugen beschränken. Die Frist bis zum Beginn der Serienproduktion ist jetzt allerdings sehr optimistisch geschätzt. Wenn es bereits einen Prototyp geben würde, dann würde ich sagen, dass der Beginn der Serienproduktion bis 2027 realisierbar ist. Denn erst wenn ein Prototyp zur Verfügung steht, dauert es noch einmal mindestens zwei Jahre, bis alle Tests abgeschlossen sind, aber normalerweise verzögern sich die Tests. So war der Prototyp des Baikal-Flugzeugs bereits auf der MAKS im Jahr 2021 vorgestellt worden, aber es gibt bis heute noch keine Serienproduktion."

Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei Wsgljad am 1. Juli 2024.

Olga Samofalowa ist eine russische Journalistin.

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