Wir alle nutzen Online-Plattformen, von der Google-Suche über WhatsApp zu Microsoft Office. Höchste Zeit, dass Nutzende auch mitbestimmen, wie sie funktionieren. In der Realität sind wir davon weit entfernt. Dabei gäbe es eine Lösung.
Dass die großen Digitalkonzerne zu mächtig sind, ist inzwischen ein Gemeinplatz: Ihr Börsenwert ist höher als das Bruttoinlandsprodukt vieler Länder, sie haben Milliarden an Nutzenden, machen jährlich Milliardengewinne und nutzen diese auch, um politischen Einfluss zu nehmen.
Gesellschaftlich besteht breiter Konsens, dass ihre Macht und schädlichen Auswirkungen begrenzt werden müssen. Die EU hat dazu viele Regulierungen und Kontrollmechanismen eingeführt, vom Digital Services Act und Digital Markets Act über strengere Fusionskontrolle bis zu Klagen gegen Wettbewerbsverstöße und Steuervermeidung.
Doch die bisherigen Anstrengungen sind zu kleinteilig und zu sehr von Lobbymacht verwässert. In den Bilanzen und Angeboten der großen Konzerne ändert sich kaum etwas. Wie können wir also diese mächtigen Infrastrukturen unseres täglichen Lebens bändigen und die Plattformen gemeinwohlverträglicher machen?
Wir brauchen Plattformräte
Ein wissenschaftliches Gutachten im Auftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung empfiehlt den breiteren Einsatz von Plattformräten und argumentiert: „Trotz verbleibender Defizite die (auch minimale) iterative Verbesserung durch stärkere gesellschaftliche Rückbindung privater Unternehmensentscheidungen nur sinnvoll sein.“ Es braucht demnach ein Mitspracherecht für Vertretungen, in denen etwa Nutzende selbst, zivilgesellschaftliche oder wissenschaftliche Organisationen vertreten sind.
Die Ampel-Regierung hatte sich den „Aufbau von Plattformräten“ sogar in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen. Bisher ist dazu jedoch nichts passiert.
Gemeinschaftlich Verwalten ist ein wesentliches Merkmal gemeinwohlorientierter Digitalpolitik. Das geht auch bei globalen Projekten, die ähnlich hohe Nutzungszahlen wie Big-Tech-Angebote haben.
Das zeigen die Projekte freien Wissens, allen voran die Wikipedia. Die Communitys, die sie ausmachen, gestalten die Online-Enzyklopädie fortlaufend weiter und diskutieren dabei auch Fragestellungen wie Wissensgerechtigkeit und den Umgang mit künstlicher Intelligenz. Um das auszuhandeln, haben die Communitys Regeln – wie eben auch in einer Demokratie. Ähnliche Prinzipien können wir auch für Digitalkonzerne etablieren.
Was gibt es für Vorbilder?
Über einen Plattformrat sind im digitalen Raum verschiedene Formen von Mitbestimmung bis zur Selbstverwaltung möglich. Die Idee ist nicht neu. Sie setzt auf etablierte Prinzipien einer Demokratie, die in Form von Gewerkschaften und Betriebsräten außerhalb des Digitalen lange erprobt sind.
Es gibt unterschiedliche Vorbilder dafür, digitale Plattformen wie Instagram, Amazon, Google Maps und Co. durch Räte demokratischer, offener und sicherer zu machen. Rundfunkräte etwa kontrollieren im öffentlich-rechtlichen Rundfunk die inhaltliche Ausgestaltung der Programme – auch wenn sie repräsentativer und staatsferner gestaltet sein könnten.
Das Oversight Board von Meta soll besonders schwierige Fragen zu den Regeln für Inhaltemoderation bei Facebook und Instagram klären. Allerdings beziehen sich die Entscheidungen des Boards auf Einzelfälle. Allgemeinere Empfehlungen kann Meta ignorieren und hat dies in der Vergangenheit getan, zum Beispiel bei Empfehlungen, die das Board im Kontext von Konflikten in Äthiopien formulierte.
In der noch jungen Debatte über Plattformräte stand bisher die Inhaltemoderation in sozialen Medien im Mittelpunkt. Doch weil Plattformen für das gesellschaftliche Miteinander so eine zentrale Rolle einnehmen, spricht einiges dafür, auch umfassende Steuerungsentscheidungen von Plattformen gemeinschaftlich zu treffen. Die größte Herausforderung für eine solche Selbstverwaltung von Plattformen besteht vermutlich darin, die relevanten und betroffenen Gruppen zu involvieren – und Interessenkonflikte demokratisch und nicht ausschließlich unternehmerisch auszuhandeln.
Für jede Plattform den passenden Rat
Da Plattformen unterschiedliche Funktionen erfüllen, wird es kein einheitliches, für alle Plattformen passendes Ratsmodell geben. In welchen Bereichen ein Plattformrat mitgestalten sollte, ist je nach Plattform unterschiedlich. Was aber grundsätzlich für die Zusammensetzung von Plattformräten gelten sollte: Die Interessen von Nutzenden und Verbraucher*innen müssen vertreten sein. Auch die Belange von Menschen und Gruppen, auf die sich Plattformen auswirken, sollten repräsentiert sein. Das kann über zivilgesellschaftliche Organisationen und Verbände geschehen. Zudem sollten relevante wissenschaftliche Expert*innen Impulse geben, um Entscheidungen empirisch zu untermauern.
Wie umfassend ein Plattformrat (mit)gestalten sollte, ist eine politische Entscheidung darüber, wie viel Gewicht gesellschaftliche Interessen neben oder statt der Gewinnerzielung bekommen sollen. Ein Rat könnte eng begrenzten Einfluss bei Entscheidungen zu Datenzugängen oder bei der Gestaltung von algorithmischen Empfehlungen ausüben. Er könnte aber auch die unternehmerischen Entscheidungen mitentwickeln.
Wie das aussehen kann, zeigt ein Blick auf zwei viel genutzte Plattformen: Google Maps und die Verkaufsplattform von Amazon.
Durch die Stadt mit Plattformrat
Google Maps beeinflusst individuelle Mobilität und die Mobilitätsplanung von Kommunen, Städten oder Sharing-Anbietern, die Nutzung von Dienstleistungen und den Tourismus. Zunehmend spielen Werbetreibende eine Rolle, die in der App hervorgehoben werden, wie Gastronomie oder Einzelhandel. Indirekt wirkt die Plattform auch auf Autohersteller und Tankstellen.
Bei Google Maps gibt es aktuell keine Transparenz darüber – geschweige denn Einfluss darauf – warum die App den Nutzenden bestimmte Wege, Mobilitätsmodi und Suchergebnisse anzeigt. Wir können nur vermuten, dass die Interessen der Nutzenden gegen die Werbeeinnahmen und Kommission abgewogen werden, die Google von Mobilitätsanbietern einstreichen kann. Denn Google besitzt etwa Anteile des Sharing-Anbieters Lime, dessen Angebote lange als bevorzugter Mobilitätsmodus angezeigt wurden.
Eher eng umgrenzte Befugnisse hätte ein Plattformrat, der für die Daten-Governance zuständig wäre. Er könnte darüber entscheiden, wie und in welchem Umfang die Plattform Nutzungsdaten erhebt und inwiefern Alphabet diese weitergeben darf. Ein solcher Rat könnte auch entscheiden, dass andere Anbieter von Kartendiensten oder Stadtplanungsreferate Zugang zu Echtzeitdaten erhalten, um ihre Dienste wie etwa das Angebot von Busrouten zu verbessern. Ein Plattformrat könnte bei solchen Entscheidungen auch abwägen, wie detailliert solche Daten sein dürfen, um zu verhindern, dass Bewegungsmuster von Einzelnen oder Gruppen nachvollziehbar werden.
Weiter hineinreichen in das „Kerngeschäft“ von Google Maps würde ein Plattformrat, der festlegt, nach welchen Parametern die Suchergebnisse gestaltet und ausgewählt werden. Aktuell zeigt ein grünes Blatt die besonders „umweltverträgliche“ Routenoption an. Doch diese basiert rein auf dem guten Willen von Google und ist zudem nicht extern nachvollziehbar.
Noch weiter reichende Befugnisse könnten die gesamte Betriebsweise von Google Maps einschließen. Ein solcher Plattformrat würde über Daten, Algorithmen und Verbindungen zu anderen Produkten und Plattformen entscheiden. Das wäre gut vereinbar mit einer Entflechtung von Google Maps aus dem Konzern Alphabet. In diesem Fall könnte ein Plattformrat auch anstoßen, dass Maps mit dem nicht-kommerziellen Projekt Open Street Maps zusammengelegt wird.
Prime, jetzt aber mit Plattformrat
Amazon bietet auf seiner Verkaufsplattform unzählige Produkte an, vom Koalakostüm bis zum 3D-Drucker, teils aus eigener Produktion, teils von Drittanbietern. Amazon verbindet diese auch mit eigenen Warenhäusern und Logistik, dazu zunehmend geschalteter Werbung. Die Plattformentscheidungen betreffen zudem Mitarbeitende (von hochbezahlten technischen Expert*innen bis zu prekär beschäftigten Logistik-Angestellten) sowie die Kund*innen (teils mit, teils ohne Prime-Abonnement).
Aktuell kann Amazon die Plattform frei gestalten. In den letzten Jahren sind über das Kartellrecht und über den Digital Markets Act auf EU-Ebene einige Schranken hinzugekommen. Aber Amazon kann umfassend Preise setzen (für eigene Produkte) oder Kommissionen verlangen (für Drittprodukte und Logistik sowie weitere Dienste). Und der Konzern kann Suchergebnisse und Vorschläge gestalten – einschließlich der Werbeanzeigen. Dabei ist vollkommen intransparent, wie Amazon die Interessen der Beteiligten abwägt. Angesichts der großen Anziehungskraft, die die breite Produktpalette auf Konsumierende hat, ist es naheliegend, dass Amazon diese nutzt, um Drittanbieter und Werbende zur Kasse zu bitten.
Ein Plattformrat könnte sich bei einem engen Zuschnitt auf die Gestaltung von Empfehlungsalgorithmen konzentrieren. Er könnte Parameter für einen solchen Algorithmus festlegen, wie Werbeanteil, Gewichtung von Preis, Bewertung, Kommission. Oder er könnte entscheiden, Algorithmen von externen Anbietern wie zum Beispiel von Greenpeace oder Verbraucherzentralen zuzulassen.
Weiter reichende Befugnisse könnten darin bestehen, über die Datennutzung zu entscheiden. Etwa darüber, ob weniger Daten für Werbung genutzt und dafür mehr Daten extern zur Verfügung stehen sollen – zum Beispiel für Marktanalysen. Ein Plattformrat könnte ähnlich zu Gewerkschaften mitbestimmen, wie Beschäftigungsverhältnisse ausgestaltet sind – von Themen wie Überwachung am Arbeitsplatz über Lieferzeiten bis hin zu Löhnen.
Wirklich fundamentale Fragen würde ein Rat mitbestimmen, der darüber entscheidet, ob ein weiteres Wachstum im Vordergrund stehen soll oder ob andere Kennzahlen mehr Gewicht erhalten – wie verringerter Ressourcenverbrauch oder die Vermeidung von Müll.
Gemeinsam Big Tech zähmen und Alternativen aufbauen!
Gemeinschaftliche Plattform-Verwaltung steht nicht allein. Die Macht der großen Konzerne sollte weiterhin im politischen und wirtschaftlichen Sinn begrenzt werden. Auch ist es wichtig, gemeinwohlorientierte Alternativen aufzubauen.
Im besten Falle stehen zukünftig von Plattformräten verwaltete Plattformen neben gemeinwohlorientierten Alternativen, damit Menschen eine Bandbreite an guten Optionen haben. Bereits jetzt wissen wir, dass gemeinschaftlich gesteuerte Plattformen nach fundamental anderen Prinzipien funktionieren. Wir sehen das im dezentral organisierten Fediverse mit dem sozialen Medium Mastodon. Auch das Kartenprojekt OpenStreetMap und natürlich die Wikipedia sind Beispiele für kollaborative Projekte.
Diese und weitere, aktuell kleine Plattformen könnten leichter wachsen, wenn sie nicht im Wettbewerb mit großen, gewinnorientierten Plattformen stünden. Dabei kommt hinzu, dass diese immer wieder mögliche Alternativen aufkaufen oder durch Exklusivitätsvereinbarungen oder andere Maßnahmen klein halten.
Es gibt viele Wege, über die wir Plattformen gemeinschaftlich verwalten können. Es wird dabei viel zu lernen geben. Doch wir kennen die Prinzipien der Aushandlung von unterschiedlichen Interessen und sollten sie endlich auch für die so wichtigen digitalen Infrastrukturen anwenden. Wir können mit weniger gewichtigen Befugnissen beginnen und diese zunehmend ausweiten. Mehr gesellschaftliche Kontrolle kann die Plattformen nur besser machen. Es ist höchste Zeit, dass wir sie fordern – und dass Politiker*innen die gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen.
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