Der Ärztliche Sachverständigenbeirat des Bundessozialministeriums hatte nunmehr entschieden, dass Parkinson eine Berufskrankheit darstellen kann. Dies sei überwiegend bei der Berufsgruppe der Landwirte, dem Einsatz von Pestiziden im Agrarbereich geschuldet.
In Frankreich seit 2012 als Berufskrankheit „anerkannt“
Morbus Parkinson ist eine fortschreitende Erkrankung des Nervensystems. Sie lässt Muskeln steif, Bewegungen langsam und Hände zittrig werden. Oft treten auch Probleme mit dem Gleichgewicht, mit dem Sprechen und Schlucken auf, ebenso wie Schlafstörungen, Depressionen und Konzentrationsprobleme.
In einem Interview mit NDR.de hatte Vorsitzende des Beirates der Arbeitsmediziner Prof. Thomas Kraus, die Problematik nachstehend erläutert. Professor Thomas Kraus leitet den Ärztlichen Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
Herr Prof. Kraus, zwölf Jahre hat es gedauert, bis die Anerkennung als Berufskrankheit vorlag. Warum dauerte das so lange?
„Wir wussten schon sehr lange, dass es Zusammenhänge zwischen einer Pestizid-Belastung im Beruf und der Parkinson-Krankheit gibt. Aber es war extrem schwierig, die wissenschaftliche Literatur aus der ganzen Welt zu bewerten, aufzuarbeiten und dann Kriterien einer Berufskrankheit für das deutsche Sozialrecht abzuleiten“.
In Frankreich ist Parkinson ja schon seit 2012 als Berufskrankheit anerkannt. Auch Italien war bei dieser Anerkennung schneller. Hatte man dort mehr in Forschung investiert, oder warum ging das dort schneller?
„Da sind Berufskrankheiten zum Teil anders definiert, und das geht dann einfacher. Wir haben in Deutschland hohe sozialrechtliche Hürden. Und im Ärztlichen Sachverständigenbeirat arbeiten wir alle ehrenamtlich. Wir haben selber gesehen, dass es zu langsam voran ging. Deshalb wurde das Gesetz jetzt auch geändert und wir haben eine wissenschaftliche Geschäftsstelle. Wir hoffen, dass wir dadurch bei künftigen Entscheidungen zur Anerkennung von Berufskrankheiten schneller sind“.
Bei Pestiziden denkt man unweigerlich an Glyphosat, dessen Zulassung in Europa trotz vieler Proteste dennoch verlängert wurde, denn hinter Glyphosat und anderen Pestiziden stecken große Herstellerfirmen. Haben diese Firmen oder deren Lobbyisten versucht, eine „negative“ Entscheidung zu verhindern?
„Nein, da gab es keinerlei Einflussnahme der Hersteller“, so der „Vertreter des Bundessozialministeriums“.
Nun wurden also Risikogruppen definiert, wer gilt hier denn als besonders gefährdet?
„Landwirte, Winzer und andere Anwender von Pestiziden. Und da sind Herbizide, Fungizide und Insektizide eingeschlossen. Wenn man bei einem dieser Pestizide mindestens 100 Anwendungstage im Berufsleben hatte, dann ist das Kriterium einer Berufskrankheit bei einer gesicherten Diagnose Parkinson erfüllt“.
Was hatte Sie am Ende schließlich überzeugt, so dass sie sicher sagen können, Pestizide können Parkinson verursachen?
„Letztlich die Vielzahl an Studien aus der ganzen Welt – etwa aus Frankreich oder den USA. Da gab es Studien mit einer guten Datenqualität, auch über die Dosis-Wirkungs-Beziehung“.
Was ändert sich nun dadurch für Betroffene, durch die Anerkennung als Berufskrankheit?
„Wenn ein Betroffener eine Berufskrankheit anerkannt bekommt, dann wird auch geprüft, inwiefern eine Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliegt. Diese Minderung der Erwerbsfähigkeit wird dann in Prozentzahlen angegeben, und dafür gibt es eine finanzielle Entschädigung. Die Zahlung orientiert sich am letzten Jahresbruttoverdienst des Beschäftigten. Und es gibt weitere Leistungen der Unfallversicherung, die sind besser als die normalen Leistungen der Krankenversicherung, wo es immer nur um das Notwendige geht“.
Es gibt ja inzwischen deutlichere Warnhinweise, Arbeitsschutzkleidung und -ausrüstung für den Umgang mit Pestiziden, ganz anders, als in der Vergangenheit. Reicht das nun aus?
„Die Warnhinweise und Verfahrensregeln fürs Spritzen und Anmischen der Pestizide reichen schon aus. Wichtig wäre, dass sie angewendet würden. Oft fehlt das Bewusstsein für die Gefahr, und die Unterweisungen sind mangelhaft. Da könnte die Anerkennung als Berufskrankheit helfen. Eine neue Berufskrankheit schärft oft das Bewusstsein und bringt einen Schub für die Prävention. Das erhoffe ich mir jetzt auch für Parkinson und den Umgang mit Pestiziden“.
Sind die aktuellen Vorschriften denn auch praxistauglich und werden diese kontrolliert?
„Vor 30, 40 Jahre war das Gefahrenbewusstsein noch nicht so ausgeprägt. Aber es gibt auch heute noch Defizite. Gerade in kleinen und mittelgroßen Betrieben ist noch viel Nachholbedarf. Und auch bei den Kontrollen sehe ich Defizite“.
Was ist nun Ihre Botschaft an junge Landwirte, Gärtner und Winzer, die heute Pestizide nutzen? Müssen diese also Angst haben, in Zukunft an Parkinson zu erkranken?
„Ich finde es aus ökologischer Sicht sinnvoll, so wenige Pestizide wie möglich einzusetzen in der Landwirtschaft. Wenn man sie einsetzt, ist es wichtig, dass man sich persönlich schützt, um das Erkrankungsrisiko so gering wie möglich zu halten. Und da geht es vor allem um den Kontakt über die Haut und Atemwege. Wir können sagen: Je weniger ein Landwirt spritzt, desto niedriger ist das Risiko. Und wenn er Pestizide nicht meiden kann, dann muss er sich und seine Beschäftigten gut schützen“.
Aus der Praxis
Der Bauer Hubert R. leidet an Parkinson, ein Schicksal also, das er mit vielen Landwirten, Winzern und Gartenbauern teilt. Wie er den seinen Arbeitsalltag bewältigt hatte er persönlich in einem Gespräch mit dem Wochenblatt geschildert.
Der 62-Jährige, der in der Gemeinde Niedertaufkirchen einen Hof mit Gastronomie besitzt, soll nun, im Rahmen einer schriftlichen Befragung Auskunft geben, wann und wie oft er mit welchen Pflanzenschutzmitteln Kontakt gehabt hatte.
Der großgewachsene Mann mit dem kräftigen Händedruck sitzt in einem Gartenstuhl auf der Terrasse seines Hauses, blättert durchs Papier, blickt hinüber zum Kuhstall. Seit einigen Jahren stehen keine Kühe mehr darin. „Also, ich hab‘ die ganzen Mittel nicht mehr im Kopf“, sagt er und fügt hinzu, „apropos Kopf, der funktioniert bei mir schon länger nicht mehr richtig.“ Hubert R. hat Parkinson.
In Deutschland sind rund 400.000 Männer und Frauen an Parkinson erkrankt, darunter überdurchschnittlich viele Landwirte, Winzer und Gartenbauer. Betroffene erhalten ihre Diagnose meist zwischen dem 55. und 60. Lebensjahr. Hubert R. war 50, als er gemerkt hatte, dass etwas mit ihm nicht stimmt.
Der Landwirtschaftsmeister, Kreisrat, Ehemann und Vater von vier Kindern führte ein gutes Leben in diesem Jahr 2012. Sieben Jahre zuvor hatte er von konventioneller auf ökologische Landwirtschaft umgestellt. „Die beste Entscheidung meines Lebens“, sagt er, auch wenn Kollegen ihn dafür angefeindet hatten.
Arbeit gab es reichlich, 120 Milchkühe und 80 ha Ackerland bewirtschafteten R. und seine Frau. Die Tochter und die drei Söhne sollten ihre Berufe einmal frei wählen können, anders als bei ihm, der als Erstgeborener zum Landwirt erzogen worden war. Der Biobauer hielt Vorträge über ökologisches Wirtschaften, bildete Lehrlinge und Praktikanten aus, engagierte sich auch bei der Ökologisch-Demokratischen Partei.
Krankheit entwickelt sich schleichend
„Ich konnte meine Arbeit nicht mehr ordentlich verrichten, ich hab‘ mich so geschämt“, gesteht er. Sein Hausarzt überweist ihn schließlich an eine psychosomatische Fachklinik. Dort diagnostizieren die Ärzte eine Depression. An Parkinson dachte zu diesem Zeitpunkt niemand. Heute weiß der Landwirt, „Depression ist ein typisches Begleitsymptom der Krankheit. Er ist überzeugt, „2012 ging es los damit.“
Schon Jahre bevor Parkinson sichtbar wird, sterben im Gehirn Nervenzellen ab, die den Botenstoff Dopamin produzieren. Die Folge ist somit zunehmender Dopamin-Mangel, das jedoch unter anderem die Bewegungen steuert. Fehlt dies, zeigen sich die typischen Symptome der Parkinson-Krankheit. Medikamente lindern die Krankheit, heilbar ist sie jedoch nicht.
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