Neues EU-Überwachungsprogramm: Privatjet-Lobby lamentiert wegen Grenzkontrollen

Auch an kleineren Flugplätzen müssen Geschäftsreisende aus dem Schengen-Ausland bald zwingend durch die Bundespolizei kontrolliert werden. Ein Verband schlägt deshalb Alarm und warnt vor dem Bedeutungsverlust der deutschen Wirtschaft.

Ein Cessna-Privatflugzeug kreuzt den Weg eines größeren Passagierflugzeugs an der Landebahn auf dem Flughafen Düsseldorf
Müssen Privatjets künftig Umwege in Kauf nehmen? – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Jochen Tack

Im Oktober nimmt die Europäische Union das neue „Ein-/Ausreisesystem“ (EES) in Betrieb. Dann müssen auch visumfrei Reisende beim Grenzübertritt in den Schengenraum vier Fingerabdrücke und das Gesichtsbild abgeben – egal ob sie aus touristischen oder aus geschäftlichen Gründen einreisen.

Dadurch entsteht eine riesige biometrische Datenbank, die auf Drängen der EU-Staaten auch Polizeien und Geheimdiensten nutzen dürfen. Kritiker sehen in dem milliardenschweren EES deshalb ein beispielloses Überwachungsprogramm.

Das neue System soll auch Lücken in der Grenzabfertigung schließen. Dies betrifft unter anderem kleinere regionale Flugplätze, auf denen Privatjets in oder aus Staaten außerhalb des Schengen-Raums starten und landen. Dort werden die Passagiere bislang nicht durch Bundespolizisten kontrolliert, sondern durch private Mitarbeiter des Flugplatzbetreibers, die von der Bundespolizei geschult und vereidigt wurden.

Mit der Inbetriebnahme des EES werden beim Grenzübertritt einer Person nicht nur polizeiliche Datenbanken abgefragt, sondern jedes Mal auch Einträge vorgenommen. Dies ist den Sicherheitsfirmen jedoch nicht erlaubt. Deshalb dürfen die Flugplätze ab Oktober nicht länger Geschäftsreisenden aus dem Schengen-Ausland abfertigen. Das beträfe auch Privatjets aus Großbritannien oder der Schweiz.

Kontrollen durch private Mitarbeiter nicht länger möglich

Die EES-Richtlinie muss von den Schengen-Staaten verpflichtend umgesetzt werden, das Kontrollprivileg der Bundespolizei für alle Grenzübertritte lässt sich also nicht mehr kippen. Für die Flugplätze bedeutet das auch höhere Kosten, da sie nach dem Bundespolizeigesetz dazu verpflichtet sind, die notwendige Infrastruktur für die Beamten bereitzustellen, insbesondere die erforderlichen Diensträume. Andernfalls müssen sie auf Landungen aus Nicht-Schengen-Staaten verzichten.

Die Bundespolizei hat alle betroffenen Flugplätze über die ab Herbst geltende Neuregelung informiert. Das ruft nun die „Interessengemeinschaft der Regionalflugplätze“ (IDRF) auf den Plan. Sie warnt vor Mehrkosten in vierstelliger Höhe, wenn Privatjets für die Grenzabfertigung Umwege fliegen und auf einem internationalen Flughafen zwischenlanden müssten. Das sei „umweltschädlich und teuer“, so der Verband. Zudem könne der Mehraufwand den Flugplan großer Flughäfen durcheinander bringen – sofern diese überhaupt Kapazitäten für weitere Starts und Landungen haben.

Rund 1.000 mittelständischen Unternehmen, die als Weltmarktführer bekannt sind, drohe der Bedeutungsverlust, vermutet die IDRF. Zudem drohe der „Stillstand wichtiger Anlagen“ im Produktions- und Zuliefererbereich, wenn auch Expressfrachtflüge aus Nicht-Schengen-Staaten an internationale Flughäfen umgeleitet werden müssten. Auch seien luftfahrttechnische Betriebe häufig an kleineren Flugplätzen angesiedelt, betont der Lobbyverband. Die Neuregelung der EU-Grenzkontrollen bedeute für diese Firmen ebenfalls einen „erheblichen Wettbewerbsnachteil“.

Glaubt man der Interessengemeinschaft, könnte die Einführung der neuen EU-Überwachung zudem einschneidende Konsequenzen für den Sport- und Kulturbetrieb nach sich ziehen. „Bei fehlender Grenzabfertigung müsste häufig die Teilnahme einzelner Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport abgesagt werden“, heißt es in einer Stellungnahme, die netzpolitik.org vorliegt. Das gelte auch für die Profi-Sportmannschaften, wenn diese aus Nicht-Schengen-Staaten nach einem Auswärtsspiel „mit engem Zeitplan zurückkehren“.

Verband will On-Demand-Kontrollen durch benachbarte Kasernen

Die Privatjet-Lobby will auf die Schengen-Auslandsreisen nicht verzichten, scheut aber die höheren Kosten. Anstatt Bundespolizisten dauerhaft an den Flugplätzen zu stationieren, könnten diese etwa kurzfristig aus benachbarten Kasernen anreisen, um eine vorher angekündigte Landung aus einem Nicht-Schengen-Staat abzufertigen. So steht es in dem Forderungspapier der IDRF. Einige örtliche Bundespolizeidirektionen hätten sich hierzu auch bereit erklärt, so der Verband, es fehle aber an der Ermächtigung der übergeordneten Dienststelle.

An anderen Inspektionen mangele es dafür an Personal, heißt es weiter. Dort könnte das „bayerische Modell“ geprüft werden, wonach auch die Polizei eines Bundeslandes Grenzkontrollen vornehmen darf. Bislang ist dies aber nur im Freistaat umgesetzt.

Seitens der Bundespolizei seien in diesem Kontext „keine Abstimmungen mit den Verbänden der Regionalflughäfen geführt worden“, heißt es beim Bundespolizeipräsidium. Auch über etwaige „Anpassungen beim Einsatz der Hilfspolizeibeamten“ habe es noch keinen Austausch gegeben. „Seien Sie versichert, dass die Bundespolizei die erforderlichen grenzpolizeilichen Maßnahmen an den zugelassenen Grenzübergängen der Verkehrslandeplätze gewährleistet“, so ein Sprecher gegenüber netzpolitik.org.


Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.

Getting new content in
:

Nur wer angemeldet ist, geniesst alle Vorteile:

  • Eigene Nachrichten-Merkliste
  • Eigener Nachrichtenstrom aus bevorzugten Quellen
  • Eigene Events in den Veranstaltungskalender stellen
M T W T F S S
1
 
2
 
3
 
4
 
5
 
6
 
7
 
8
 
9
 
10
 
11
 
12
 
13
 
14
 
15
 
16
 
17
 
18
 
19
 
20
 
21
 
22
 
23
 
24
 
25
 
26
 
27
 
28
 
29
 
30
 
31