Am Dienstag treffen sich die Außenminister der 32 NATO-Staaten in Brüssel, um bei einer zweitägigen Zusammenkunft über die Situation in der Ukraine zu beraten. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass das Militärbündnis den Drang der ukrainischen Führung nach einer NATO-Einladung bei dem Treffen beherzigen werde, wie Diplomaten unter der Bedingung der Anonymität gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters mitteilten.
Der neue ukrainische Außenminister Andrei Sibiga reist auch zu Gesprächen nach Brüssel. In einem Schreiben, das der Redaktion vorliegt, appelliert der Diplomat an die NATO-Mitglieder, die Einladung an die Ukraine als eines der Ergebnisse des Treffens in Brüssel zu verabschieden.
"Ich fordere Sie auf, diese Entscheidung zu unterstützen, um der Ukraine die Perspektive einer Mitgliedschaft in der Allianz zu eröffnen", schrieb Sibiga. "Die Einladung sollte nicht als Eskalation betrachtet werden", so der Politiker. Mit der klaren Erkenntnis, dass die Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO unvermeidlich sei, werde Russland sein Hauptargument für die Fortsetzung des Krieges verlieren, behauptete der Minister.
Diplomaten zufolge gebe es unter den NATO-Mitgliedsstaaten keine Anzeichen eines Konsenses, um bei dem Treffen in Brüssel zu dieser Entscheidung zu gelangen, berichtet Reuters. "Es wird Wochen und Monate dauern, um einen Konsens zu finden", sagte ein hochrangiger NATO-Diplomat gegenüber der Agentur am Montag im Vorfeld des Treffens. "Ich glaube nicht, dass das morgen passiert, ich wäre sehr überrascht." Das Treffen werde sich darauf konzentrieren, die Unterstützung für die Ukraine zu verstärken, damit sich Kiew im kommenden Jahr in einer möglichst starken Position wiederfinde, falls Verhandlungen stattfänden, sagte ein hochrangiger US-Beamter.
Kiew betrachte die NATO-Mitgliedschaft als die beste Garantie für die künftige Sicherheit des Landes, so Reuters. Laut dem Nordatlantikvertrag müssen sich die Mitglieder im Bündnisfall gegenseitig Beistand leisten. Artikel 5 sieht eine kollektive Verteidigung im Falle eines Angriffs auf einen der NATO-Mitgliedstaaten vor.
Vergangene Woche erklärte der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij, dass Kiew für einen Waffenstillstand mit Russland bereit sei, aber unter der Bedingung, dass die NATO die von Russland nicht kontrollierten Gebiete der Ukraine beschütze.
"Wenn wir die heiße Phase des Krieges beenden wollen, sollten wir das Territorium unter den Schutzschirm nehmen, den wir unter Kontrolle haben", sagte Selenskij in einem Interview mit dem britischen Fernsehsender Sky News. In diesem Interview habe Selenskij zum ersten Mal angedeutet, Kiew könnte bereit sein, Gebiete abzugeben, schreibt die Zeitschrift Politico. Was die Mitgliedschaft in der NATO angehe, sei es unwahrscheinlich, dass Trump einen NATO-Beitritt der Ukraine befürworte, heißt es weiter. Russland habe wiederholt deutlich gemacht, dass es einem NATO-Beitritt der Ukraine niemals zustimmen werde, so Politico.
Im Juli auf dem NATO-Gipfel in Washington hatten die Allianz-Mitglieder erklärt, dass das Bündnis die Ukraine nun auf einem "unumkehrbaren Weg zur vollständigen euro-atlantischen Integration einschließlich einer NATO-Mitgliedschaft" sehe, heißt es in der Abschlusserklärung des Treffens. Weder eine formelle Einladung wurde ausgesprochen noch ein Zeitplan für die Mitgliedschaft festgelegt.
Reuters betont, dass eine solche Entscheidung vor allem von den USA abhänge. Das Thema werde für Trump auf der Tagesordnung stehen, wenn er sein Amt im Januar antrete.
Die Regierung unter dem scheidenden US-Präsidenten Joe Biden sei sich bewusst, dass jeder wichtige Schritt in Bezug auf die Ukraine im Idealfall von der neuen US-Regierung unterstützt werde, schreibt die Agentur weiter. Neulich sei die Ukraine eines der Themen der Gespräche zwischen dem Nationalen Sicherheitsberater Jake Sullivan und seinem Nachfolger Mike Waltz gewesen, schreibt Reuters. Allerdings sei unklar, inwieweit die scheidende und die neue US-Regierung miteinander übereinstimmen.
Während seiner Wahlkampagne hatte der designierte US-Präsident Donald Trump den Umfang der US-Hilfe für Kiew kritisiert und wiederholt versprochen, diese zu reduzieren und den Krieg binnen 24 Stunden zu beenden. Auf Details ging er allerdings nicht ein. Bisher hat er keinen detaillierten Plan vorgelegt, wie er den Konflikt zwischen Kiew und Moskau beilegen will.
Innerhalb des Bündnisses selbst wird diskutiert, ob die Ukraine Mitglied der Allianz werden soll. Einige NATO-Mitglieder, vor allem Ungarn, haben sich offen gegen Mitgliedschaft der Ukraine ausgesprochen. Diplomaten zufolge hätten auch einige andere Mitgliedstaaten wie die USA und Deutschland signalisiert, dass sie den gegebenen Zeitpunkt nicht für den richtigen hielten.
Mehr zum Thema – Trump vor der Tür: Selenskij gibt sich immer geschmeidiger
Meist kommentiert