Jeffrey Sachs zur Lösung der Nahostkriege und den Ursachen des Ukrainekonflikts – Teil 4

Im vierten und letzten Teil der Serie, spricht Professor J. Sachs über Lösungen zu den gefährlichsten Krisenherden unserer Welt. Zuvor ist es jedoch angebracht, den wahren Konfliktursachen auf den Grund zu gehen und diese richtig zu verstehen.

Professor Jeffrey Sachs:
«Die USA sollten nur eingreifen, falls sie angegriffen würden!»

Eine Studentin der Cambridge Union Society stellt an Prof. Sachs die vorletzte Frage

Alex Mitchell: Wunderbar – ich denke, wir haben noch Zeit für eine weitere Frage, möglicherweise zwei, falls die nächste kürzer ausfällt …

Frage: Vielen Dank, dass Sie heute bei uns auftreten. Ich meine, vieles, wovon Sie sprachen, entspricht der Wahrheit und war erfrischend anzuhören. Ich möchte wissen, wie Sie vorgehen wollen, um besagte Institutionen der Macht der Außenpolitik zu demontieren. Mir ist bekannt, dass speziell AIPAC einen enormen Einfluss ausübt – nicht nur darauf, wer gewählt und drankommt, sondern auch darauf, was nach der Wahl getan würde. Wie wollten Sie jemals die Offiziellen davon überzeugen, diese Verbindungen zu kappen?

Jeffrey Sachs: Ja – ich weiß: AIPAC ist natürlich eine Israel-Lobby. Sie ist seit Jahrzehnten äußerst einflussreich. Sie stellt nicht nur einen bedeutenden Wahlkampfsponsor, sondern auch ein Paradoxon amerikanischen Machtausübung dar: Mit ein paar hundert Millionen Dollar ist es möglich, sich in den USA eine Reaktion im Wert von zig Milliarden Dollar zu erkaufen. Im Grunde genommen verkauft sich unser Kongress sehr billig:

Falls Sie ein paar hundert Millionen Dollar übrig hätten, könnten auch Sie sich in die amerikanische Außenpolitik einkaufen!

Das ist der ironische Teil der ganzen Angelegenheit. Was wäre zu machen?

Ich bin der Meinung, dass sich das in der Tat zu ändern hätte, aber ich möchte, dass es schnell geht: Die Gefahr ist zu groß, denn Netanjahu versucht buchstäblich jeden Tag, einen Krieg gegen den Iran zu provozieren, der rasch zu etwas absolut Schrecklichem eskalieren könnte.

Ich denke, zwei Dinge könnten das ändern:

  • zum einen über die öffentliche Meinung in Amerika, wobei ich sagte, dass sie bezüglich solcher Fragen nicht sehr viel zählt. Aber sie ist absolut gegen das, was Israel tut, eingestellt. Es ist so schockierend brutal: Unerbittliche Bombardierungen finden statt – die Bösartigkeit ist so schrecklich, dass dies die amerikanische Öffentlichkeit und vor allem junge Menschen, schockiert. Mir haben sogar viele ältere Menschen, nachdem ich das ein paar Mal im Rundfunk gesagt hatte, empört geschrieben, dass auch sie gegen Israel wären. Das hat zu einer recht weit verbreitete Ansicht geführt.
  • zum anderen zeigt sich nicht nur die Weltöffentlichkeit, sondern auch die globale Politik schockiert.

Ich habe viel mit den Vereinten Nationen zu tun und stelle fest, dass Israel für seine Handlungen bei den Vereinten Nationen keine Unterstützung findet.

Was es noch findet, ist nur das Veto der USA und von Europa, welches sich wie üblich hinter den USA versteckt oder sich bei Abstimmungen seiner Stimme enthält.

Sogar die Europäische Union ist gespalten, weil es so fürchterlich ist. Was geschieht ist, dass Irland, Spanien, Norwegen und andere den Staat Palästina anerkannt haben, obwohl die USA sagten: „Tut das nicht!“

Doch mit jeder Resolution kommt es zu einer überwältigenden Mehrheit gegen die Handlungen Israels. Im Juli dieses Jahres hat der Internationale Gerichtshof über die Illegalität der israelischen Besatzung geurteilt. Ich glaube, dass in den kommenden Monaten ein Urteil des Internationalen Gerichtshofs ergehen könnte, welches Israel im Verstoß gegen die Völkermordkonvention von 1948 befindet. Das könnte gegebenenfalls einen schockierenden Moment, den ich für möglich halte, auslösen, obwohl man sich vorstellen kann, wie viel Lobbyarbeit derzeit dagegensteht.

Es sind also zwei Kräfte im Spiel. Meine Idee konkret ist, dass ich die Organisation für Islamische Zusammenarbeit und die Arabische Liga proaktiv auffordere, jetzt einen konkreten Plan vorzulegen. Ich meine, dass als einziger gegebenenfalls gangbarer Weg nach vorne gemäß Völkerrecht, die Errichtung des Staates Palästina neben dem Staat Israel wäre. Eine solche Zweistaatenlösung, die auf den Teilungsplan von 1947 zurückginge, findet sich in unzähligen Resolutionen des UN-Sicherheitsrats und der UN-Generalversammlung sowie in Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs verankert und basiert auf einer Grenzziehung, wie sie vor dem Sechs-Tage-Krieg zum Datum 4. Juni 1967 bestanden hat.

Ich dränge also darauf und hoffe, dass die Organisation für Islamische Zusammenarbeit mit 57 mehrheitlich islamischen Nationen und die Arabische Liga einen Plan für Frieden mit einer Zweistaatenlösung vorlegen und der UN-Sicherheitsrat bewaffnete Streitkräfte stellt, um beide Seiten auseinander zu halten:

Ich denke an mehr als nur gewöhnliche Friedenstruppen, sondern an die Stationierung wirklicher Truppen, um die beiden Seiten im Wesentlichen voneinander zu halten.

Der Iran hätte nach Errichtung des palästinischen Staates zugleich seine Hilfe für Hisbollah und Hamas sowie die USA ihre Sanktionen gegen den Iran einzustellen.

Wir setzen also das Puzzle zusammen und sagen: „Voilà!“ Das ist etwas, was für alle von gegenseitigem Vorteil wäre. Die Einzigen, die sich meiner Meinung nach dem widersetzen würden, könnten die Extremisten in Israel sein, wie Netanjahu, Smotrich, Ben-Gvir und andere Mitglieder dieser völlig widerwärtigen und genoziden Regierung, die sich derzeit in Israel an der Macht hält und sich nach meiner Einschätzung auf nur einer Stimme abstützen kann: Nämlich dem US-Veto!

Ich glaube, wenn der Sicherheits-Apparat der Vereinigten Staaten sich das ehrlich und leidenschaftslos ansieht – wenn das amerikanische Volk versteht, in wie viele Kriege Netanjahu das amerikanische Volk geführt hat und was für eine Katastrophe das bedeutete, dann sollte es tatsächlich möglich sein, das zu ändern. Aber es scheint als gesicherter Deal noch keineswegs sicher.

Ich möchte jedoch, dass der Rest der Welt den Vereinigten Staaten sagt: „Ihr seid nicht Israel – Ihr seid das Hindernis für Frieden – das einzige verbleibende Hindernis. Denn dafür brauchen wir nicht die Zustimmung Israels. Warum sollte Israel ein Veto gegen einen Staat Palästina bekommen? Natürlich, verfügt es nach internationalem Recht über kein Veto: Doch, Ihr, die Vereinigten Staaten, nutzt dieses Veto!“

Ich möchte, dass die Welt einen Plan verfolgt und in der Lage ist, das gegenüber dem israelischen Volk klar auszusprechen:

Es geht nicht darum, Israels Sicherheit zu verspielen – es geht vielmehr darum, Israels Sicherheit in seiner grundlegendsten Form zu sichern.

Alex Mitchell: Gut, ich denke, wir haben noch Zeit für eine ganz kurze letzte Frage und wenden uns an Sie, in der ersten Reihe …

Frage: Recht vielen Dank, Professor Sachs! Wenn man Ihrer Logik folgt, dass der zu erwartende Wert eines Atomkriegs bei Minus-Unendlich zu liege habe, könnte man daraus ableiten, dass die USA sich nie einmischen dürfe, falls eine Atommacht etwas Schlechtes täte. Wenn man diese Logik zu Ende denkt, könnte man argumentieren, dass man Nazi-Deutschland einfach über ganz Europa und Russland hätten marschieren lassen sollen, falls es Atomwaffen gehabt hätte. Gibt es einen Fall, in dem die USA militärisch eingreifen sollten – selbst auf die Gefahr eines Atomkriegs hin?

Jeffrey Sachs: Die USA sollten eingreifen, falls wir angegriffen würden – das ist etwas anderes!

Professor Jeffrey Sachs erläutert als Beispiel den Hintergrund zum Ukrainekonflikt

Doch, wir sollten nicht eingreifen, um zu provozieren. Das ist der grundlegende Unterschied.

Lassen Sie mich dazu über ein paar Minuten den Ukraine-Krieg erläutern:

Dies ist kein Angriff Putins auf die Ukraine, wie uns jeden Tag erzählt wird. Es begann am 9. Februar 1990: James Baker III, unser Außenminister, sagte zu Michail Gorbatschow, dass die NATO sich keinen Zentimeter nach Osten bewegen werde, falls er der deutschen Einheit zustimme, was im Grunde die Beendigung des Zweiten Weltkriegs bedeutete. Und Gorbatschow sagte, was sehr wichtig das sei, nämlich:

Ja – die NATO bewegt sich nicht und wir stimmen der deutschen Vereinigung zu!

Doch, die USA begannen schon im Jahr 1994 falsch zu spielen, indem Clinton den Plan einer NATO-Erweiterung bis in die Ukraine freigab. Zu diesem Zeitpunkt übernahmen die sogenannten Neokonservativen die Macht und Clinton war der erste Agent dieser Gruppe.

Die Erweiterung der NATO begann 1999 mit Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik. . Zu diesem Zeitpunkt war Russland das ziemlich egal: Es gab keine (gemeinsame) Grenze außer der zu Königsberg, aber ansonsten gab es keine direkte Bedrohung.

Dann führten die USA 1999 die Bombardierung Serbiens an. Das war übrigens sehr schlimm! Es war der Einsatz von NATO gegen eine europäische Hauptstadt, um Belgrad zu bombardieren und zwar 78 Tage lang und das Land zu spalten. Das konnte den Russen ganz und gar nicht passen. Aber Putin wurde Präsident – sie haben es geschluckt – sie haben sich beschwert, aber selbst Putin begann als Pro-Europäer und Pro-Amerikaner sich tatsächlich zu fragen: „Sollten wir gegebenenfalls der NATO beitreten?“, als noch die Vorstellung von einer Art gegenseitiger respektvoller Beziehung zu existieren schien.

Dann kam es zum 11. September 2001! Dann kam man zu Afghanistan und die Russen sagten: „Ja, wir werden sie dabei unterstützen. Wir verstehen, dass man Terror zu eliminieren hat“.

Doch, dem folgten zwei weitere US-Handlungen von entscheidender Bedeutung:

  • Im Jahr 2002 traten die Vereinigten Staaten einseitig aus dem Anti-Ballistic Missile Treaty aus. Dies war wahrscheinlich das entscheidendste Ereignis, welches in diesem Kontext niemals angesprochen wird. Doch, es führte dazu, dass die USA Raketensysteme, die Russland als direkte Bedrohung seiner nationalen Sicherheit erachten musste, in Osteuropa stationierten, weil diese nur wenige Minuten von Moskau entfernt, einen Enthauptungsschlag gegen Russland möglich machten.

Wir haben dazu zwei Aegis-Raketensysteme aufstellen lassen, doch sagten, dass sie der Verteidigung dienten. Russland musste sich hingegen folgende Fragen stellen:

„Woher wissen wir, dass es sich nicht um Tomahawk-Raketen mit Atomsprengköpfen in den Silos der handelt? Sie sagen uns nur, das wir damit nichts zu tun hätten!“ So sind die USA im Jahr 2002 einseitig aus dem ABM-Vertrag ausgestiegen. Im Jahr darauf sind wir unter völlig falschen Vorwänden in den Irak einmarschiert, wie ich zuvor darlegte.

  • In den Jahren von 2004 und 2005 beteiligten wir uns in der Ukraine an einer Regimewechsel-Operation der sanften Art: Der ersten sogenannten Farb-Revolution! Sie brachte jemanden ins Amt, den ich gut kannte, nachdem ich mit Präsident Juschtschenko entfernt befreundet war und über die Jahre 1993, 1994 und 1995 als Berater der ukrainischen Regierung tätig war. Danach hatten die USA ihre schmutzigen Hände im Spiel. Sie sollten sich nicht in die Wahlen anderer Länder einmischen. Im Jahr 2009 gewann Janukowitsch die Wahl und wurde Präsident. 2010 hatte sich die Lage auf Grundlage ukrainischer Neutralität der Ukraine beruhigt, obwohl die USA die NATO drängten, doch, die Menschen in der Ukraine laut Meinungsumfragen keineswegs NATO angehören wollten. Sie wussten es, weil das Land entlang ethnischen Linien zwischen Ukrainern und Russen gespalten war: „Was wollen wir: Wir wollen uns aus Euren Problemen heraushalten!“

Am 22. Februar 2014 beteiligten sich die Vereinigten Staaten aktiv am Sturz von Janukowitsch: Eine typische US-Regimewechseloperation!

Daran hege ich keinen Zweifel. Die Russen taten den USA einen „Gefallen“: Sie fingen einen wirklich hässlichen Anruf zwischen Victoria Nuland und dem US-Botschafter in der Ukraine, Goeffrey Pyat ab, der bis heute als hochrangiger Beamter des Außenministeriums wirkt.

Victoria Nuland ist inzwischen meine Kollegin an der Columbia University. Falls Sie ihren Namen kennen und wissen, was sie anstellte, dann teilen Sie mit mir bitte Ihr Mitgefühl (Gelächter).

war defacto hauptverantwortliche Drahtzieherin der US/NATO-Kriegspolitik und verdeckter Operationen für Osteuropa. Sie operierte dazu unter der Decke ihrer diversen Funktionen aus dem US State Department (US Außenministerium) heraus: Sie war dazu von 2013 bis 2017 Assistant Secretary of State und ab Mai 2021 Staatssekretärin für politische Angelegenheiten im US-Außenministerium. Von Juli 2023 bis März 2024 war sie geschäftsführende US-amerikanische Vizeaußenministerin. Nachdem den Herren «in schwarzen Anzügen mit blauen Krawatten», wie Jeffrey Sachs sie im Teil 3 dieser Serie so treffend nannte – die Vertreter des US-Tiefen Staates bzw. sogenannter «Inter-Agencies» – erkennen mussten (was den europäischen Öffentlichkeiten vielfach verschwiegen wird), dass die Kriegspolitik in der Ukraine unter Nuland inzwischen zur endgültigen Niederlage des Westens – mit rund 600.000 Gefallenen und über einer Million verwundeter Ukrainern – geführt hatte, wurde Sie in Konsequenz im März 2024 aus ihren Funktionen im US-Aussenministerium schlicht entfernt/entlassen und in die Columbia Universität «abgeschoben», wo sie zugleich zur Kollegin von Jeffrey Sachs wurde. Darauf bezieht sich die Anspielung von Jeffrey Sachs gegenüber der Cambridge Union Society, die für Gelächter sorgte].

So sprachen, Nuland und Pyat über des Regimewechsels: Sie diskutierten, wer der nächsten Regierung angehören sollte und konferierten entsprechend , wie folgt:

Warum wählen wir nicht diesen? Nein – Klitschko sollte nicht dabei sein – Arsenij Jazenuk soll es werden. Wir werden den großen Macker – Biden – dazu bringen sich einzuschalten, um ihm auf die Schulter zu klopfen und „großartig“ zu sagen bzw. seinen Segen zu erteilen!

Sie bildeten also die neue Regierung : Ich wurde kurz darauf ohne den Hintergrund zu kennen, eingeladen dorthin zu reisen. Nach meiner Ankunft wurde mir einiges – wie und auf welch sehr hässliche Weise die USA darin verstrickt waren – dargelegt.

All dies bedeutet, dass die USA entschied, NATO tatsächlich zu erweitern, obwohl Putin wiederholt zuvor gesagt hatte:

Halt! Ihr habt uns doch versprochen, dass es keine NATO-Erweiterung geben werde?

Ich vergaß zu erwähnen, dass 2004 Estland, Lettland, Litauen, Bulgarien, Rumänien, die Slowakei und Slowenien – sieben weitere Länder – der NATO beigetreten waren. Und danach – es ist eine lange Geschichte – haben die USA die Grundidee stets zurückgewiesen, NATO in diesem Kontext nicht bis an die russische Grenze zu verschieben, um dort nicht die verdammten Raketensysteme unter Vertragsbruch aufstellen zu lassen.

Im Jahr 2019 sind wir aus dem INF-Vertrag zur Begrenzung nuklearer Mittelstreckensysteme ausgetreten.

Im Jahr 2017 waren wir aus dem JCPOA , dem Vertrag mit dem Iran als Partner für Vertrauensaufbau, ausgetreten. Mit anderen Worten: Es lief eine völlig rücksichtslose US-Außenpolitik!

Am 15. Dezember 2021 legte Putin einen Entwurf für ein russisch-amerikanisches Sicherheitsabkommen vor – man kann es im Internet finden. Die Grundlage dafür sieht vor, keine NATO-Erweiterung zuzulassen. Ich rief das Weiße Haus in der darauffolgenden Woche an und flehte die Leute an:

Nehmen Sie die Verhandlungen an, die Putin angeboten hat, um diesen Krieg zu verhindern.

 Die Antwort lautete: „Oh – Jeff, es wird keinen Krieg geben!“ Ich darauf: „Geben Sie bekannt, dass die NATO nicht erweitert werde!“ Darauf wurde mir gesagt: „Keine Sorge, NATO wird nicht erweitert!“

Ich warnte: „Oh – Sie werden sich einen Krieg deswegen einhandeln!“ Man versicherte mir das Gegenteil. Ich fragte, warum man dies nicht klarstellte. Jake Sullivan entgegnete: „Nein – nein, unsere Politik entspricht der einer offenen Tür!“

Unsere Politik wäre eine der offenen Tür? Wohl vielmehr eine offene Tür für NATO--Erweiterung, was übrigens in die Kategorie der „Verarschung“ fällt.

Man hat nicht das Recht, seine Militärstützpunkte überall dort, wo man möchte, zu errichten und zugleich Frieden auf der Welt zu erwarten. Man sollte hingegen Umsicht walten lassen. So etwas wie eine „offene Tür“, dass wir überall hingehen und unsere Raketensysteme aufstellen können und das dies unser Recht sei – das gibt es nicht. Dazu gibt es kein Recht!

Wir haben schon im Jahr 1823 erklärt, dass Europäer nicht in die westliche Hemisphäre vordringen dürfen: Das ist die Monroe-Doktrin – es umfasst die gesamte westliche Hemisphäre .

Wie auch immer – sie haben die Verhandlungen abgelehnt, worauf die Spezielle-Militäroperation folgte: Fünf Tage später, signalisierte Selenskyj Bereitschaft zur „Neutralität“ und Türkei bot ihre Vermittlerdienste an.

Ich flog nach Ankara, um mich mit türkischen Unterhändlern zu treffen und genau zu erfahren, was vor sich ging. Es stellte sich heraus, dass sie außer ein paar Kleinigkeiten eine Einigung erzielt hatten. Doch, dann kamen die Vereinigten Staaten und Großbritannien und erklärten: „Auf keinen Fall – ihr habt weiterzukämpfen! Wir halten euch den Rücken frei – wir selbst sind nicht an der Front. Ihr werdet alle sterben, aber wir halten Euch den Rücken frei,“ als wir sie zurück an die Front drängten.

Inzwischen gibt es 600.000 Tote unter den Ukrainern, nachdem Boris Johnson nach Kiew geflogen war, um ihnen aufzutragen, Tapferkeit zu beweisen: Es ist absolut grauenhaft!

Wenn ich also auf Ihre Frage zurückkomme, haben wir zu verstehen, dass wir es nicht, wie uns jeden Tag erzählt wird, mit einem Verrückten zu tun hätten, wie Hitler, der auf uns zukäme und dies und das verletzte, um Europa zu übernehmen. Das ist ein Schwindel und völlig falsche Geschichte. Es ist ein reines PR-Narrativ der US-Regierung.

Dieses Narrativ kann vor niemandem, der die Sache nur halbwegs verstünde, bestehen!

Versucht man darüber, auch nur ein Wort zu verlauten, wird man komplett aus Medien, wie ich beispielsweise aus der New York Times, ausgeschlossen. Das geschah im Jahr 2022, nachdem ich dort mein ganzes Leben lang Kolumnen geschrieben hatte. … Sie wollten seitdem keine 700 Wörter über das, was ich mit eigenen Augen gesehen habe und worum es in diesem Krieg gehe, von mir veröffentlichen lassen. Sie wollen es einfach nicht zulassen!

Es geht hier um Spiele: Gott bewahre, dass eine Atommacht uns angreifen wollte. Ich weiß nicht, was passieren würde. Doch, wir sind auf sie losgegangen und sollten damit aufhören, weiter China und Taiwan nachzustellen – das ist nicht unser verdammtes Geschäft:

Taiwan ist Teil Chinas. Die Taiwaner sagten es – die Volksrepublik China sagte es. Wir haben dem in unzähligen Kommuniqués, nachdem wir diplomatische Beziehungen zu China aufgenommen hatten, zugestimmt. Was zum Teufel tun wir da?

Wir schicken einseitig Waffen nach Taiwan. Unser Speaker of the House reiste nach Taiwan und Publikationen fordern, wie für jedermann nachzulesen steht, die künftige Katastrophe heraus. Darauf lohnt es sich, einen Blick zu werfen. Die US-Marine hat vor etwa drei Wochen ihren Plan vorgestellt – darin steht:

Wir müssen uns bis 2027 auf einen Krieg mit China vorbereiten!

Dort steht nicht, dass es einen Krieg mit China geben werde – vielmehr heißt es:

Wir müssen uns bis 2027 auf einen Krieg mit China vorbereiten!

Doch, es geht hier nicht um ein Videospiel! Sie spielen mit unser aller Zukunft! Für mich ist das völlig unfassbar. China bedroht kein anderes Land – niemanden und selbst im Disput um Atolle im Südchinesischen Meer – weiß man, warum China aufrüstet:

Das erklärt sich aus den ersten Seiten der US-Militärdoktrin, falls man sie gelesen hat: Dort geht es darum, Engpässe auf Chinas Seewegen zu installieren. China ist nicht an ein paar Felsen interessiert – es ist vielmehr daran interessiert, dass die USA nicht seine Seewege blockierten. Das ist alles! Man müsste nur die grundlegenden Punkte verstehen: Man hat den Seestraßen des anderen fern zu bleiben, damit wir nicht alle umkommen: Das ist nicht so schwer zu verstehen!

Übrigens, falls Sie sich mit einer anderen Struktur der Spieltheorie befassen, wäre das für Sie als formale Analytiker durchaus interessant, wie das Falke-Taube-Spiel oder Feigling-Spiel, wie es manchmal genannt wird: Es besagt, falls man der anderen Seite einen Atomkrieg androht, doch nicht in einen Atomkrieg verwickelt werden wollte, aber um Nachgiebigkeit zu erzielen, besser mit Schrecken drohe. Außer beide Seiten prallten gegeneinander – dann endete man im nuklearen Armageddon.

Wenn man dieses Spiel formal unter einer Punktestruktur studiert und wie ich vorschlage, dem Quadranten Falke – Falke ein Minus-Unendlich unterlegt, dann ist die Gleichgewichtslösung Taube-Taube. Die gemischte Strategie bestünde darin, die Wahrscheinlichkeit, dass man auf „Falke“ setzt, auf null zu bewerten: Falls man Minus-Unendlich mit einer endlichen Wahrscheinlichkeit oder einer positiven Wahrscheinlichkeit multipliziert, erhält man Minus-Unendlich. Diese Logik ergibt: Nicht mit Atomwaffen eine Mutprobe zu riskieren: Niemals!

So sagte ich dem CIA-Direktor : „Erzählen Sie mir nicht, ob Putin blufft oder nicht. Ich habe Ihr Memo aus dem Jahr 2008 gelesen, in dem es darum geht, wie sehr Russland über die NATO-Erweiterung in der Ukraine Besorgnis zeige!“ Das wurde übrigens von Julian Assange geleakt.

Derselbe Mann , der unser CIA-Direktor ist, war übrigens im Jahr 2008 US-Botschafter in Russland und schrieb ein Memorandum unter dem Titel „Njet bedeutet njet “, in dem er erklärte, dass nicht nur Putin, sondern die gesamte russische politische Klasse geschlossen gegen eine NATO-Erweiterung der Ukraine stünde.

Doch jetzt meint er zu uns: „Machen Sie sich keine Sorgen!“ Doch, sie veranstalten ein Spiel mit uns – das nehme ich übel, indem wir eines Tages eine Katastrophe erleben, wie man hier ankündigt. Das kann keine gute Antwort sein!

Präsident Kennedy merkte übrigens inmitten in der Kubakrise einmal am Rande an, dass er lieber eine rote als eine tote Tochter hätte. Er spielte damit auf den Auto-Aufkleber mit dem Slogan – „Lieber tot als rot!“ – an und vertrat die gegenteilige Ansicht.

Sie wissen, dass John F. Kennedy ein Mensch war – ein wunderbarer Mensch!

Ich weiß also nicht, wie die Antwort auf diese Frage lautet: Gott bewahre, aber wir befinden uns derzeit nicht in einer solchen Situation! Doch, der Weg aus dieser Situation heraus besteht nicht nur darin, sich aus den roten Linien des anderen herauszuhalten, sondern darüber hinaus auch abzurüsten:

Wir müssen zur Abrüstung von Atomwaffen zurückkehren!

Wir haben den Atomwaffensperrvertrag , den mittlerweile 91 Ländern ratifiziert haben und von einigen mehr unterzeichnet wurde – doch, darunter befand sich keine Atommacht. Aber der NVV stellt die richtige Antwort dar. Wir müssen dieses Damoklesschwert der Atomwaffen, welches, wie es Präsident Kennedy treffend nannte, über unseren Köpfen schwebt, loswerden. Das stellt wirklich das größte Risiko dar, dem wir uns gegenübersehen!

Alex Mitchell: Vielen Dank! Leider stehen wir am Ende der verfügbaren Zeit, doch  ich hoffe, dass Sie sich mir anschließen werden, um zu sagen: „Vielen Dank an Professor Sachs für Ihre interessante Rede!“ .

***

Teil I – Die Eröffnungsrede von Jeffrey Sachs: Hier

Teil 2Fragen & Antworten: Hier

Teil 3 – Fragen & Antworten: Hier

Übersetzung und Transkript-Erstellung: UNSER-MITTELEUROPA



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