EU-Rat: Chatkontrolle von der Tagesordnung genommen

Die Mitgliedstaaten der EU sind sich weiterhin nicht einig über die Chatkontrolle. Eine Sperrminorität im Rat hat zum wiederholten Male dazu geführt, dass das Thema von der Tagesordnung genommen wurde. Derweil melden sich noch mehr Kritiker der Chatkontrolle zu Wort.

Eine Kamera filmt eine Person, die einen Brief schreibt / Prompt: a surveillance camera filming a person writing a letter, illustration, black outlines
So wäre Chatkontrolle analog. (Symbolbild) – Public Domain generiert mit Midjourney

Die ungarische Ratspräsidentschaft hat die Chatkontrolle entgegen vorheriger Planungen von der Tagesordnung der heutigen Sitzung der Ständigen Vertreter im EU-Rat genommen. Dies bestätigte ein Sprecher des EU-Rates gegenüber netzpolitik.org. Der Schritt deutete sich gestern schon an, nachdem die Niederlande angekündigt hatten, sich zu enthalten. Dadurch steht die Sperrminorität im Rat gegen die Chatkontrolle.

Elina Eickstädt, Sprecherin des Chaos Computer Clubs, sieht das als einen Erfolg der anhaltenden Proteste gegen die Verordnung: „Dass die Chatkontrolle von der Tagesordnung genommen wurde, zeigt, dass eine aktive digitale Zivilgesellschaft in allen EU-Staaten nötig ist, um das Gesetz zu verhindern.“

Ein Sprecher des EU-Rates sagt allerdings auch, dass Ungarn „weiterhin aktiv Gespräche mit allen Mitgliedstaaten“ führe. „Der Verordnungsvorschlag könnte von daher nächste Woche wieder auf die Tagesordnung kommen“, so der Sprecher weiter. Die Chatkontrolle steht allerdings weiterhin auf der Tagesordnung des Treffens der Justiz- und Innenminister am 9. und 10. Oktober.

Unterdessen ist der aktuelle Verordnungstext vom 24. September (PDF) bekannt geworden, den das Medium „Contexte“ zuerst veröffentlicht hatte.

Was ist die Chatkontrolle?

Die EU-Kommission will mit der sogenannten CSA-Verordnung gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder vorgehen. Sie möchte dafür Internetdienste per Anordnung verpflichten, die Inhalte ihrer Nutzer:innen automatisiert auf Straftaten zu durchsuchen und bei Verdacht an Behörden zu melden. Das EU-Parlament bezeichnet das seit fast einem Jahr als Massenüberwachung und fordert, nur unverschlüsselte Inhalte von Verdächtigen zu scannen.

Die EU-Staaten können sich bisher nicht auf eine gemeinsame Position einigen. Mehrere Ratspräsidentschaften sind daran gescheitert, eine Einigung zu erzielen.

Jetzt versucht es Ungarn, das im zweiten Halbjahr 2024 die Ratspräsidentschaft innehat. Zuletzt hatte es vorgeschlagen, dass Dienste-Anbieter zunächst nur nach bekannten Straftaten suchen müssen – also nach Bildern und Videos, die bereits aufgefallen sind. Neues Material und Grooming sollen erst später verpflichtend werden, wenn die Technik gut genug ist.

Die Grundprobleme der Chatkontrolle bleiben bei dem Vorschlag der Ungarn bestehen: anlasslose Massenüberwachung, falsche Verdächtigungen, das Ende von zuverlässiger Verschlüsselung und Probleme mit der IT-Sicherheit.

Immer mehr scharfe Kritik

Das Vorhaben der EU-Kommission steht deswegen weithin in der Kritik – nicht nur von Digital- und Grundrechteorganisationen. Jüngst hatten mehr als 300 Wissenschaftler:innen aus der ganzen Welt vor der Verordnung – auch in der ungarischen Version – gewarnt.

Scharfe Kritik übt auch die Gesellschaft für Informatik (GI) an den Plänen der EU zur verpflichtenden Überwachung von privater digitaler Kommunikation: Der GI-Arbeitskreis Datenschutz und IT-Sicherheit warnt vor dem neuen Anlauf der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft. Zudem hat sich auch die internationale Dachorganisation der Informatik-Gesellschaften Council of European Informatics Societies (CEPIS) explizit dem offenen Brief gegen die geplante Verordnung angeschlossen.

Kürzlich hat sich auch das Forschungszentrum Informatik (FZI), eine Gründung des baden-württembergischen Wirtschaftsministeriums und der Uni Karlsruhe, in einem Positionspapier gegen die Chatkontrolle (PDF) gestellt.

Als ein weiterer erklärter Gegner der Chatkontrolle hat sich auch der niederländische Geheimdienst AIVD bekannt: Die geplanten Anordnungen für Anbieter von Ende-zu-Ende-verschlüsselter Kommunikation seien ein zu großes Sicherheitsrisiko.


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