Elektronische Patientenakte: Widerspruch im Keim erstickt

Im Februar 2025 kommt die elektronische Patientenakte für alle, die ihr nicht widersprechen. Die Krankenkassen sind verpflichtet, ihre Versicherten darüber neutral zu informieren. Dieser Pflicht kommen sie in vielen Fällen nicht nach, wie der Verbraucherzentrale Bundesverband herausfand.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf Werbetour für die „ePA für alle“ – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / photothek

Die „elektronische Patientenakte für alle“ (ePA) wird gut angenommen, könnte man meinen. Laut der größten deutschen Krankenversicherungen hat bislang nur ein Prozent der Versicherten ihrer Einrichtung widersprochen. Die Verhältnisse scheinen sich damit umzukehren: Bislang nutzt gerade einmal gut ein Prozent der Versicherten in Deutschland die elektronische Patientenakte.

Der geringe Widerspruch hat offensichtlich seine Gründe. Der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv) hat die Anschreiben mehrerer gesetzlicher Krankenkassen an ihre Versicherten analysiert.

Die Schreiben werden in mehrerer Hinsicht nicht den gesetzlichen Anforderungen gerecht, urteilt der Verband. Die Kassen würden weder umfassend noch neutral über die ePA aufklären. Eine informierte Entscheidung der Versicherten sei auf dieser Grundlage nicht möglich. Auch die Möglichkeiten, Widerspruch gegen die ePA einzulegen, würden die Kassen unzulässigerweise beschränken.

Die gesetzliche Pflicht, zu informieren

Schon in gut zwei Monaten, im Februar 2025, soll die ePA bundesweit starten. Dann erhalten alle Versicherten eine digitale Akte, die im sogenannten Opt-out-Verfahren nicht widersprechen.

Die ePA soll sämtliche Informationen rund um die Gesundheit gebündelt speichern – von vergangenen Behandlungen und Operationen, früheren MRT-Aufnahmen bis zu verschriebenen Medikamenten. Widersprechen Patient:innen nicht, werden die persönlichen Gesundheitsdaten außerdem pseudonymisiert zu Forschungszwecken zur Verfügung gestellt.

Zuvor müssen die gesetzlichen Krankenkassen ihre Versicherten über die Chancen und Risiken der ePA umfassend informieren – und zwar „in präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form“. So will es das Gesetz, konkret Paragraph 343 Absatz 1a Sozialgesetzbuch (SGB).

Dieser Pflicht kommen die Krankenkassen offenbar aber nur unzureichend nach. Insgesamt 14 Schreiben aus dem Zeitraum von Ende August bis Anfang Oktober hat der vzbv untersucht. Dabei fielen ihm wiederholt unvollständige, missverständliche und irreführende Aussagen zur ePA ins Auge.

Automatisch sicher?

So geben die Versicherungen unter anderem an, dass die ePA zu einer besseren medizinischen Versorgung, einfacherer Notfallversorgung und mehr Behandlungssicherheit führen würden.

Diese Vorzüge seien aber weder von einer digitalen Akte abhängig, noch würden sie sich automatisch einstellen, wie der vzbv in seiner Analyse betont. Vielmehr brauche es dafür besondere Rahmenbedingungen. Auch dass die ePA zu Beginn nur wenige Funktionen bereitstellt, sagen die Kassen nicht. So funktioniert etwa der digitale Impfpass derzeit noch nicht.

Bei den Themen Datensicherheit und Datenschutz könnten die Aussagen der Kassen ebenfalls zu Fehlannahmen führen. So schreibt etwa die HKK Krankenkasse: „Die ePA ist Ihr persönlicher, lebenslanger, digitaler Aktenordner für medizinische Dokumente, hochsicher und geschützt.“

Das aber klammere laut vzbv aus, dass die Versicherten selbst für die Sicherheit ihrer Endgeräte verantwortlich sind. Dass Gesundheitsdaten mehr wert sind als Kreditkartendaten und zunehmend ins Visier von Kriminellen geraten, lassen die Kassen ebenfalls unerwähnt.

Dabei haben mehrere Organisationen Ende vergangenen Jahres in einem offenen Brief vor den Risiken der geplanten Gesundheitsdigitalisierung für die IT-Sicherheit und die Privatsphäre der Versicherten gewarnt. Unterzeichnet haben den Brief unter anderem der Verbraucherzentrale Bundesverband, die Deutsche Aidshilfe und der Chaos Computer Club.

Soll ich’s wirklich machen oder lass ich’s lieber sein?

Die AOK Bayern schreibt derweil: „Nur Sie und Personen, die Sie festlegen, haben Zugang, beispielsweise ärztliches Personal oder Familienangehörige. Ihre AOK hat keinen Zugriff.“

Tatsächlich aber „können alle behandelnden und berechtigten Leistungserbringer auf die Daten der ePA zugreifen, sofern deren Zugriff durch die Versicherten nicht aktiv widersprochen wurde“, wie der vzbv schreibt.

Konkret: Standardmäßig erhalten Ärzt:innen die Berechtigung, 90 Tage lang auf die ePA zuzugreifen, sobald Patient:innen ihre elektronische Gesundheitskarte in das Lesegerät einer Praxis stecken. Auch Apotheken, der öffentliche Gesundheitsdienst und Arbeitsmediziner:innen dürfen drei Tage lang auf die ePA zugreifen.

Wenn Versicherte den Zugang zu bestimmten Dokumenten nicht von Hand sperren, heißt das: Die Apotheke kann drei Tage lang alles einsehen – vom Therapiebericht bis zum Schwangerschaftsabbruch.

Widersprüchliches zum Widerspruch

Weitere Verwirrung stiften die Briefe laut vzbv beim Thema Widerspruchsrecht.

Zum einen variieren die von den Krankenkassen vorgeschlagenen Möglichkeiten, Widerspruch gegen die ePA einzulegen. Mal verweisen sie per QR-Code auf ein Online-Formular, ein anderes Mal kann ein Widerspruch nur postalisch erfolgen. Keines der Anschreiben, das der vzbv in Augenschein genommen hat, informiert indes über die Möglichkeit des telefonischen Widerspruchs.

„Die Krankenkassen dürfen den Versicherten nicht vorschreiben, wie der Widerspruch gegen die ePA zu erfolgen hat“, sagt Thomas Moormann, Gesundheitsexperte im vzbv. „Das setzt unangemessene Hürden und entspricht nicht den gesetzlichen Vorgaben.“

Auch die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) hatte Mitte Oktober in einem Rundschreiben explizit darauf hingewiesen, dass ein Widerspruch gegen die ePA „mittels sämtlicher Kommunikationskanäle“ und damit auch telefonisch erfolgen kann.

Widerspruch und Löschung ist jederzeit möglich

Auch zum Widerspruchszeitraum äußern sich die Versicherungen widersprüchlich. Mal nennen Kassen ein konkretes Datum, mal fehlt es, mal räumen sie eine Frist von unterschiedlich vielen Wochen ein. Das führt aus Sicht des Verbraucherzentrale Bundesverbands zu einer Ungleichbehandlung der Versicherten.

Eine Gleichbehandlung gibt es immerhin hinsichtlich des Hinweises, dass ein Widerspruch oder eine Löschung der ePA jederzeit möglich ist. Er fehlt in allen Briefen.

Aus Sicht des vzbv reichen die Schreiben an die Versicherten nicht aus: „Damit Patient:innen eine informierte Entscheidung für oder gegen die ePA treffen können, müssen sie auch die möglichen Risiken kennen“, sagt Thomas Moormann. „Und sie müssen wissen, welche Anwendungen ihnen ab Januar tatsächlich zur Verfügung stehen. Die Krankenkassen wecken hier zum Teil falsche Erwartungen.“

 


Weiterführende Links

Hier sind weitere Links mit Informationen zur elektronischen Patientenakte sowie deren Vor- und Nachteilen:


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