Bundeskanzler Olaf Scholz hat in einem Telefongespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin dazu aufgerufen, die "Logik des Krieges" hinter sich zu lassen. Dies erklärte der deutsche Botschafter in Moskau Alexander Graf Lambsdorff in einem Interview mit RBK.
Scholz betonte dabei, dass nur direkte Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine zu einem gerechten und dauerhaften Frieden führen könnten, so Lambsdorff.
"Wie die Bundesregierung mehrfach unterstrichen hat, liegt der Schlüssel zu einem stabilen Frieden in direkten Gesprächen zwischen Russland und der Ukraine", sagte der Diplomat.
"Die Entwicklungen in der Ukraine bestimmen, was Frieden für ganz Europa und die freie Welt bedeutet."
Lambsdorff fügte hinzu, dass der Kanzler während des Gesprächs deutlich gemacht habe, Russland müsse aufhören, einer "brutalen Kriegslogik" zu folgen.
Gleichzeitig hob er hervor, dass Scholz sowohl vor als auch nach dem Gespräch mit Putin Kontakt mit Wladimir Selenskij aufgenommen habe: "Ein Frieden ohne die Zustimmung der Ukraine ist nicht denkbar."
Trump, Europa und die Zukunft der NATO
Die bevorstehende Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus sorgt in Europa für Unsicherheit, insbesondere angesichts seiner früheren Äußerungen über ein mögliches Zurückfahren von US-Sicherheitsgarantien. Doch Lambsdorff blieb gelassen:
"Deutschland und die USA sind enge Partner. Unsere transatlantische Freundschaft ist nicht von einzelnen Parteien abhängig."
Er zeigte sich überzeugt, dass auch eine zukünftige US-Regierung Deutschland als verlässlichen Partner ansehen werde. Differenzen werde es geben, aber das sei in einer engen Partnerschaft normal.
Deutschlands Rolle im östlichen NATO-Flügel
Die militärische Zusammenarbeit Deutschlands mit Großbritannien, darunter gemeinsame Manöver und ein multinationaler Marinestützpunkt in Rostock, hat in Moskau Kritik ausgelöst.
Lambsdorff wies diese Vorwürfe entschieden zurück:
"Ein bilaterales Abkommen zwischen Deutschland und Großbritannien macht die NATO nicht zur Konfliktpartei mit Russland."
Die Stationierung einiger Verbindungsoffiziere in Rostock stelle keine Verletzung des Zwei-plus-Vier-Vertrags dar, so der Botschafter. Vielmehr hob er hervor, dass es Russland sei, das gegen internationale Vereinbarungen verstoße, etwa durch die Ausbildung nordkoreanischer Soldaten in Russland – ein klarer Bruch von UN-Resolutionen.
Ukraine-Hilfe: Schwerpunkt Verschiebung
Deutschland ist innerhalb der EU der größte militärische Unterstützer der Ukraine. Dennoch wurde im Haushaltsentwurf der deutschen Regierung vorgeschlagen, die Mittel für militärische Hilfen von sieben auf vier Milliarden Euro zu reduzieren.
Lambsdorff erläuterte: "Die parlamentarischen Beratungen laufen noch, und die jüngsten politischen Entwicklungen haben die Diskussionen unterbrochen. Wichtiger wird diesen Winter jedoch die zivile Unterstützung, insbesondere die Wiederherstellung der zerstörten ukrainischen Energieinfrastruktur."
Deutschland sei sich bewusst, dass weitere Schäden zu neuen Flüchtlingsströmen führen könnten – ein Szenario, das man unbedingt vermeiden wolle.
Binnengrenzkontrollen und Migration
Angesichts des steigenden Migrationsdrucks führte Deutschland Kontrollen an seinen Binnengrenzen ein, was in Polen Kritik auslöste.
Lambsdorff stellte klar, dass dies nichts mit ukrainischen Flüchtlingen zu tun habe:
"Die Maßnahmen richten sich gegen illegale Migration über die Balkanroute und das Mittelmeer."
Deutschland arbeite eng mit Polen zusammen, um die EU-Außengrenzen besser zu sichern.
Neue Parteienlandschaft und die Gefahr für die Demokratie?
Die jüngsten Wahlerfolge der Alternative für Deutschland (AfD) und der Partei von Sahra Wagenknecht haben eine Debatte über die Stabilität der deutschen Demokratie ausgelöst.
Lambsdorff zeigte sich diplomatisch zurückhaltend:
"Als Botschafter kommentiere ich die deutsche Innenpolitik nicht. Unterschiede in politischen Präferenzen gibt es jedoch nicht nur zwischen Ost- und Westdeutschland, sondern auch zwischen Nord und Süd."
Nord-Stream-Ermittlungen: Warten auf Ergebnisse
Zu den Untersuchungen über die Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines äußerte sich Lambsdorff vorsichtig:
"In Deutschland wird diese Untersuchung von der Bundesanwaltschaft geführt, nicht von der Regierung."
Bundeskanzler Scholz habe jedoch klargemacht, dass die Umstände aufgeklärt werden müssten.
Das Telefongespräch zwischen Scholz und Putin am 15. November war das erste direkte Gespräch der beiden Staatschefs seit fast zwei Jahren.
Laut Kreml fand ein "detaillierter und offener Meinungsaustausch" über die Lage in der Ukraine statt. Die deutsche Regierung erklärte, Scholz habe Russland aufgefordert, Verhandlungen mit der Ukraine aufzunehmen, um einen gerechten und nachhaltigen Frieden zu erreichen.
Putin selbst kommentierte später während eines Besuchs in Kasachstan, dass beide Seiten "bei ihren jeweiligen Standpunkten geblieben" seien.
Der Kreml teilte mit, dass die Berater der beiden Staatsoberhäupter weiterhin in Kontakt bleiben würden.
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