Es ist ein Lehrstück dafür, wie schlecht es um das Verhältnis der Parteineugründung Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) zur Pressefreiheit bestellt ist. In der Ausgabe Januar/Februar des Magazins „Journalist“, Organ des Deutschen Journalistenverbandes (DJV), schaltete das BSW eine ganzseitige Anzeige mit einer ziemlich unverhohlenen Presseschelte. V.i.S.d.P.: Lukas Schön, BSW-Bundesgeschäftsführer.
„Ihr Beruf steht für Integrität, Ausgewogenheit und die Suche nach Fakten, auch wenn diese unbequem sind“, heißt es im Text der Reklame, die wenige Wochen vor der Bundestagswahl erschien. „Lassen Sie uns gemeinsam darauf achten, dass Kritik fair bleibt und der demokratische Diskurs durch sachliche Berichterstattung gestärkt wird.“ Denn Journalismus präge die gesellschaftliche Debatte – „lassen sie ihn ein Vorbild sein“.
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BSW will vorschreiben, wie man über sie zu berichten hat?
Mit anderen Worten: Das BSW fordert will nicht nur einen Pakt zwischen Berichterstatter:innen und Partei für „demokratischen Diskurs“. Es erteilt Journalist:innen auch Ratschläge, wie sie ihre Arbeit zu machen haben. Und stellt die an den Pranger, die nicht den Vorstellungen von Wagenknecht & Co. für „Integrität“, „Ausgewogenheit“ und „faire Kritik“ entsprechen.
Zur Werbeanzeige gehören 15 Überschriften aus Texten von Qualitätsmedien über das BSW und seine Frontfrau Wagenknecht, von „taz“ bis FAZ. „Rechts oder links? Sahra Wagenknecht, die Nationalbolschewistin“ heißt eine.
Eine andere: „Was hinter der Zerstörungswut der Sahra Wagenknecht steckt.“ Eine dritte: „Autoritäre Auswüchse beim BSW: Lenin lässt grüßen.“
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Weitere Beispiele: „Sahra Wagenknecht und das Bündnis der Unwahrheit.“
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Oder: „Sie schadet der Demokratie.“
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Sind diese Texte allesamt unausgewogen, unsachlich, nicht von der Suche nach Fakten geleitet? Oder auch nur einer von ihnen? Denkt das Sahra Wagenknecht, denken das ihre Parteifreund:innen? Oder warum listet ihre Partei diese vermeintlich abschreckenden Beispiele in einem Verbandsorgan für Journalist:innen auf, wenn es ihr doch angeblich um die Vorbildfunktion des Journalismus geht?
Nun. Ganz offenbar fühlt sich die Partei der ehemaligen Linken-Politikerin von der Presse und vom Rundfunk schlecht behandelt.
Kritik sogar an Kommentaren
Es lohnt sich, zu den in der Anzeige dokumentierten Überschriften die Texte im Netz aufzurufen. Sechs der 15 sind Kommentare, in der „taz“, der „Frankfurter Rundschau“, dem „Spiegel“, dem „Handelsblatt“, der „Jüdischen Allgemeinen“, vom Redaktionsnetzwerk Deutschland. Was verrät es über Wagenknechts Verhältnis zur Meinungsfreiheit, wenn Kommentare, klar gekennzeichnete Meinungsbeiträge also, als unfair diskreditiert werden, wie es mit der Anzeige geschieht?
Zwei der inkriminierten Zeitungszeilen beziehen sich auf Gastbeiträge. Einmal wurde ein Interview mit einem Politologen geführt. „Von der Betonkommunistin zur Radikal-Opportunistin“ ist eine TV-Kritik des „Spiegel“ zu einer ARD-Doku über Wagenknecht überschrieben. Na und?
Talkshow-Königin: Weidel oder Wagenknecht?
Manchmal wurde bloß – harmloser geht es eigentlich kaum – aus Zitaten der politischen Konkurrenz eine Zeile gezimmert. „Bündnis Zarenknecht“ war eine Wortschöpfung der thüringischen SPD, bevor die dann doch mit BSW und CDU eine Koalition einging. „Das BSW ist die wahre Nachfolgepartei der SED“ – das hat ein CDU-Politiker aus Nordrhein-Westfalen dem „Tagesspiegel“ gesagt. Und der hat daraus die Überschrift gemacht. Noch einmal: Na und?
Ist das unausgewogen, unfair? Ebenso erschließt sich nicht, was an der Überschrift „BSW-Wähler haben oft rechtsextreme Positionen“ (ZDF-Bericht über eine im August 2024 veröffentlichte Studie der Berliner Forschungseinrichtung dpart, verwerflich sein soll. Aber warum wird diese dann in der Werbeanzeige kritisiert?
Womöglich aber hat die Medienkritik der Wagenknecht-Partei im DJV-Verbandsorgan doch durchaus Sinn: Das BSW will seine Rolle als Opfer der Medien pflegen. Der rechtsextremen AfD ist die Partei damit nicht unähnlich. Challenge um Deutschlands Talkshow-Königin: Sahra Wagenknecht oder Alice Weidel, wer gewinnt?
Mit AfD fürs „Zustrombegrenzungsgesetz“
Dass Wagenknechts Partei nicht mehr als links gelten will, hat sie bei der Gründungsversammlung vor einem Jahr gesagt. Bei der Abstimmung über das „Zustrombegrenzungsgesetz“ vergangene Woche im Bundestag stimmte die Mehrzahl der BSW-Abgeordneten für die von CDU-Chef Friedrich Merz eingebrachte Vorlage – gemeinsam nicht nur mit Union und einem großen Teil der FDP, sondern auch der AfD-Fraktion. Es gab ein paar wenige Austritte deswegen. Dass das dem „Spiegel“ eine Meldung wert war, empörte Co-Parteichefin Amira Mohamed Ali. „Die alten Parteien und die ihnen nahestehenden Medien“ wollten das BSW „offenkundig mit allen Mitteln aus dem Bundestag heraufdrängen“, sagte sie laut Nachrichtenagentur dpa.
Und natürlich dürfen und müssen kritische Medien auch die Nähe des BSW zum Kreml betrachten. „Wie AfD und BSW russische Positionen verbreiten“, steht über einer Analyse der FAZ, die es ebenfalls in die BSW-Anzeige im „Journalist“ geschafft hat.
„Der Versuch, einzuschüchtern.“
Ist es neuerdings unzulässig oder anrüchig, Sahra Wagenknecht als „Wladimira Putinowa“ zu bezeichnen, wie es der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk im August 2024 zugespitzt in einem ZDF-Interview getan hat?
Kowalczuk sagt dem Volksverpetzer zu dem Vorgang mit der Werbeanzeige, das BSW toleriere in der eigenen Partei keine abweichenden Meinungen. Es könne daher auch nicht damit umgehen, dass es von außen kritisch betrachtet werde. „Eine solche Anzeige ist nichts weiter als der Versuch einzuschüchtern.“ Gruppierungen mit Hang zum Autoritarismus und Totalitarismus seien „ausgesprochene Gegner freier Presse“. Deshalb würden sie sich übrigens alle ihre eigenen Medien kreieren.
„Enormes Störgefühl“ beim DJV-Chef
Beim Bundesvorstand des (DJV) kam die Anzeige der Wagenknecht-Partei übrigens gar nicht gut an. Der Bundesvorsitzende Mika Beuster erfuhr erst bei der Lektüre der schon fertiggestellten Zeitung von dem Vorstoß.
Beuster empfand ein, wie er dem Volksverpetzer sagt, „enormes Störgefühl“. Er sehe im BSW eine Partei, die sich gern als Opfer der Medien stilisiere und angeblich von denen missachtet sehe. Sie nehme einerseits Talkshow-Einladungen gern an, schließe dann wieder Journalist:innen von Parteitagen aus.
Der „Journalist“ ist, vertraglich vereinbart, redaktionell und verlegerisch unabhängig von seinem Herausgeber DJV. Chefredakteur Matthias Daniel verteidigt die Entscheidung zum Abdruck der Anzeige: „Parteienwerbung in Zeitungen und Magazinen ist eine etablierte Werbeform. Anzeigen müssen nicht neutral oder ausgewogen sein. Sie dürfen übertreiben und polarisieren.“
Von den Medien „hochgejazzt“
Aber auf den Leim gehen muss man dem BSW auch nicht. Der Journalist René Martens, der unter anderem regelmäßig für den vom MDR verbreiteten Medien-Blog „Altpapier“ schreibt, sagt, die Wagenknecht-Partei sei schon vor der offiziellen Gründung von den Medien „hochgejazzt“ worden, es gebe in deren Reihen eine „seltsame Faszination für sogenannte Rebellen“.
Allein auf der Online-Seite des „Spiegel“ fand Martens rund um die Tage der Parteigründung im Januar 2024 vier Texte. Und in der ARD gab es nach seiner Beobachtung zwischen Oktober 2023 und Juni 2024 in der ARD drei große Fernsehdokumentationen: „Der Bruch“, „Konfrontation: Markus Feldenkirchen trifft Sahra Wagenknecht“, „Trotz und Treue“. Martens kritisiert: „Eine völlig absurde Themenballung.“
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Änderungshinweis: Es wurde ergänzt, dass doch einige BSW-Mitglieder wegen der Abstimmung mit der AfD protestierten, Der Autor dieses Textes berichtete für den Tagesspiegel bis 2021 viele Jahre lang über die Linkspartei. In der Zeit unter Wagenknecht als Fraktionschefin der Linken im Bundestag wurde er mehrfach ausgegrenzt und der Versuch unternommen, ihn von Informationen abzuschneiden. Die Kolleg:innen der taz haben die damalige Kontroverse hier dokumentiert. Artikelbild: Michael Kappeler/dpa
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