Bidens Schäferhund und die Zukunft der EU

Von Dagmar Henn

Oktober vergangenen Jahres machte er Schlagzeilen, der Schäferhund der Bidens. Er hatte mehrere Mitarbeiter des Secret Service attackiert. Letzten Monat wurde bekannt, dass diese Vorfälle schwerwiegender waren – einmal mussten Besichtigungstouren durch das Weiße Haus für eine halbe Stunde unterbrochen werden, weil erst die Blutspuren beseitigt werden mussten.

Commander, so ironischerweise der Name des Hundes, war allerdings ebenso wenig schuld an dieser Entwicklung wie sein Vorgänger, Mayor, der ebenfalls Wachen des Präsidenten attackiert hatte und in der Folge abgegeben wurde; wie auch Commander, der nun bei einem anderen Mitglied der Biden-Sippe leben soll. Das Verhalten der Hunde ist im Kern eine Reaktion darauf, dass ihr Herrchen nicht mehr Herr seiner Sinne ist, aber immer noch wie der Chef des Rudels behandelt wird.

Inzwischen ist klar, dass auch die Vorfälle mit Commander kaschiert wurden; der Secret Service gestand Mitte Juni ein, dass eine Aufzeichnung eben jenes Angriffs, der zur Unterbrechung der Touren führte, gelöscht wurde, kurz nachdem bekannt wurde, dass auch die Zahl der Vorfälle bedeutend höher war.

Nun, es ist trotz des zunehmenden Drucks noch nicht klar, ob es den US-Demokraten gelingt, Biden noch loszuwerden. Und sollte das nur für die Kandidatur gelten, die Amtszeit des Greises aber weiterlaufen bis zum letzten Tag, dann müsste die Welt immer noch bis Januar nächsten Jahres mit einer unzurechnungsfähigen Person mit den Fingern auf dem berühmten roten Knopf leben.

Mehr noch – es gibt geradezu einen doppelten Selenskij. Denn nicht nur der Präsident der Ukraine hat nur noch eine zweifelhafte Legitimität und würde von Russland nicht mehr als möglicher Gesprächspartner anerkannt; die derzeitige Lage hätte die Konsequenz, dass auch aufseiten der USA kein legitimes Gegenüber mehr vorhanden ist.

Dabei ist die Situation innerhalb der EU selbst alles andere als stabil. Es ist zwar in vielen Ländern gelungen, Regierungen zu installieren, die weitaus mehr Gewicht auf die US-Interessen als auf die der eigenen Bevölkerung legen. Aber die Zustimmungswerte, die in Umfragen gemessen werden, sind unterirdisch und selbst scheinbare Stabilisierungen erweisen sich als Luftnummern.

In Frankreich wurde mithilfe eines zusammengeworfenen Linksbündnisses gerade noch ein Wahlsieg von Le Pen verhindert (um den Preis, dass alle Parteien in diesem Bündnis ausgerechnet mit der neoliberalen Marionette Macron kooperierten), aber die ersten konkreten politischen Fragen werden diese vermeintliche Volksfront zerlegen. Die Außenpolitik, die in der Zuständigkeit des Präsidenten liegt, dürfte weiterlaufen, während im Parlament eine funktionsfähige Mehrheit nicht in Sicht ist und eine politische Paralyse wahrscheinlich.

In Großbritannien wurden neoliberale Konservative durch neoliberale Labour-Protagonisten abgelöst, aber die Fortsetzung derselben Politik dürfte dann dazu führen, dass Labour ebenso zerstört wird, wie es die Konservativen jetzt bereits sind, ohne dass sich eine wirkliche Alternative formiert hätte.

Die anstehenden Landtagswahlen in Deutschland versprechen eine Katastrophe für die Regierungsparteien, aber die einzige Koalition, die einen anderen Kurs ermöglichen würde, wäre eine Koalition zwischen BSW und AfD. Was das BSW gerade erst völlig ausgeschlossen hat, während die AfD sich schrittweise dem NATO-Kurs annähert – während die Meinung der Bevölkerung sich in die Gegenrichtung entwickelt.

Nichts davon ist wirklich klug. Die Rezepte für eine langfristige Sicherung von Herrschaft würden echte Konzessionen fordern, Kompromisse. Demnach wäre es sinnvoller gewesen, das Rassemblement National schlicht regieren zu lassen, um dann zeigen zu können, wie wenig sich ändert. Oder, wenn der Unmut so groß ist, wie sich das in Großbritannien zeigt, eben an einigen Punkten nachzugeben; es ist absehbar, dass die neue Regierung von Keir Starmer das Gegenteil tun wird, schon allein, indem sie Großbritannien zurück in die EU holen will.

Nein, es ist eher so, als wolle man einen Rohrbruch mit Gaffer-Tape reparieren, weil man es sich unter keinen Umständen erlauben kann, das Wasser abzustellen, um das beschädigte Rohr auszutauschen. Nichts darf den Kriegskurs beeinträchtigen, nicht einmal das eigene Machtinteresse.

Dabei erweckt die Aggressivität der EU den Eindruck, als habe man es in Brüssel mit einer ganzen Meute von Commanders zu tun, alle ständig leicht desorientiert, weil im Herzen dieser hoch zentralisierten, auf Washington ausgerichteten Machtstruktur ein Vakuum herrscht, aber alle gerade aus diesem Grund besonders bissig.

"Ich regiere die Welt" erklärte Biden letzte Woche im Interview bei ABC (Min. 8:50). Ein Interview, das den Eindruck der Fernsehdebatte nicht auslöschte, sondern eher noch verstärkte; schließlich war der Interviewer extrem gewogen, und die Aufnahme wurde geschnitten. Am Sonntag, dem 7. Juli, hat das US-Portal Axios Details veröffentlicht, wie Joe Bidens Stab ihn auf Auftritte vorbereitet: mit Bildkarten, auf denen der Weg zum Rednerpult gezeigt wird. Was bedeutet, dass ihm der Zusammenhang zwischen einem solchen Pult und seiner Anwesenheit nicht klar ist, wie auch die Funktion des Pultes selbst; und dass die Tätigkeit, eine Rede zu halten, nur deshalb funktioniert, weil sie quasi automatisiert abläuft.

Wie sollen nun Menschen darauf reagieren, deren Karriere auf maximalem Gehorsam gegenüber den USA beruhte? In früheren Jahrzehnten wäre ein derartiges Interregnum im Weißen Haus als Gelegenheit wahrgenommen worden, zumindest etwas mehr Spielraum für eigenständiges politisches Handeln zu schaffen. Aber in welcher Weise sollte ein Bundeskanzler Olaf Scholz, der nicht einmal imstande war, auf die Ankündigung der Nord-Stream-Sprengung zu reagieren, eigenständig handeln? Ganz zu schweigen von jenen baltischen Zwergstaaten, deren einziges ökonomisches Konzept darin zu bestehen scheint, sich als Speerspitze gegen Russland zu prostituieren?

Wer erwartet, dass das derzeitige Chaos in der US-Führung zu einem rationaleren Handeln in Teilen der EU führt, wird schwer enttäuscht werden. Es mag ja sein, dass die Rundreise, die der – mit Donald Trump befreundete – ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán unternahm, die Antwort auf die Frage ist, wie Trump meint, den Krieg in der Ukraine binnen 24 Stunden beenden zu können (schlicht, indem die Vorarbeit bereits jetzt geleistet wird). Aber aus Brüssel, aus Paris und Berlin werden nur noch aggressivere Botschaften kommen. Nicht, weil die Fantasie dieser Herrschaften, die Ukraine möge siegen, in irgendeiner Weise realistischer geworden ist, oder weil sie plötzlich industrielle Potenziale entdeckt haben, die ihnen zuvor unbekannt waren; nein, weil sie in einer dank ihrer Prägung für sie kognitiv nicht lösbaren Lage gefangen sind, auf die sie nur mit zunehmender Irrationalität und Bissigkeit zu reagieren vermögen. Leider kann man sie nicht einfach an andere Angehörige des Biden-Clans abtreten.

Mehr zum Thema - Die größte Schwäche der NATO liegt bloß

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