Massenhafte Fahnenflucht lässt die ukrainische Armee "aushungern" und "lähmt" Kiews Schlachtpläne, da die Truppen zu Zehntausenden fliehen. Das berichtete Associated Press (AP) am Freitag unter Berufung auf zwei Soldaten, die sich unerlaubt von der Truppe entfernt hatten, sowie auf Anwälte und ein Dutzend Beamte, von denen die meisten unter der Bedingung der Anonymität sprachen.
"Wir haben bereits das Maximum aus unseren Leuten herausgeholt", sagte ein Offizier der 72. Brigade gegenüber der US-Nachrichtenagentur und erklärte, warum das Problem so akut wurde.
Das Büro des Generalstaatsanwalts listet mehr als 100.000 Soldaten auf, die wegen Desertion angeklagt wurden, von denen fast die Hälfte allein in diesem Jahr von der Front geflohen ist. Aber die tatsächliche Zahl sei wahrscheinlich wesentlich höher, so AP. Ein Abgeordneter sagte der Nachrichtenagentur, es könnten bis zu 200.000 Deserteure sein. In einigen Fällen seien ganze Einheiten von ihren Frontpositionen geflohen, hieß es.
"Wenn es keine Frist für ein Ende gibt, wird er zu einem Gefängnis – es wird psychologisch schwer, Gründe zu finden, dieses Land zu verteidigen", sagte einer der Deserteure, der von der Nachrichtenagentur namentlich genannt wurde. Er wurde kurz nach seiner Befragung durch AP angeklagt.
Anfang dieses Jahres hat Kiew eine umfassende Reform des Wehrdienstes beschlossen, in der Hoffnung, damit die Einberufungsquote zu erhöhen. So wurde im Mai das Mindestalter für die Wehrpflicht auf 25 Jahre herabgesetzt. Washington verlangt nun von Kiew, es noch weiter herabzusenken – auf 18 Jahre.
Die Wehrpflicht wird von Offizieren und ihren zivilen Helfern brutal durchgesetzt. Einer der Rekrutierer sagte, der Umgang mit seinen Zielpersonen gleiche dem Umgang "mit einer in die Enge getriebenen Ratte", berichtete The Telegraph Anfang der Woche.
Der ukrainische Staatschef Wladimir Selenskij unterzeichnete diese Woche ein Amnestie-Gesetz, das Fahnenflüchtige, die zum ersten Mal desertierten, von der strafrechtlichen Verfolgung befreit, wenn sie sich freiwillig zum Kampf zurückmelden.
Im Juli 2023 warnte der russische Präsident Wladimir Putin, dass der Personalmangel das größte Problem des ukrainischen Militärs sei, nachdem Kiews "Gegenoffensive" im Sommer des Jahres gescheitert war. "Die ukrainischen Einheiten haben bei ihren selbstmörderischen Angriffen große Verluste erlitten. Zehntausende von Opfern", sagte er auf einer Sitzung des russischen Sicherheitsrates.
"Trotz der ständigen Razzien und der nicht enden wollenden Wellen der totalen Mobilisierung in den ukrainischen Städten und Dörfern stellt das derzeitige Regime fest, dass es immer schwieriger wird, Verstärkung an die Front zu schicken", fügte Putin hinzu. "Die Mobilisierungsreserven des Landes sind erschöpft."
Selenskij hat wiederholt einen Mangel an vom Westen gelieferten Waffen für die ukrainischen Rückschläge auf dem Schlachtfeld verantwortlich gemacht. Russische Vertreter werfen ihm vor, im Auftrag der USA einen Krieg "bis zum letzten Ukrainer" zu führen.
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