Auf der Bildungsmesse Didacta wird auch die AfD vertreten sein. Dagegen regt sich Widerstand.
Es war eine Offenbarung: Im Sommerinterview des MDR 2023 brauchte der ehemalige Geschichtslehrer und heutige thüringische AfD-Chef Björn Höcke nur wenige Minuten, um ein schul- und gesellschaftspolitisches Programm zu entwerfen, das Elemente des Nationalsozialismus enthält. So sah es jedenfalls der Fachdienst „Table Media“ , der das Interview damals analysierte.
Mit Sätzen wie „Gesunde Gesellschaften haben gesunde Schulen“. Oder: „Wir müssen das Bildungssystem von Ideologie-Projekten befreien, beispielsweise der Inklusion, beispielsweise dem Gendermainstreaming-Ansatz“. Damit habe der Rechtsextremist identitäre Ideologie verbreitet, schrieb der Autor Christian Füller. Er wies auch darauf hin, dass Höcke im Sender mit dem kaum bekannten Begriff des „agonalen Prinzips“ für eine Auslese geworben habe. Füller fasst Höckes Ziele so zusammen: „Wer in einem AfD-regierten Staat dazugehören darf und wer nicht, das bestimmt eine Elite.“
Dies vorausgeschickt zu einem Vorgang, der sich jetzt in Stuttgart ereignet, wo die AfD bei der Didacta, Europas größter Bildungsmesse vom 11. Bis 15. Februar eine Plattform für ihre demokratiefeindlichen Positionen bekommt. „Halle 7, Stand E 67, Hauptaussteller Alternative für Deutschland Landesverband Baden-Württemberg“, heißt es im Ausstellerverzeichnis.
Meldeportale der AfD gegen Lehrkräfte
Widerstand formiert sich: Der Hauptvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) bereitet ein Protestschreiben vor. Die GEW-Vorsitzende Maike Finnern hat vor, die Messe zu besuchen. Sie hat sich zum Thema AfD mehrfach klar positioniert. Im März vergangenen Jahres rief Finnern Lehrer:nnen in einem Interview mit der „Stuttgarter Zeitung“ auf, die Auseinandersetzung mit der rechtsradikalen Partei auch im Klassenraum zu suchen. „Die AfD ist eine Partei mit verfassungsfeindlichen Tendenzen. Das dürfen Lehrerinnen und Lehrer auch im Klassenraum so sagen.“
Seit Monaten warnt die GEW vor „Meldeportalen“ der AfD, über die Schüler:innen und Eltern anonym parteikritische Lehrkräfte melden sollen .
Didacta-Leitthema „Demokratiebildung“
Nun gibt es, allemal so kurz vor der Bundestagswahl, ganz unabhängig von der Kritik der GEW eine ganze Reihe von weiteren Gründen, die AfD von einer Messe auszuschließen, die sich in diesem Jahr das Leitthema „Demokratiebildung“ gegeben hat. Ein „wahnsinnig wichtiger Schwerpunkt“, schwärmt der Kommunikationsmanager der Messe Stuttgart, Yannik Elsäßer.
Eben jener Elsäßer beantwortet auf Anfrage des Volksverpetzers, warum die AfD aus Sicht der Messegesellschaft vertreten sein müsse: Die Messe Stuttgart sei ein Unternehmen mit öffentlicher Trägerschaft – „als solches dürfen wir Ausstellerinnen und Aussteller nicht aus politischen Gründen ablehnen“. Gesellschafter sind im konkreten Fall das Land Baden-Württemberg, die Landeshauptstadt Stuttgart und der Verband Region Stuttgart, in der sich die Landkreise der Region organisiert haben.
„Messe keine Zensurbehörde“
Elsäßer sagt, die AfD sei „demokratisch gewählt“. Und: „Eine Messe ist keine Zensurbehörde.“ Die von ihr „gezeigten Inhalte und Produkte“ würden „nicht gegen Gesetze verstoßen“ und seien auch „mit der Nomenklatur der Veranstaltung vereinbar“. Auch andere Parteien sind auf der Messe vertreten – auch die beiden baden-württembergischen Regierungsparteien Bündnis 90/Die Grünen und CDU.
Als juristisches Argument führt der Messe-Sprecher an: „Wenn eine Ausstellerin/ein Aussteller lediglich unerwünscht ist, haben wir keine Grundlage zur Ablehnung und würfen wir dies doch versuchen, kann das einen Schadensersatzanspruch begründen.“
Inhaltlich ist die Südwest-AfD bei Höcke
Inhaltlich passt zwischen den eingangs erwähnten Aussagen von Höcke zur Bildungspolitik und den Positionen der AfD- Baden-Württemberg kein Blatt. In den auf der Internetseite des Landesverbandes veröffentlichten bildungspolitischen Leitlinien heißt es beispielsweise, die Inklusion von Schülern mit körperlichen Einschränkungen dürfe nicht „um jeden Preis“ geschehen, eine Förderung in „spezialisierten Sonderschulen“ sei „in vielen Fällen besser“.
Es finden sich Sätze wie: „Die staatliche Förderung kultur-linker Vereine, die unter dem Deckmantel von Kunst und Kultur Klientelpolitik betreiben, lehnen wir ab.“ Oder: „Jede ideologisch motivierte Einflussnahme auf Lehre und Forschung, zum Beispiel seitens der Gender-Ideologie, lehnen wir ab.“
Im vergangenen Juni hatte die Kultusministerkonfererenz ausführlich über Höckes Machtgelüste beraten – und wie am besten darauf zu reagieren ist.
Rechtsextremer Verdachtsfall
Auch formal ist die AfD in Baden-Württemberg keine Partei wie jede andere: Der Verfassungsschutz stuft sie als „rechtsextremen Verdachtsfall“ ein. Eine Beschwerde dagegen wies der Verwaltungsgerichtshof im November zurück .
Autor:innen wütend und fassungslos
Es gibt inzwischen zahlreiche Proteste gegen die AfD-Präsenz auf der Didacta. Die Weiterbildnerin Anja Cantzler sagt, sie sei „wütend und gleichzeitig fassungslos“. „Wie kann eine Messe, die Bildung als Grundlage einer demokratischen Gesellschaft begreift, einer Partei Raum geben, die für Ausgrenzung, Geschichtsrevisionismus und Angriffe auf Grundwerte unserer Demokratie steht?“
Die Buchautorin Sandra Richter erklärt: Es gehe nicht um „Neutralität“ und „Meinungsfreiheit“, wenn verfassungsfeindlichen Parteien kein Stand auf einer Messe gewährt werde. Es gehe um den Erhalt und die Verteidigung ebendieser Demokratie. Wann endlich, fragt Richter weiter, „wird verstanden, dass Pädagogik hochpolitisch ist und auch das pädagogische Einfallstor für rechte Einflussnahme und Metapolitik“? Und: „Jeder Akt wie dieser dient der Normalisierung rechten und rechtspopulistischen Gedankenguts.“
Bob Blume, Bestseller-Autor und Bildungsinfluencer: „Das wird nicht das letzte Mal sein, dass diese Partei versucht, Bildung zu beeinflussen und demokratische Events zu unterwandern. Wir müssen Flagge zeigen und dagegenhalten.“
Und Inke Hummel, Kinderbuch- und Ratgeberautorin, meint: „Es geht um die Bildung unserer Kinder.“ Dass die AfD auf der Didacta vertreten sei, dürfe nicht kommentarlos bleiben: „Es kann nicht sein, dass wir uns auf der Didacta für Vielfalt, Inklusion und Schutz aller Kinder einsetzen und an einem Stand wird das aus politisch gefährlicher Ecke untergraben.“
Hummel hatte im vergangenen Juni eine Initiative gegen Bücher mit „antidemokratischen“ Positionen im Freiburger Herder-Verlag mit angestoßen.
Didacta unter Druck
Die Liste der Beschwerdeführer:innen gegen die Didacta als Plattform für extrem rechtes Gedankengut ließe sich fortführen.
Die Gesellschafter der Stuttgarter Messe hielten sich mit einer Bewertung des Vorgangs zurück. Der Pressesprecher der Stadt Stuttgart, Harald Knitter, sagte: „Für das operative Geschäft ist die Landesmesse Stuttgart selbst zuständig“. Das Staatsministerium, die baden-württembergische Regierungszentrale also, ließ Fragen des Volksverpetzers unbeantwortet. Ebenso wie das von der Grünen-Politikerin Theresa Schopper geführte baden-württembergische Kultusministerium. Schoppers Behörde hat die Schirmherrschaft der Didacta inne.
Titelbild: Martin Schutt/dpa, Canva
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