Von Sergei Mirkin
Donald Trump wird das Amt als US-Präsident erst nach seiner Inauguration am 20. Januar antreten, und bis dahin wird es ein Ringen um seine Vision der Zukunft des Ukraine-Konflikts geben.
Den König macht die Entourage. In der Republikanischen Partei gibt es zwei Fraktionen, die sich grob in "Friedenstauben" und "Falken" einteilen lassen.
Erstere sind der Meinung, dass die Ukraine-Konfrontation aus mindestens zwei Gründen so schnell wie möglich beendet werden sollte: Die Unterstützung der Ukraine ist für die USA zu teuer, und es gibt keine Garantie dafür, dass die Situation nicht außer Kontrolle gerät und sich der Konflikt nicht zu einem Atomkrieg ausweitet.
Ein namhafter Vertreter dieser Fraktion ist der Unternehmer Elon Musk.
Es gibt die Fraktion der "Falken" – dazu gehören radikale Politiker, die davon überzeugt sind, dass es zur Erhaltung der westlich geprägten Weltordnung einer strategischen Niederlage Russlands bedarf, sowie die mit dem amerikanischen Militärindustrie- und dem Erdöl- und Erdgaskomplex verbundenen Politiker und Geschäftsleute, die dank des Konflikts in der Ukraine Superprofite erzielen und daher an einer Fortsetzung der Konfrontation interessiert sind.
Auf den ersten Blick scheinen die "Falken" schon zu Beginn verloren zu haben. Trump schrieb in den sozialen Medien, dass er dem ehemaligen Außenminister Michael Pompeo und der ehemaligen US-Vertreterin bei den Vereinten Nationen, Nikki Haley, keine Ämter in seiner Regierung geben werde. Trump reagierte damit auf US-Medienberichte, wonach Pompeo den Posten des Verteidigungsministers erhalten und Haley ebenfalls eine wichtige Position in der neuen Regierung einnehmen würde. Pompeo und Haley sind beide Vertreter der "Falken"-Fraktion und haben sich stets für die weitere Unterstützung der Ukraine eingesetzt. Darüber hinaus wurde Pompeo Mitglied des Vorstandes des ukrainischen Mobilfunkbetreibers Kiewstar, was ihn automatisch zu einem Lobbyisten für Selenskijs Team macht.
Die "Friedenstauben" versuchen, den Einfluss der "Falken" zu nivellieren.
So schrieb der sich für eine baldige Beendigung des Ukraine-Konflikts einsetzende Milliardär David Sachs in den sozialen Medien, dass die Kriegstreiber korruptes ukrainisches Geld erhielten – und Ilon Musk stimmte ihm zu.
Aber es ist noch zu früh, um von einer vollständigen Niederlage der "Falken" zu sprechen. Bis zum 20. Januar ist noch viel Zeit, und hinter dem Rücken der in der Öffentlichkeit agierenden Kriegsbefürworter stehen Menschen mit viel Geld und nützlichen Geschäftsbeziehungen.
Sollte Trumps Team tatsächlich einen "Friedensplan" vorschlagen, wie er im Wall Street Journal beschrieben wird, so wäre dies kein Schritt in Richtung Frieden, sondern lediglich eine Kampfpause, um der Ukraine die Möglichkeit zum Wiederaufbau ihrer Kräfte zu geben (neue Minsker Vereinbarungen). Es ist zweifelhaft, dass die russische Staatsführung dem zustimmen würde. Und dann könnten sich die "Falken“ in der neuen US-Regierung gegen die "Friedenstauben" durchsetzen. Aus diesem Grund lässt sich nicht eindeutig sagen, ob Trumps Politik friedensstiftend oder kriegerisch sein wird.
Von der Antwort auf diese Frage wird jedoch das Schicksal von Selenskij und seinem Team unter der Trump-Regierung abhängen. Die Vertreter des Büros des "abgelaufenen" ukrainischen Präsidenten gaben gegenüber westlichen Medien zu verstehen, dass Selenskij nach der Begegnung mit Trump nicht verzagt war, was auf ein normales Verhältnis zwischen den beiden Politikern hindeutet. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass dies nicht der Fall ist.
In Trumps Telefonat mit Selenskij war auch Musk involviert. Zu welchem Zweck? Wahrscheinlich wollte sich Trump auf diese Weise rückversichern, um einen glaubwürdigen Zeugen für diese Gespräche zu haben, falls Selenskij später in der Öffentlichkeit lügen würde. Und das zeigt Trumps Misstrauen ihm gegenüber.
Trump erinnert sich noch gut daran, wie nach einem Telefongespräch mit Selenskij im Jahr 2019 ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn eingeleitet wurde.
Und jetzt postete Trumps Sohn Donald Jr. einen Mini-Clip mit Selenskij und mit folgender Beschriftung über seinem Kopf:
"Du bist 38 Tage davon entfernt, dein Taschengeld zu verlieren."
Damit wird angedeutet, dass Selenskijs Team keine Finanzierung mehr erhalten wird, sobald Trump das US-Präsidentenamt übernimmt.
Darüber hinaus erwägen die USA die Möglichkeit, im Jahr 2025 Wahlen in der Ukraine abzuhalten.
Das sind schlechte Vorzeichen für Selenskij. Selenskijs Team ist ein Klient der US-Demokraten, und Trump braucht es nicht an der Machtspitze in der Ukraine. Wie kann er Selenskij stürzen? Dafür gibt es viele Optionen. So wird er zum Beispiel "aus gesundheitlichen Gründen" zum Amtsaustritt gezwungen, und im Gegenzug dazu erhalten Selenskij und seine Umgebung die Garantie einer persönlichen Sicherheit und eines wohlhabenden Lebens in der EU. Sollte Selenskij nicht freiwillig austreten wollen, wäre das Szenario eines Militärputsches nicht ausgeschlossen.
Alternativ könnte die neue US-Regierung Selenskij zum korrupten Diktator erklären und der Ukraine die Hilfe verweigern, solange er an der Macht ist. Dann werden auch viele EU-Länder dem Selenskij-Regime sofort die Finanzhilfe verweigern. In einem Brief an Trump forderte der ukrainische Abgeordnete Jewgenij Schewtschenko ihn auf, die Gesetzlosigkeit und Verfolgung politischer Gegner seitens Selenskijs Team zu stoppen. Dies könnte der erste Schritt in dem Szenario zur Entmachtung Selenskijs sein.
Wer kann Selenskij ersetzen? Vielleicht der ehemalige Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte Waleri Saluschny und der ehemalige ukrainische Präsident Petr Poroschenko – darüber wurde bereits viel geschrieben und gesprochen. Aber Trumps Sieg eröffnet auch anderen Politikern ein Fenster der Gelegenheit – zuallererst für Aleksander Dubinskij, einen ukrainischen Abgeordneten, der sich derzeit unter dem Vorwurf des Hochverrats im Gefängnis befindet.
Dubinskij ist der am stärksten mit den US-Republikanern verbundene ukrainische Politiker. Er unterstützte Trumps Vertreter bei der Aufklärung der Korruptionsfälle der Familie von US-Präsident Joe Biden. Und er könnte derjenige sein, den Trump an der Spitze des ukrainischen Staates sehen möchte. Zu den Wahlen wird er mit dem Heiligenschein eines Kämpfers gegen die Korruption und als Opfer von Selenskijs Regime antreten. Als Anhänger des ebenfalls in einem ukrainischen Gefängnis sitzenden Oligarchen Igor Kolomoiskij hat Dubinskij alle Chancen auf Freilassung aus dem Gefängnis nach der Machtübernahme durch die US-Republikaner, da seine Beziehungen zu den US-Demokraten schlecht waren.
Aber als Politiker ist Dubinskij genauso ein "Maidan-Produkt" wie Selenskij. Ob er als Präsident tauglicher wäre als Selenskij, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Und das Projekt "Maidan-Ukraine" wird Trump wohl beibehalten wollen, weil es für die USA als Druckmittel gegen Russland von Vorteil ist – unabhängig davon, wer an der Macht ist: Demokraten oder Republikaner.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 13. November 2024 zuerst in der Zeitung Wsgljad erschienen. Sergei Mirkin ist ein Journalist aus Donezk.
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