Ungarn hofft darauf, dass sich die EU-Mitgliedstaaten bei der Chatkontrolle einig werden. Sollte dies passieren, droht die Chatkontrolle in ihrer schlimmsten Form: Auch verschlüsselte interpersonelle Kommunikation würde gescannt werden, wenn der Vorschlag sich durchsetzt.
Bei der Chatkontrolle wird es ernst. Für den kommenden Mittwoch steht die umstrittene Chatkontrolle auf der Tagesordnung des Ausschusses der Ständigen Vertreter des EU-Rates (PDF) als möglicher Punkt. Am 10. Oktober treffen sich dann die Justiz- und Innenminister:innen der Mitgliedstaaten, auch ist die Chatkontrolle auf der Tagesordnung. Verhandelt wird eine aktualisierte Version des bekannten Vorschlages der ungarischen Ratspräsidentschaft, der allerdings nur geringfügige Änderungen beinhaltet.
Die Grundprobleme der Chatkontrolle bleiben bei diesem Vorschlag bestehen: anlasslose Massenüberwachung, falsche Verdächtigungen, das Ende von zuverlässiger Verschlüsselung und Probleme mit der IT-Sicherheit. Dies bekräftigten in der vergangenen Woche Wissenschaftler:innen aus der ganzen Welt in einem offenen Brief.
Trotz dieser Probleme wackelt die knappe Sperrminorität der Gegner-Länder, die unter anderem von Deutschland gestützt wird. Kommt es zu einer Einigung im Rat, ist der Weg in den Trilog offen, bei dem EU-Kommission, Rat und Parlament die Verordnung weiter verhandeln. Nur das EU-Parlament hat bislang eine Position, die beispielsweise das Scannen verschlüsselter Kommunikation explizit ausschließt. Kritiker:innen sind deswegen alarmiert.
„Sollte der Vorschlag in der Variante von Ungarn durch den Rat gehen, droht die Chatkontrolle in ihrer schlimmsten Form“, sagt Elina Eickstädt vom Chaos Computer Club gegenüber netzpolitik.org. „Es ist zu erwarten, dass die sehr gute Parlamentsposition im Trilog nicht halten wird und das Scannen von jeglicher interpersoneller Kommunikation kommt. Eine Einigung im Rat wäre ein Zeichen der Zusammenarbeit aller populistischen und faschistischen Regierungen der EU, die Vorbild werden könnte im Hinblick auf weiter ausufernde Überwachungsinfrastrukturen.“
Was ist die Chatkontrolle?
Die EU-Kommission will mit der so genannten CSAM-Verordnung gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder vorgehen. Sie möchte dafür Internetdienste per Anordnung verpflichten, die Inhalte ihrer Nutzer auf Straftaten zu durchsuchen und bei Verdacht an Behörden zu schicken. Das EU-Parlament bezeichnet das seit fast einem Jahr als Massenüberwachung und fordert, nur unverschlüsselte Inhalte von Verdächtigen zu scannen.
Die EU-Staaten können sich bisher nicht auf eine gemeinsame Position einigen. Mehrere Ratspräsidentschaften sind daran gescheitert, eine Einigung zu erzielen. Jetzt versucht es Ungarn. Die ungarische Ratspräsidentschaft schlägt vor, dass Dienste-Anbieter zunächst nur nach bekannten Straftaten suchen müssen – also nach Bildern und Videos, die bereits aufgefallen sind. Neues Material und Grooming sollen erst später verpflichtend werden, wenn die Technik gut genug ist.
Das Vorhaben der EU-Kommission steht weithin in der Kritik – und nicht nur von Digital- und Grundrechteorganisationen. So kommentiert unter anderem auch der Kinderschutzbund gemeinsam mit anderen Organisationen, dass die Verordnung gar nicht so sehr gegen die eigentliche sexualisierte Gewalt gegen Kinder helfe und dass stattdessen andere Maßnahmen eingeführt werden müssten. Vorschläge dazu sind etwa Kinderschutz-Hotlines und Präventionsprogramme, eine kinderfreundlichere Justiz und gesellschaftliche Programme, „die den Missbrauch wirksam stoppen, bevor er geschieht“.
Korrektur: In einer früheren Version hatten wir geschrieben, dass der Vorschlag vom 9. September verhandelt würde. Richtig ist, dass eine bisher nicht öffentlich gewordene Version vom 24. September verhandelt wird.
Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.
Meist kommentiert