Wirtschaftliche Konkurrenz: Polen braucht die Vernichtung Russlands

Von Sergei Sawtschuk

Mit der zunehmenden Tendenz zur Verschiebung der Geschehnisse auf dem ukrainischen Kriegsschauplatz in Richtung Westen verlagert sich auch der Vektor der geopolitischen Aktivitäten und Spannungen dorthin. Polen forderte die Europäische Kommission offiziell auf, unverzüglich dreißigprozentige Zölle auf in Russland und Weißrussland hergestellte landwirtschaftliche Düngemittel zu erheben. Und während sich die Amerikaner in solchen Situationen einen tränenreichen, pathosbeladenen Unsinn als Rechtfertigungsgrund einfallen lassen: "So bekämpfen wir das weltweite Übel!", waren die Polen zu faul, eine solche Legende auch nur zu skizzieren.

In der Aufforderung heißt es ganz unverblümt, dass der Zustrom russischer und weißrussischer Düngemittel die Finanzlage von Polens größtem Produzenten, der Azoty-Gruppe, erheblich beeinträchtige. So sehr, dass diese Gruppe eine Milliarde Złoty (etwa 250 Millionen US-Dollar) an entgangenen Gewinnen in den ersten drei Quartalen dieses Jahres vermeldet hat.

Diese Formulierung ist einfach wunderschön in ihrer Ehrlichkeit: Nicht wir sind diejenigen, die mit Russland gebrochen und sich von den Gasimporten als Basisrohstoff für die Stickstoffdüngerproduktion abgeschnitten haben. Nicht wir sind diejenigen, die unter den neuen Marktbedingungen erstickt sind und einen großen Verlust gemacht haben. Das ist allein die Schuld der russischen Düngemittel! Wir müssen dringend dafür sorgen, dass ihre Einfuhr unrentabel wird, sonst werden wir von Verlusten überrollt.

Aber die Polen wären nicht die Polen, wenn sie hinter einer so direkten Forderung nicht einen zweiten oder gar dritten geheimen Sinn verstecken würden. Dabei handelt es sich um einen Block langweiliger Zahlen, ohne die jedoch die polnischen Forderungen und weitreichenden Wünsche nicht nachvollziehbar wären.

Polen erbte vom Block des Warschauer Paktes den Energiesektor und damit verbundene Industriecluster, die organisch in Transportkorridore mit Verbindungen zu den heimischen Rohstoffvorkommen eingebunden sind. Warschau, das jahrzehntelang von Gas- und Ölpipelines profitierte und mit nicht rückzahlbaren Rekordkrediten aus Brüssel reichlich versorgt wurde, drängt seit langem aktiv auf die europäischen Märkte als wichtiger Lieferant von Basisprodukten und Rohstoffen.

Seit seinem EU-Beitritt im Jahr 2004 erhöhte Polen die heimische Produktion der drei wichtigsten Düngemitteltypen (Stickstoff, Phosphat und Kali) auf 1,3 Millionen Tonnen pro Jahr. Nach diesem Parameter gehört das Land zu den zehn weltgrößten Produzenten und rangiert in Europa an zweiter Stelle, nur knapp hinter Spanien. Wichtig ist in diesem Zusammenhang übrigens, dass Warschau im Rahmen seines staatlichen Plans nicht beabsichtigt, die Düngemittelproduktion in den nächsten drei Jahren zu erhöhen, was indirekt ein Indiz für die Erschöpfung der Erdgaslieferungen in Form von LNG und über die Baltic-Pipeline ist.

In der laufenden Periode exportieren die polnischen Produzenten etwa ein Drittel ihrer Produktion (im Durchschnitt 455.000 Tonnen pro Jahr). Diesem Indikator zufolge gehört Polen zu den zwanzig größten Welthändlern und erwirtschaftet jährlich knapp zwei Milliarden Euro. In Warschau geht man davon aus, dass die Exporte bis Ende 2026 auf 490 Tausend Tonnen ansteigen werden, wobei Düngemittel zu den 40 wichtigsten Exportprodukten des Landes gehören.

Die wichtigsten Exportmärkte sind Deutschland (400 Millionen US-Dollar, Nettozuwachs von 184 Millionen US-Dollar im letzten Jahr), die Ukraine (ja, ja, die Ukraine, 256 Millionen US-Dollar), die Tschechische Republik (236 Millionen US-Dollar) und Großbritannien (115 Millionen US-Dollar). Die größten Exporteure, auch in die USA, sind die IKEA-Gruppe und Konecrane. Gleichzeitig importiert Polen verschiedene Arten von Düngemitteln im Wert von 2,2 Milliarden US-Dollar.

Das durchschnittliche jährliche Importvolumen beträgt 760.000 Tonnen, aber in der polnischen Hauptstadt hofft man sehr, dass diese Zahl in den kommenden Jahren auf 900.000 Tonnen steigen wird. Die größten Lieferanten von Stickstoff-, Phosphat- und Kalidüngern sind Deutschland (496 Mio. US-Dollar, wobei diese Tendenz abnimmt), Russland (200 Mio. US-Dollar), Litauen (163 Mio. US-Dollar) und — plötzlich — der weit entfernte, aber sehr kohlenwasserstoffreiche Oman (145 Mio. US-Dollar). Die Düngemittelimporte sind für die lokale Wirtschaft so wichtig, dass sie zu den 30 wichtigsten Handelsrichtungen gehören.

Polen spekuliert nämlich auf dem europäischen Düngemittelmarkt, indem es die am meisten nachgefragten Düngemitteltypen zu den günstigsten Zeitpunkten kauft und verkauft. Auf diese Weise erhöht es sein systeminternes Gewicht. Doch Düngemittel sind nur die erste Etappe, auf die logischerweise Agrarprodukte und Lebensmittel als letztes Glied der Produktionskette folgen. Auch hier sind die Fakten äußerst bemerkenswert.

In den wichtigsten Bereichen des Agrarindustriekomplexes gehören die Polen zu den weltgrößten Marktakteuren. Sie ernten 10 Millionen Tonnen Weizen (Platz 17 weltweit), 7,5 Millionen Tonnen Kartoffeln (Platz 9 weltweit), und bei der Ernte von Triticale sind die Polen sogar konkurrenzlos. Dabei handelt es sich um eine moderne Kreuzung aus Weizen und Roggen, die auf mageren und sauren Böden hervorragende Erträge liefert. Die Ernte beläuft sich auf mehr als vier Millionen Tonnen pro Jahr.

Und das ist das Beste daran. Innerhalb der Europäischen Union gehört Polen zu den größten Lieferanten von schmackhaften und gesunden Lebensmitteln in vielen Segmenten des Lebensmittelmarktes. Das Land verkauft Lebensmittel im Wert von 48 Milliarden Euro auf dem EU-Markt. Allein im letzten Jahr stieg diese Zahl um 26 Prozent, wobei sich die Präsenz polnischer Lebensmittel seit dem EU-Beitritt sogar verneunfacht hat!

Durch den Verkauf von Milch verdienen die polnischen Produzenten jährlich 1,1 Milliarden Euro, mit Geflügelfleisch 960 Millionen Euro, mit Brot und Backwaren 930 Millionen Euro, mit Tabak 820 Millionen Euro, und mit Schokolade 798 Millionen Euro.

In Anbetracht all dieser Zahlen und Trends erscheint die derzeitige anspruchsvolle Demarche gegen russische Düngemittel nachvollziehbar. Es verwundert sogar, dass Warschau nicht schon früher einen Lieferstopp für russisch-weißrussische Düngemittel verlangt hat. Offensichtlich kalkulierte es seine Produktionskapazitäten, den Umfang der Nachfrage und den Grad der Wertsteigerung landwirtschaftlicher Grunderzeugnisse und seiner Verarbeitungserzeugnisse, nachdem billige und unerwünschte Düngemittel aus dem Osten vom Markt gedrängt worden waren.

Europa findet sich nach und nach mit der wirtschaftlichen Stagnation und der Flucht der großen Industrien ab. Aber all das ist irgendwo weit entfernt, während der Essensteller jeden Tag direkt vor der Nase steht. Die guten polnischen Jungs sind bereit, alle zu ernähren – man braucht dafür nur Russland vom Markt zu nehmen. Denn es hindert sie daran, den Markt zu monopolisieren und Megaprofite zu machen.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 30. Oktober 2024 zuerst bei "RIA Nowosti" erschienen.

Mehr zum Thema -  Über das Schicksal der Ukraine und Europas wird Polen entscheiden 

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