Der Umgang mit Geschichte beweist: Letten sind keine Europäer

Von Anton Gentzen

In der lettischen Hauptstadt Riga wurde in dieser Woche das Denkmal für einen der größten Feldherrn der napoleonischen Kriege, Michael Barclay de Tolly, abgerissen. Mitten in der Nacht, wie es die lettischen Nationalisten zuvor schon beim Abriss der Denkmäler für die im Zweiten Weltkrieg gefallenen sowjetischen Soldaten praktiziert hatten.

Zur selben Zeit findet im militärhistorischen Museum in Dresden – in Trägerschaft der Bundeswehr – eine Ausstellung zu Ehren von Barclay de Tolly statt und nichts verdeutlicht die Kluft zwischen der gesamteuropäischen Tradition der Geschichtspflege und der Barbarei der baltischen Neueuropäer deutlicher als dieser Umstand. 

Barclay, der Spross eines schottischen Geschlechts, war stolzer Sohn von Riga, sein Großvater gar Oberbürgermeister dieser seit 1725 zum Russischen Imperium gehörenden Stadt. Die militärische Karriere von Michael im Dienste des Zaren begann im Jahr 1787, doch europaweit wurde er durch die zahlreichen Schlachten während der Kriege gegen Napoleon berühmt.

Er zeichnete sich in den Schlachten von Pultusk (1806) und Preußisch-Eylau (1807) aus. In der letztgenannten Schlacht führte er einen Kavallerieangriff an und wurde durch einen Granatsplitter am Arm schwer verwundet. Die Wunde erwies sich als so schwer, dass der Arm amputiert werden sollte. Der eigens vom Zaren entsandte Armeechirurg James Willieu führte eine komplexe Operation durch, bei der er 32 Knochensplitter aus der Wunde entfernte. Michaels Arm wurde gerettet, aber die Wunde verursachte ständige Schmerzen, die den Kommandanten für den Rest seines Lebens quälten. Auf seinem Denkmal in Riga war die charakteristische "Barclay-Geste" zu sehen: Der General stützte zeitlebens seinen wunden Arm mit dem anderen, gesunden, um den immerwährenden Schmerz zu lindern.

Während des russisch-schwedischen Krieges 1808–1809 befehligte Barclay de Tolly eines der Armeekorps und überquerte das Eis des Kvarken (Bottnischer Meerbusen) in einer präzedenzlosen Weise. Vier Tage lang marschierten die Truppen bei fünfzehn Grad Frost und böigem Wind, ohne Feuer und warmes Essen, unter Überwindung von Eisstauungen, bis sie an die gegnerische Küste gelangten.

Der General erinnerte sich später: "Die Überquerung war die schwierigste der vorstellbaren, die Soldaten gingen in tiefem Schnee, der oft bis zu den Knien reichte. Die Mühen, die die Truppen bei diesem Übergang auf sich nahmen, kann nur ein russischer Soldat ertragen." Barclay selbst fror sich damals die Füße ab, die Folgen davon spürte er ebenfalls zeitlebens. Für diese kriegsentscheidende Operation erhielt er den Rang eines Generals der Infanterie.

Im Januar 1810 wurde Barclay zum russischen Kriegsminister ernannt. Seit dem Frühjahr 1812 war er gleichzeitig Oberbefehlshaber der 1. West-Armee Russlands. Als Minister führte er erstmals im Zarenreich einen militärischen Nachrichtendienst ein und etablierte an russischen Botschaften im Ausland Militärattachés.

Am Vorabend der Invasion Napoleons in Russland entwickelte Barclay de Tolly einen detaillierten Plan für den geplanten Feldzug gegen die Franzosen und machte eine Reihe von Vorschlägen. Die ganze Genialität des strategischen Rückzugs, den Barclay brillant umsetzte, bestand darin, dass er Napoleons Pläne, die russische Armee in den Grenzschlachten stückweise zu besiegen, zunichtemachte. Doch die öffentliche Meinung misstraute Barclay, und so wurde Michail Golenischtschew-Kutusow (1745–1813) zum neuen Oberbefehlshaber ernannt.

Während der Schlacht von Borodino leitete Barclay die Aktionen der Truppen an der rechten Flanke und im Zentrum der russischen Stellung. Nach den Worten des Offiziers Fjodor Glinka "war es unmöglich, ohne besondere Ehrfurcht zuzuschauen, denn dieser Mann stellte sich durch Willenskraft und moralische Regeln über die menschliche Natur! Mit einer eisigen Kühle, die selbst die Hitze der Schlacht von Borodino nicht zu schmelzen vermochte, stieß er an die gefährlichsten Stellen vor."

Napoleon selbst würdigte Barclay als "den besten General im feindlichen Lager". In einem kritischen Moment der Schlacht führte Michael die Regimenter der Kavallerie und der Horse Guards in einem berittenen Angriff an. Sechs seiner neun Adjutanten fielen. Unter ihm starben fünf Pferde, seine Uniform war blutverschmiert, aber er selbst blieb unversehrt.

Nach dem Tod von Kutusow, während des Auslandsfeldzugs des Jahres 1813, wird Barclay de Tolly zum Oberbefehlshaber der verbündeten russisch-preußischen Armeen ernannt. In dieser Eigenschaft ist er auch Sieger der berühmten und kriegsentscheidenden Völkerschlacht bei Leipzig. "Dies ist der Mann, der mehr als jeder andere dazu beigetragen hat, die Macht Napoleons zu brechen", urteilte Fürst Michail Woronzow über Barclay.

Bei seinem Einzug in Paris 1814 erhält Barclay den Stab eines Feldmarschalls und den Fürstentitel. Die französischen, holländischen und sächsischen Könige verliehen dem russischen Feldherrn ihre höchsten Orden. Die Österreicher verliehen dem russischen Feldmarschall gar das Komturkreuz des Maria-Theresien-Ordens, das Ausländern eigentlich nicht verliehen werden sollte. Wie soll man noch zum Ausdruck bringen, dass dieser Mann unauslöschlicher Teil der gesamteuropäischen Geschichte ist?

Sein Denkmal in Riga wurde vor dem Ersten Weltkrieg errichtet, finanziert von Spenden der Bürger der Stadt. Leider ging es im Ersten Weltkrieg während der Evakuierung verloren und wurde im Jahr 2002 originalgetreu wiederaufgebaut, finanziert von Gomberg, einem Kunstmäzen und Patrioten aus Riga.

Barclay stand vor dem Gebäude des lettischen Ministerkabinetts. Auf der rechten Seite befindet sich die orthodoxe Kathedrale, die den lettischen Nationalisten ein Dorn im Auge ist. Sie ist das nächste Ziel der Zerstörungswut.

Im Herbst 2022 sprengten die lettischen Machthaber das Denkmal für die Befreier Rigas vom Faschismus, demolierten viele ähnliche Denkmäler und Gedenkstätten und schändeten die Gebeine der hier gefallenen Rotarmisten. Nun machen sie sich an den Denkmälern einer älteren Epoche zu schaffen: Puschkin, die Büste von Anna Kern und eben Barclay. Die baltischen Neueuropäer, die Hitler-Apologeten und Waffen-SS-Huldiger in Riga hassen die Rote Armee, Barclay de Tolly, die orthodoxe Kirche und die linken Letten gleichermaßen.

Das Andenken an den bemerkenswerten lettischen Klassizisten Vilis Lācis wurde ausgelöscht, das Denkmal für den sowjetischen Akademiker und Schriftsteller Andrejs Upīts soll zersägt werden, das Andenken an den besten lettischen Dichter, Ojārs Vācietis, wurde getilgt. Vielleicht weil dessen Frau Russin war?

Das Europa, das wir lieben und bislang kannten, das ist ein Kontinent, der die Gesamtheit seiner Geschichte und Kultur in Ehren hält. Europa ist, wenn Napoleon mitten in Paris in einem eigens dafür errichteten Dom bestattet ist und der größte Bahnhof Londons Waterloo heißt. Europa ist, wenn die Straßen in Pariser Vororten nach Lenin, Gagarin und der Schlacht von Stalingrad benannt sind und der bekannteste Platz Berlins nach einem russischen Zaren. Europa ist, wenn es keine russische Stadt ohne Luxemburg- und Liebknechtstraße gibt und kein russisches Opernhaus ohne Wagner und Verdi. 

Europa ist zudem, wenn Antifaschisten und die Soldaten und Generäle der Anti-Hitler-Koalition geehrt werden, und nicht, wie in Lettland oder seit zehn Jahren in der Ukraine üblich, die Bastarde der Waffen-SS und sonstige Kollaborateure des Nazismus.

Barclay de Tolly ist Symbol dafür, dass Europa mehr mit Russland verbindet als mit den bilderstürmenden Vandalen in Lettland und anderswo im Osten der EU. Leider versuchen Letztere, das "alte" Europa mit ihrem glühenden Russenhass anzustecken. Wenn wir nicht bald anfangen, uns dagegen zu wehren, verliert auch das alte Europa seine Geschichte und seine Seele. So wie Riga sie schon verloren hat.

Beim Verfassen des historischen Teils wurden Ausschnitte aus einem für die Plattform Regnum verfassten Artikel von Igor Gussew verwendet.

Mehr zum Thema - Auslöschung der Geschichte: Russische Denkmäler werden in Europa geschändet und abgerissen

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