Teil 3: Putin erläuterte der Weltpresse, warum Eine-Welt-Kolonial-Politik zu Ende geht

Im letzten Teil des Transkripts der Pressekonferenz von Waldimir Putin zum Abschluss des XVI. BRICS-Gipfels in Kasan, erklärte der russische Präsident, wie Kriegspolitik und irrationalem Verhalten zu begegnen sei.

Putin: „USA & EU instrumentalisieren die Umweltagenda!“

Frage des Vertreters von BBC: Ich habe die Abschlusserklärung der BRICS-Staaten gelesen: Darin ist von der Notwendigkeit globaler und regionaler Stabilität, Sicherheit und einem gerechten Frieden die Rede. Das Motto des russischen BRICS-Vorsitzes beinhaltet meines Erachtens auch solche Begriffe, wie Gerechtigkeit und Sicherheit allgemein. Aber wie passt das alles mit Ihrem Handeln über die letzten zweieinhalb Jahren, wie mit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine, zusammen? Wo blieben da Gerechtigkeit, Stabilität und Sicherheit – inklusive die Sicherheit Russlands? Denn, es gab keine Drohnenangriffe auf russisches Territorium, keinen Beschuss russischer Städte und keine ausländischen Truppen, die russisches Territorium vor dem Beginn der SMO besetzten – das gab es nicht.

Und schließlich: Was hat das alles mit der jüngsten Erklärung des britischen Geheimdienstes zu tun, wonach Russland durch Brandstiftung, Sabotage etc. auf den Straßen Großbritanniens und Europas Unheil stiften will? Wo bleibt da die Stabilität?

Ich danke Ihnen!

VLADIMIR PUTIN: Ich werde mit der Sicherheit Russlands beginnen, weil das für mich das Wichtigste ist:

Sie sprachen von Drohnenangriffen und dergleichen. Ja, das kam nicht vor, aber es gab eine viel schlimmere Situation. Sie war dadurch gekennzeichnet, dass wir auf unsere Vorschläge hin, nur beständig und hartnäckig zur Aufnahme von Kontakten und Beziehungen zu Ländern der westlichen Welt hingewiesen wurden. Das kann ich Ihnen ganz genau sagen. Alles schien sich harmonisch anzuhören, doch im Prinzip wurde uns immer ein Platz zugewiesen.

Dieser Platz hätte schließlich dazu geführt, Russland in die Kategorie eines Nebenstaates abrutschen zu lassen und nur noch die Funktion eines Anhängsels als Rohstofflieferant zu erfüllen, doch darüber in hohem Maße seine Souveränität einzubüßen. Russland könnte sich in einer solchen Lage nur nicht weiter entwickeln – es könnte auch nicht existieren. Russland könnte nicht fortbestehen, sobald es seine Souveränität verloren hätte. Das ist das Allerwichtigste. Russlands Abkehr von einem solchen Szenario durch Stärkung staatlicher Souveränität, Unabhängigkeit seiner Wirtschaft, des Finanzwesens und Militärs bedeutet eine Erhöhung unserer Sicherheit und bedeutet die Schaffung von Bedingungen für eine selbstbewusste Entwicklung als künftig unabhängiger Staat, vollwertig und autark, zusammen mit einer Art von Partnerschaften, wie wir sie via BRICS jetzt erleben. Die BRICS Länder respektieren Russlands Unabhängigkeit und Traditionen, so wie auch wir ihre respektieren.

Nun zu der Frage nach Gerechtigkeit bei der Entwicklung von Sicherheit. Dazu habe ich einige Gedanken und werde versuchen, Ihnen meine Gedanken darzulegen:

Was heißt Entwicklungsgerechtigkeit? Schauen Sie sich die jüngsten Ereignisse während der Corona-Pandemie an. Was geschah damals? Ich möchte sowohl Ihre Aufmerksamkeit als auch die aller anderen Medienvertreter darauf lenken: Damals gaben die Vereinigten Staaten etwa sechs Billionen Dollar und die Länder der Eurozone etwa drei Billionen Dollar oder ein bisschen mehr, aus. All diese Gelder wurden auf den Weltmarkt geworfen, um alles aufzukaufen – vor allem Lebensmittel, doch nicht nur das: Auch Medikamente und Impfstoffe, die jetzt in Masse wieder entsorgt werden, weil ihr Ablaufdatum überschritten ist. Sie haben alles weggeworfen, was schließlich zur Inflation von Lebensmitteln bzw. globalen Inflation führte.

Was taten die führenden Wirtschaftsnationen der Welt? Sie missbrauchten ihre exklusive Stellung im Weltfinanzsystem – sowohl in Bezug auf den Dollar wie auch den Euro.

Sie druckten Geld und fegten den Markt gleich einem Staubsauger von den wichtigsten Güter leer. Sie verbrauchen mehr, als Sie produzieren und verdienen: Ist das gerecht? Wir sind der Meinung, dass es das nicht ist und wir wollen diese Situation ändern. Das ist es, was wir im Rahmen der BRICS tun!

Nun zur Sicherheit im Allgemeinen. Was die Sicherheit Russlands betrifft, so habe ich es bereits gesagt. Ich verstehe, was Sie sagen. Aber war es unter Gesichtspunkten der Sicherheit fair, jahrelang unsere ständigen Appelle an unsere Partner, die NATO nicht nach Osten zu erweitern, ignoriert zu finden? Ist es fair, uns ins Gesicht zu lügen und zu versprechen, dass es keine solche Erweiterung geben würde, um dann diese Zusicherung zu brechen und es zu tun? Ist es überhaupt fair, in Länder unserer Grenzregionen einzudringen, z.B. in die Ukraine, um dort mit dem Bau von Militärstützpunkten nicht nur zu beginnen, sondern sie auszubauen? Ist das fair?

Ist es fair, einen Staatsstreich, wie schon zuvor von mir erwähnt, durchzuführen? Unter Missachtung sämtlicher Grundsätze des Völkerrechts und der UN-Charta, einen Staatsstreich in einem anderen Land, in diesem Fall in der Ukraine, zu finanzieren und die Situation in eine heiße Phase übergehen zu lassen? Ist dies unter dem Gesichtspunkt globaler Sicherheit gerecht?

Ist es fair, die im Rahmen der OSZE eingegangenen Verpflichtungen zu verletzen: Dort haben alle westlichen Länder ein Papier unterzeichnet, wonach es keine Sicherheit für eine Seite auf Kosten der anderen geben dürfe? Wir haben gesagt: „Tut das nicht – die NATO-Erweiterung – es verletzt unsere Sicherheit!“ Sie haben es trotzdem getan: Ist das gerecht?

Es gab hier keine Gerechtigkeit: Das wollen wir ändern und werden es ändern!

Die letzte Frage, noch einmal?

Frage- BBC: Zu der Behauptung des britischen Geheimdienstes, dass Russland auf den Straßen Großbritanniens Unruhe stifte?

Wladimir Putin: Hören Sie mir gut zu: Danke, dass Sie mich daran erinnert haben. Das ist völliger Unsinn!

Was auf den Straßen einiger europäischer Städte passiert, ist das Ergebnis der Innenpolitik dieser Länder. Sie und ich wissen, dass die europäische Wirtschaft am Rande einer Rezession steht und die führenden Volkswirtschaften der Eurozone sich in einer Rezession befinden. Falls es ein leichtes Wachstum von 0,5 Prozent gäbe, dann ginge das auf Kosten des Südens, wo es keine ausreichende Produktion gibt, sowie auf Kosten des Immobiliensektors, der Tourismusbranche usw. Aber ist das unsere Schuld? Was haben wir damit zu tun?

Die westlichen und europäischen Länder, haben sich geweigert, unsere Energieressourcen anzunehmen. Nicht wir haben uns querlegt. Übrigens gibt es noch einen Strang der Pipeline Nord Stream 2 durch die Ostsee. Was sollen die deutschen Behörden tun? Einfach auf den Knopf drücken und das Gas würde fließen. Aber sie tun es nicht aus politischen Gründen. Ihr wichtigster Partner – ich weiß nicht, aus welchen Gründen – hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass ein ganzer Sektor der deutschen Wirtschaft in die Vereinigten Staaten abwandert, weil die dortigen Behörden komplementärere Bedingungen für Unternehmen schafften. Die Primärenergieressourcen dort sind –  ich meine – dreimal oder sogar viermal billiger, als in Europa – plus andere steuerliche Erleichterungen und gezielte Maßnahmen . Aber was haben wir damit zu tun?

Das löst entsprechende Kettenreaktionen aus, nachdem der Lebensstandard der Menschen sinkt. Das ist offensichtlich, das zeigen die Statistiken der europäischen Länder selbst. Aber was haben wir damit zu tun?

Das gleicht dem Versuch, wie wir sagen, die Situation einem kranken Kopf in die Schuhe zu schieben, um der Verantwortung für falsche Entscheidungen in den Bereichen von Wirtschaft und Innenpolitik darüber zu entweichen.

Im wirtschaftlichen Bereich ist es – so glaube ich – für objektive Experten ganz offensichtlich. Doch viele Menschen in Europa und USA, haben die Umweltagenda und die steigende Temperatur auf dem Planeten instrumentalisiert und tun das immer noch: Ohne ausreichende Rechtfertigung in Bezug auf technologische Entwicklungen, überschlagen sie sich und schließen alles, was mit Kernenergie, Kohleverstromung oder mit Kohlenwasserstoffen allgemein zu tun hat – und einst alles richtig war – jetzt einfach aus.

Hat jemand nachgerechnet? Wird Afrika ohne diese Art von Kohlenwasserstoffen auskommen können oder nicht? Nein. Den afrikanischen Ländern und einigen anderen Schwellenländern werden moderne, ja, vielleicht sogar ökologisch wirksame Instrumente und Technologien aufgezwungen werden. Aber können sie es sich leisten, wenn nicht ausreichend Geld vorhanden ist. Nun, geben Sie ihnen das Geld? Niemand gibt ihnen Geld: Doch, sie führen nach meiner Meinung Instrumente des Neokolonialismus ein, wenn sie diese Länder herabsetzen und versuchen sie wieder von westlichen Technologien und Krediten abhängig zu machen.

Die Kredite werden zu miserablen Bedingungen vergeben und die Empfänger können die Kredite nicht mehr zurückzahlen. Dies stellt ein weiteres Instrument von Neokolonialismus dar.

Deshalb sollten wir uns vor allem die Ergebnisse der Wirtschafts-, Finanz- und Innenpolitik der westlichen Länder ansehen. Natürlich haben die Menschen Angst vor einer Verschärfung der internationalen Situation durch Eskalation der Konflikte: Im Nahen Osten oder in der Ukraine. Doch wir sind für diese Eskalation nicht verantwortlich. Die Eskalationen werden von denen angeheizt, die auf der anderen Seite stehen.

Nun, wir sind bereit die Eskalationen hinzunehmen. Doch, denken Sie doch darüber nach, ob jene Länder, die diese verursachen, dazu auch bereit wären?

Frage: Arij Mohammed, Korrespondent des Moskauer Büros von Sky News Arabia, Arabische Emirate.

Wladimir Wladimirowitsch, bitte sagen Sie mir: Es gibt eine Reihe von Berichten, die sagen, dass Moskau den Iran im Falle eines israelischen Angriffs unterstützen würde. Wie stehen Sie zu solchen Berichten? Entsprechen sie dem Wesen der Dinge? Erwägt Russland überhaupt eine Unterstützung in dieser Phase der Eskalation in der Region?

Ich danke Ihnen!

Wladimir Putin: Zunächst einmal sind wir sehr besorgt über das, was in der Region vorgeht. Ganz egal, was man berichtet, Russland jedenfalls, ist nicht an einer Eskalation des Konflikts interessiert. Strategisch gesehen würden wir dadurch nichts gewinnen – wir würden uns nur zusätzliche Probleme einhandeln.

Was Hilfe für den Iran angeht, so stehen wir natürlich in engem Kontakt mit der iranischen Führung und sehen unsere Rolle darin, Bedingungen zur Beilegung der Situation zu schaffen: In erster Linie durch die Suche nach gegenseitigen Kompromissen. Ich glaube, dass dies möglich ist. Niemand in der Region, wie meine Gespräche jetzt am Rande des BRICS-Gipfels zeigen, niemand in der Region will eine Ausweitung des Konflikts und eine Art großen Krieg – niemand will das!

Frage: Lieber Wladimir Wladimirowitsch! Ich bin Tursunbek Akun aus Kirgisistan, Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation Kirgisistans und Koordinator des Kongresses für Menschenrechte in Zentralasien. Ich vertrete nicht nur Kirgisistan, sondern auch die Öffentlichkeit der zentralasiatischen Länder.

Zunächst einmal gratuliere ich Ihnen zur Durchführung des BRICS-Gipfels auf hohem Niveau. Wie andere Menschen auf der Welt beneide ich Sie nicht um die Position als Präsident der Russischen Föderation. Es ist die schwerste Last, aber ganz gleich, wie schwer sie scheint, Sie tragen sie mit Würde!

Seit etwa drei Jahren versucht der Westen, Russland vom Rest der Welt abzunabeln, doch dieses Ziel ist bis dato völlig gescheitert. Das wird durch die Ergebnisse des BRICS-Gipfels bestätigt, auf dem Ihre politische und staatliche Position von etwa 35 Ländern unterstützt wird und zu dem auch der UN-Generalsekretär Antonio Guterres und andere internationale Organisationen angereist sind.

Heute fanden auf russischem Boden, in Kasan, historische Ereignisse statt, wodurch die multipolare Welt die Oberhand gewinnt. Die unipolare Welt unter Führung der Vereinigten Staaten verliert allmählich an Bedeutung und Position.

Auf dem Treffen der BRICS-Plus-Staats- und Regierungschefs wurden komplexen Fragen des Nahen Ostens erörtert. Trotz der UN-Resolution hält sich Israel nicht an die UN-Beschlüsse und ignoriert diese ganz offen. Israel erklärte sogar den UN-Generalsekretär zur Persona non grata. Dann hat der Iran einen massiven Schlag gegen Israel geführt und nun kündigt Israel Vergeltung an. Öffentlichen Berichten zufolge bereitet es sich darauf vor, die iranischen Öl- und Atomanlagen bombardieren zu lassen.

Ich habe eine Frage und eine Anregung: Die US-Streitkräfte sind im Persischen Golf im Einsatz, um Israel zu assistieren. Sollten die BRICS-Mitgliedstaaten unter dem Vorsitz Russlands die einseitige Vorherrschaft der USA und Israels verhindern und eine angemessene Antwort auf deren Handlungen geben, falls sie einen Krieg gegen andere Staaten begönnen? Nicht nur US-Kriegsschiffe sollten vor der Küste des Persischen Golfs im Einsatz sein, sondern gleichzeitig auch russische und andere Schiffe aus den BRICS-Staaten, um Iran, Palästina und Libanon zu helfen. Nur dann würde dem willkürlichen Verhalten der Vereinigten Staaten und Israels Einhalt geboten werden.

Und zur zweiten Frage, verehrter Wladimir Wladimirowitsch: Die Vereinigten Staaten von Amerika und der Westen sind entschlossen, einmal mehr zu unterstellen, dass der russische Präsident Putin sich weigere zu verhandeln. Sie haben Ihre Forderungen, Ihre Bedingungen vor dem Selenskyj-Gipfel in der Schweiz bekannt gemacht, doch sie hatten diesen nicht zugestimmt. Sind Ihre Forderungen der Form nach gleich geblieben? Mir scheint nicht, dass Sie sich Verhandlungen gegenüber verschlossen hätten – oder ?

Wladimir Putin: Eine Kollege hat gerade eben nach unseren Beziehungen zum Iran gefragt – nach unserer Bereitschaft, Hilfe zu leisten etc.

Der erste Punkt ist die Situation im Nahen Osten. Ich hatte mich heute dazu schon geäußert, doch möchte es hier wiederholen: Ich glaube, es gibt keinen Menschen auf der Welt, dem nicht das Herz blutet, wenn er sieht, was in Gaza geschieht. Ungefähr vierzigtausend Menschen sind gestorben – es sind hauptsächlich Frauen und Kinder. Unsere Einschätzung ist also bekannt und wir wissen, wie wir aus dieser Situation herauskommen können. Wir sprechen auch darüber.

Es kann nur darum gehen, die Ursachen zu beseitigen. Der Hauptgrund ist das Fehlen eines vollwertigen Staates Palästina. Wir müssen alle Beschlüsse des Sicherheitsrates zu diesem Thema erfüllt sehen.

Wir haben jedoch mit allen Beteiligten zusammenarbeiten, um eine Eskalation des Konflikts zu verhindern. Wir müssen auch mit Israel zusammenarbeiten, welches, wie wir zugeben müssen, im vergangenen Oktober einen Terroranschlag erlebt hat.

Daher müssen wir die Situation sehr besonnen und sorgfältig analysieren, keinesfalls unverhältnismäßige Reaktionen auf diese Terrorakte zulassen, sondern mit allen zusammenarbeiten, um eine Verringerung des Konfrontationsniveaus zu erzielen, auch auf der libanesischen Seite. Ich denke, das ist grundsätzlich möglich, aber man hat sehr vorsichtig vorzugehen. Ich habe – offen gesagt – nur Angst davor, ein zusätzliches Wort zu sagen, denn jedes unbedachte Wort kann diesem Prozess abträglich sein. Grundsätzlich möchte ich Ihnen dafür danken, dass Sie dieses Thema angesprochen haben, denn es ist äußerst wichtig.

Was die Verhandlungen mit der Ukraine angeht, so habe ich bereits mehrfach darüber gesprochen. Wir sind dem türkischen Präsidenten, Herrn Recep Tayyip Erdogan, dankbar, dass er uns schon einmal eine Plattform für Verhandlungen mit der ukrainischen Delegation zur Verfügung gestellt hat. Während dieses Verhandlungsprozesses Ende 2022 kamen wir zu einem vorläufigen Dokument, einem Entwurf für ein Friedensabkommen: Die ukrainische Delegation hatte es paraphiert, was bedeutet, dass es ihnen passte, doch dann lehnten sie plötzlich ab.

Kürzlich rief mich die türkische Seite, der Berater von Herrn Erdogan, von New York aus an und sagte, es gebe neue Vorschläge, die ich für die Verhandlungen in Betracht ziehen möge. Ich stimmte zu und sagte, dass wir einverstanden wären. Doch, tagsdarauf erklärte der Chef des Kiewer Regimes plötzlich, dass sie nicht mit uns verhandeln wollten. Wir sagten den Türken, dass wir ihnen für ihre Beteiligung danken. Doch es gelte, mit ihren Klienten vorab auszuhandeln und gesichert herauszufinden, ob sie es ernst meinten oder nicht. Soweit wir wissen, handelte es sich nicht um einen Friedensvorschlag, sondern um einen anderen Plan: Einen „Siegesplan“ – wie auch immer!

Was besagten Sieg angeht: Im letzten Jahr, bei den Versuchen, die sogenannten Gegenoffensiven durchzuführen, haben die Verluste, ich meine, ca. 16.000 Menschen an Gefallenen, betragen. Jetzt, nur im letzten Monat oder so, im Raum Kursk, sind es, nach meinen Informationen, bereits 26.000 Gefallene. Im letzten Jahr während der Gegenoffensive haben sie, um die Wahrheit zu sagen, etwa 18.000 Fahrzeuge verloren. Inzwischen sind es fast eintausend mehr. Ihre Verluste an Panzern sanken – aber ich denke, dies geschah nur, weil es inzwischen insgesamt weniger Panzer in der ukrainischen Armee gibt.

Es wäre natürlich viel besser, sich an den Verhandlungstisch zu setzen und Verhandlungen zu führen, als über solche Zahlen sprechen zu müssen. Aber die Führung des Kiewer Regimes will das nicht. Ich denke, unter anderem deshalb, weil die Aufnahme von Friedensgesprächen zur Aufhebung des Kriegsrechts führen würde und das unmittelbar danach Präsidentschaftswahlen nach sich ziehen müsste. Offensichtlich sind sie dazu noch nicht bereit. Der Ball liegt auf ukrainischer Seite.

Nachfrage: Sagen Sie mir, wozu Sie bereit wären, um den Krieg in der Ukraine zu beenden und wozu Sie nicht bereit fänden?

Ich danke Ihnen!

Wladimir Putin: Ich habe gerade gesagt, dass wir bereit wären, alle Optionen für Friedensvereinbarungen auf der Grundlage der Realitäten vor Ort zu prüfen. Zu etwas anderem sind wir nicht bereit!

Frage: Ich danke Ihnen sehr, Herr Präsident. Ich komme aus Saudi-Arabien.

Die BRICS-Gruppe hat jetzt wahrscheinlich das Stadium überschritten, um sich noch als Plattform bezeichnen zu können. Könnte man sie jetzt schon als eine zentralisierte Regierungsform benennen?

Ich denke, dass BRICS in der jetzigen Phase bereits eine Art zentralisierte Verwaltung oder ein Gremium benötigen würde, um eine zentrale Anlaufstelle zur Behandlung globaler Kontakte zu bieten. Denn, das Land, welches heute den Vorsitz der BRICS innehält, könnte morgen durch ein anderes Land ersetzt werden, das vielleicht weniger effizient vorginge.

Der zweite Frage wäre, ob Russland einen solchen Mechanismus zur Interaktion zwischen den Partnern schaffen möchte. Kann die Zentralbank oder die neue Bank, die gegründet wurde, mit anderen Banken in anderen Ländern, interagieren? Wir müssen jetzt also Fonds schaffen, die mit gegenseitigen Investitionen verbunden wären.

Eine letzte Frage: Haben Sie erwogen, dass Saudi-Arabien BRICS beiträte?

Ich danke Ihnen!

Wladimir Putin: Zunächst einmal, was die organisatorische Arbeit innerhalb der BRICS betrifft: Ja, natürlich, es ist inzwischen eine Organisation. Das ist eine offensichtliche Tatsache. Sie haben völlig Recht, dass wir die Arbeit dieser Organisation zu strukturieren haben. Natürlich werden meine Kollegen und ich dies studieren und daran arbeiten. Aber im Allgemeinen ist jedes der teilnehmenden Länder autark und das möchte ich betonen, aufrichtig bestrebt, diese Vereinigung zu entwickeln und zu stärken. Ich glaube also nicht, dass die Arbeit der BRICS scheitern werde. Das kann ich mir nicht vorstellen.

Aber gleichzeitig wollen wir die Arbeit dieser Organisation nicht übermäßig bürokratisieren – auch nicht Offizielle beschäftigen, die nur schicke Autos fahren, zu viele Mitarbeiter haben und hohe Gehälter beziehen und es zugleich unklar wäre, wer dort was mache. Aber Sie haben recht, wir müssen diese Arbeit strukturieren, wir müssen darüber nachdenken.

Was die Bank angeht, habe ich es schon gesagt: Wir haben die Neue Entwicklungsbank. Sie ist noch klein. Sie hat 100 Projekte mit einem Gesamtvolumen von 32 bis 33 Milliarden Dollar finanziert. Was den Investitionsprozess angeht, so ist es für Länder, wie Saudi-Arabien, Russland, China, Indien etc. sehr wichtig, sicher und zuverlässig in schnell entwickelte Märkte investieren zu können. Das ist eine äußerst wichtige Sache. Genau darum geht es bei unseren Vorschlägen für eine neue Investitionsplattform.

Was Saudi-Arabien betrifft, so stehen wir in sehr gutem Kontakt mit unserem Freund, dem Kronprinzen und wir haben eine wunderbare Beziehung zum Kustos der beiden Heiligen Schreine, dem König von Saudi-Arabien. Heute haben saudische Vertreter an unserer gemeinsamen Arbeit teilgenommen. Wir hoffen, dass diese Kooperation sich noch weiter ausweiten lässt.

Frage: Mein Name ist Bianca, ich bin Korrespondentin von GloboNews, dem wichtigsten Fernsehsender Brasiliens.

Eine Frage zu Venezuela: Sie haben Präsident Nicolas Maduro gestern für alle Bemühungen und auch für seinen Teilnahme an BRICS gedankt, aber Brasilien ist dagegen. Ich würde gerne wissen, auf welcher Seite Russland steht und ob Venezuela auch gegen den Willen Brasiliens BRICS beitreten könnte?

Und eine Frage zur Ukraine: Sie haben auch Brasilien und China für ihre Bemühungen gedankt, den Konflikt in der Ukraine auf politischem Wege lösen zu wollen. Ich möchte Sie fragen, auf einer Skala von eins bis zehn – welche Chancen Sie, dem Erfolg dieses Friedensplans für die Ukraine einräumen? Was wäre aus Ihrer Sicht absolut inakzeptabel?

Ich danke Ihnen!

Wladimir Putin: Zunächst einmal, was die Chancen anginge. Wissen Sie, es fällt mir schwer, ich halte es sogar für unangebracht, Zahlen mit Benotungen von eins bis zehn abzugeben, unter anderem, weil… – ich möchte nicht unhöflich sein, aber die Tatsache, dass wir versucht haben, Verhandlungen aufzunehmen und dann diese Versuche aufgegeben wurde… Ich habe Ihnen gesagt, dass der hohe Vertreter der Türkei uns direkt aus New York angerufen hat. Und davor war es dasselbe, davor kam die Türkei auch mit einer Initiative bezüglich der Situation im Schwarzen Meer, um die Sicherheit der Schifffahrt zu gewährleisten, um dies zu besprechen, sowie bestimmte Vereinbarungen und Arrangements bezüglich der Sicherheit von Kernkraftanlagen zu treffen. Wir haben dem zugestimmt.

Doch, dann sagte der Chef des Kiewer Regimes öffentliche Verhandlungen ab. Wir haben auch unseren türkischen Freunden auf das erratische Verhalten bzw. Hin und Her in Bezug auf die vermeintlichen Verhandlungen aufmerksam gemacht. Man antwortete, dass es „komplizierte Partner“ wären.

Warum sage ich, dass es sehr schwierig sei, eine Bewertung von eins bis zehn vorzunehmen? Das Verhalten der ukrainischen Spitzenpolitiker ist heute sehr irrational. Glauben Sie mir, ich spreche nur über das, was ich weiß. Ich möchte jetzt keine weiteren Einschätzungen abgeben.

Ich glaube zum Beispiel auch, dass ukrainische Provokationen in Richtung Kursk im Kontetxt des Versuches zu sehen sind, sich in die innenpolitische Situation und den Wahlprozess in den Vereinigten Staaten einzumischen.

Sie wollen der jetzigen Regierung und den Wählern der jetzigen Regierung, besagter Partei, zeigen, dass ihre Investitionen in die Ukraine nicht umsonst gewesen wären: Mit allen Mitteln und um jeden Preis, auch mit dem Leben ihrer Soldaten. Doch sie arbeiten für sich selbst und nicht für die Interessen des ukrainischen Volkes. Daher ist es sehr schwierig, fast unmöglich, dies nach einem Punktensystem zu bewerten.

Nun zu Brasilien und der Einschätzung Brasiliens zu den Vorgängen in Venezuela. Wir kennen diese Einschätzungen: Unsere Position zu Venezuela deckt sich nicht mit der Brasiliens. Ich sage das ganz offen. Wir haben vorgestern mit dem brasilianischen Präsidenten, mit dem ich sehr gute und, wie ich glaube, freundschaftliche Beziehungen unterhalte, darüber telefoniert.

Venezuela kämpft für seine Unabhängigkeit und Souveränität. Ich erinnere mich, dass der Oppositionsführer – einmal nach den letzten Wahlen auf einem Platz erschien – seine Augen zum Himmel richtete und sagte, dass er sich als Präsident vor Gott fühlte. Das klang heiter!

Und dann haben wir diese Situation gegenüber der Führung der Vereinigten Staaten angesprochen. Nun, sie unterstützten und unterstützen besagte Opposition: Aber sie schwiegen bescheiden, lächelten und das war es auch schon. Das scheint natürlich lächerlich. Jeder kann auf die Straße gehen, seine Augen zum Himmel richten und sich zu allem erklären – auch zum Papst – oder was immer er will. Aber so funktioniert es nicht. So darf es auch nicht sein. Es gibt bestimmte Wahlverfahren. Man geht zur Wahl und gewinnt Sie.

Wir glauben, dass Präsident Maduro die Wahlen gewonnen hat und zwar auf faire Weise. Er hat eine Regierung gebildet. Wir wünschen seiner Regierung und dem venezolanischen Volk viel Erfolg!

Aber ich erwarte sehr, dass Brasilien und Venezuela ihre bilateralen Beziehungen in bilateralen Gesprächen abklären. Ich kenne Präsident Lula als einen sehr aufrechten und integren Mann und bin sicher, dass er diese Situation aus einer Position der Objektivität angehen wird. Er hat mich während unseres Telefongesprächs gebeten, dem venezolanischen Präsidenten einige Worte zu übermitteln. Ich hoffe, dass die Situation geklärt werden kann.

Was die Aufnahme Venezuelas oder eines anderen Staates in BRICS angeht, so möchte ich sagen, dass dies nur im Konsens möglich ist. Wir haben die Regel, dass wir für die Aufnahme eines Kandidaten in diese Organisation, in den BRICS-Verband, die Zustimmung aller Mitglieder dieses Verbandes benötigen. Ohne diese Zustimmung ist es unmöglich, einen solchen Schritt zu tun.

Bitte seien Sie mir nicht böse, aber meine Kollegen erwarten mich zu bilateralen Gesprächen. Ich stehe vor der schwierigen Wahl, entweder mit Ihnen zu diskutieren oder dorthin zu gehen. Es tut mir leid, bitte haben Sie dafür Verständnis.

Ich danke Ihnen vielmals!

***

Teil I   erschien: Hier

Teil II erschien: Hier



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