Von Hans-Ueli Läppli
Schaut man sich die Schweizer Medienlandschaft der letzten Wochen an, scheint es nur noch eine Art von Spionen zu geben: russische.
Immer wieder tauchen in den Schlagzeilen Geschichten auf, die vor allem eines suggerieren – die Schweiz wird von russischen Agenten regelrecht überrannt. So auch an diesem Wochenende, als der Reporter Christo Grozew in einem Artikel unter dem reißerischen Titel "Die Schweiz schützt jene, die morden" auftrat. Es ist interessant zu beobachten, wie dabei selten kritisch hinterfragt wird, welche Interessen eigentlich hinter Projekten wie Bellingcat stecken, die mitunter von westlichen Geheimdiensten wie der CIA unterstützt werden.
Die neue Taktik in vielen Schweizer Medien, besonders in den linken Zeitungen, scheint klar: Russland als Hauptbedrohung für die Schweiz darzustellen.
Es gibt kaum einen Tag, an dem nicht eine neue "enthüllende" Geschichte über russische Spione erscheint. Oft begleitet von Andeutungen, dass diese Spione auch noch chemische Waffen, Uran oder geheime Technologien beschaffen könnten.
In der letzten Ausgabe der SonntagsZeitung wurde beispielsweise berichtet, ein Russe habe Material für Chemiewaffen beschafft, das jedoch unauffindbar bleibe. Schon der Titel lässt kaum Raum für Zweifel: Ein Russe wird verdächtigt, also muss er schuldig sein.
Egal, dass in dem Artikel selbst keine klaren Beweise präsentiert werden – die bloße Andeutung reicht aus, um eine feindliche Stimmung gegenüber Russland zu erzeugen.
Die Fixierung auf russische Spione lenkt von einer anderen Realität ab, die in den Schweizer Medien kaum thematisiert wird: amerikanische und israelische Spionageaktivitäten. Man könnte fast glauben, dass diese gar nicht existieren.
Die USA sind mit ihren Geheimdiensten wie der CIA und der NSA längst in der Schweiz aktiv, überwachen Diplomaten, fangen Mobilfunksignale ab und betreiben Antennenanlagen zur Überwachung internationaler Kommunikation.
Doch wo bleiben die großen Enthüllungsgeschichten zu diesen Vorgängen?
Es scheint, als hätten die Redaktionen Angst, Kritik an amerikanischen oder israelischen Aktivitäten zu äußern. Denn wer wagt, kritische Fragen über Israel zu stellen, riskiert, als Antisemit oder Rassist abgestempelt zu werden.
Die Mainstream-Medien haben den Auftrag, die Berichterstattung über Spionageaktivitäten in der Schweiz zu gestalten, indem sie die Gefahr hauptsächlich auf Länder wie Russland und China fokussieren, während die Bedrohung durch westliche Staaten wie die USA und Israel weitgehend ignoriert wird.
Historisch gesehen war die Schweiz jedoch ein bedeutender Standort für die Aktivitäten amerikanischer Geheimdienste. Edward Snowden enthüllte 2013, dass die US-amerikanische Massenüberwachung stark in der Schweiz verankert ist, insbesondere über das Netzwerk, das in der CIA-Abteilung in Genf entwickelt wurde. Diese Ignoranz der Gefahren aus dem Westen führt dazu, dass die Schweizer Öffentlichkeit in einer Art Paranoia gefangen ist, die nur auf bestimmte Staaten fokussiert ist.
Dabei wird kaum thematisiert, dass westliche Staaten, insbesondere die USA, nicht nur aktiv spionieren, sondern auch als Drahtzieher für Wirtschafts- und Industriespionage auftreten. Jacques Baud, ein ehemaliger Mitarbeiter des Schweizer Nachrichtendienstes, macht deutlich, dass die tatsächliche Bedrohung nicht nur von Russland, sondern auch von den USA und ihren Verbündeten ausgeht. Er betont, dass die heutigen Informationsbedürfnisse und -praktiken sich stark verändert haben und dass der Westen aggressiver in der Spionage gegenüber Staaten wie China und Russland ist.
Die enge Zusammenarbeit der Schweiz mit westlichen Geheimdiensten wirft Fragen auf: Vertrauen die Schweizer Behörden blind auf ihre Partner im Westen?
Die Tatsache, dass immer mehr Ausländer in Führungspositionen sensibler Behörden wie der Finma und dem Ensi anzutreffen waren, nährte die Spekulationen über mögliche Spionage durch westliche Akteure.
Während Russland schnell als Bedrohung identifiziert wird, scheint es, als würden die Risiken vonseiten der USA und ihrer Verbündeten als "vertrauensvolle Kooperation" angesehen.
Die Schweizer Neutralität, die oft so stolz betont wird, scheint in der Berichterstattung über internationale Spionage immer weniger Bedeutung zu haben. Während Russland und China ständig als Bedrohung dargestellt werden, wird über westliche Einflussnahmen und Überwachungsmaßnahmen lieber geschwiegen. Natürlich ist die Schweiz seit jeher ein Knotenpunkt für internationale Spionage – das war schon im Kalten Krieg so.
Doch heute wird die Diskussion einseitig geführt: Die bösen Russen hier, die guten Amerikaner dort.
Eine ausgewogene Berichterstattung, die alle Seiten kritisch beleuchtet, findet kaum noch statt.
Ein besonders absurd anmutendes Beispiel solcher Panikmacherei fand sich in einem Artikel der SonntagsZeitung. Darin wurde über einen Russen berichtet, der angeblich als Geheimdienstagent Material erworben haben soll, das für Chemiewaffen verwendet werden könnte.
Der Artikel erweckt den Anschein, als wären die Autoren verzweifelt auf der Jagd nach Beweisen und verfolgten mit Kameras die mutmaßlichen Spuren. So hätte der Russe beispielsweise die Tür berührt und seine Frau ihm das Abendessen zubereitet.
"An den Briefkästen im Haus, in dem er wohnte, hängen jetzt Schilder mit anderen Namen, darunter zwei russische."
Warum russische? Vielleicht ukrainische? Oder bulgarische? Ist das Journalismus? Eher eine Geschichte, die man Kindern erzählt.
Schweizer Medien betreiben eine übertriebene Panikmache, die sich fast ausschließlich auf russische Spione konzentriert. Die kritische Auseinandersetzung mit westlicher Spionage, insbesondere der amerikanischen, bleibt dabei auf der Strecke.
Ist das die Medienlandschaft, die sich die Schweiz leisten will – eine, die selektiv skandalisiert und andere Themen bewusst ausblendet? Zeit, auch diese Fragen in den öffentlichen Diskurs einzubringen.
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