Von Pjotr Akopow
"Merkt euch: Putin will sich an uns rächen. Wir müssen auf das Unvermeidliche vorbereitet sein."
So endet ein Artikel des ehemaligen britischen Verteidigungsministers und gescheiterten NATO-Generalsekretärs Ben Wallace.
Welches "Unvermeidliche" meint Wallace? Die Überschrift des Artikels des pensionierten Ministers in The Telegraph lautet:
"Putin wird seine Kriegsmaschinerie bald gegen Großbritannien richten."
Nimmt man nur die Überschrift und den letzten Absatz, könnte man meinen, es handele sich um das übliche Beispiel für russophobe Propaganda und Hysterie: Die Russen werden in der Ukraine nicht Halt machen, sie werden das Baltikum, Polen und Rumänien angreifen, und dann werden sie auf Berlin marschieren. All dies hören wir seit langem aus dem Munde von Transatlantikern (auch hochrangigen) und Kiewer Führern. Nun muss sich also auch Großbritannien auf die russische Bedrohung vorbereiten, alles klar.
Ganz anders das Pathos von Ben Wallace, der sich sicher ist, dass Russland sich an Großbritannien nicht für die Lieferung von Raketen an die Ukraine, sondern für den Krimkrieg (1853–1856) rächen wird:
"Die Leute an der Spitze Russlands schreiben die Geschichte neu, korrigieren die am Ende des Kalten Krieges erlittene Demütigung und begleichen Rechnungen, die Jahrhunderte zurückliegen. Während Russland sich meisterhaft selbst demütigt, müssen wir erkennen, dass in Putins Version die Wurzel all seiner Probleme nicht einmal die USA sind, sondern Großbritannien."
Weiter lesen wir:
"In Putins verdrehter Weltsicht waren wir es, die den Krimkrieg angezettelt haben, der für die Zaren mit einer Niederlage endete, wir waren es, die den Aufstieg Hitlers choreografiert haben, wir waren es, die die Konterrevolution unterstützt haben, und es war unsere Spionage, die die Sowjetunion zu Fall brachte. Putin hat Großbritannien im Fadenkreuz."
So sieht es also aus... Es stellt sich heraus, dass Putin wie der Bruder von Danila Bagrow mit seinem "Ihr Bastarde werdet noch für Sewastopol büßen!" ist, nur dass er sich nicht an Westukrainer, sondern an die Briten wendet, und mit "für Sewastopol büßen" sich auf dessen franko-britische Belagerung im Jahr 1855 bezieht?
Doch leider ist der sensible Ex-Verteidigungsminister des Vereinigten Königreichs der einzige, der diese Drohung hört, und sich darum beeilt, seine Landsleute zu warnen. Er weist sie auf "Putins wahre Motivation" hin, die nur er durchschaut hat. Andernfalls werde es Ärger geben – für Großbritannien.
Es ist nicht das erste Mal, dass Wallace, Hauptmann der Scots Guards a.D., an den Krimkrieg des 19. Jahrhunderts erinnert: Am Tag vor dem Beginn der militärischen Sonderoperation in der Ukraine sagte er, dass die Scots Guards "Zar Nikolaus in den Hintern getreten haben und es wieder tun können". Der Krimkrieg ist in der Tat das einzige Beispiel für eine direkte englische Aggression gegen Russland, das einzige Mal überhaupt, dass Russland und England in einem offenen Krieg gegeneinander kämpften, aber unsere historischen Erfahrungen mit dem "nebligen Albion" erschöpfen sich bei weitem nicht darin und auch nicht in den Dingen, die Wallace sonst aufgezählt hat.
Da steht noch die Ermordung von Kaiser Paul I. auf der historischen Rechnung, im Hintergrund konspirierte London, um sein Bündnis mit Napoleon gegen England zu verhindern. Und auch bei der Ermordung von Grigorij Rasputin hatte London seine Finger im Spiel. Getötet wurde der bei der Zarin gern gesehene Rasputin, um Russland von einem mythischen Separatfrieden mit Deutschland abzuhalten, in Wirklichkeit ebnete der feige Mord den Weg zur Katastrophe vom Februar 1917. Erinnert sei zudem an die von London ausgespielte Kombination, um Deutschland und Russland im Ersten Weltkrieg gegeneinander aufzuhetzen. Die Zahl der offenen Rechnungen ist groß und unser Gedächtnis ist gut.
Die Rechnungen richten sich nicht bloß an Großbritannien als solches, sondern an das historische und das heutige Großbritannien.
Sie richten sich an die angelsächsische Elite und Finanzoligarchie, an die Kräfte, die London zur Finanzhauptstadt der Welt gemacht haben und das Vereinigte Königreich zum ersten Modell und Prototyp eines globalen militärischen Finanz- und Handelsimperiums. Für diese Kräfte war Russland schon immer ein Todfeind und eine Bedrohung. Nicht, weil wir es zerstören wollten (nicht einmal in den Jahren der Sowjetunion stand das jemals auf der Tagesordnung), sondern schlicht, weil es uns gibt. Weil wir einen Schlüsselplatz in Eurasien besetzen, ein Gebiet, ohne dessen Kontrolle es unmöglich ist, ein globales Imperium aufzubauen.
Die russischen Kosaken wollten nicht nach Indien ziehen, hätten es aber theoretisch tun können. Diese theoretische Möglichkeit reichte den Briten, um sich an der Ermordung unseres Kaisers zu beteiligen. Russland bedrohte die britischen Kolonien nicht, beanspruchte sie nicht, strebte nicht danach, seinen Einfluss dahin auszudehnen, hätte sich aber theoretisch aus dem Krieg gegen Deutschland zurückziehen können, den Großbritannien brauchte, um die deutschen Ambitionen einzudämmen. Und das reichte den Strippenziehern in London, um das Komplott gegen den Zaren im Februar 1917 zu unterstützen.
Großbritannien hat sich immer für berechtigt gehalten, sich in unsere inneren Angelegenheiten einzumischen, und ist dabei nie zimperlich gewesen. Weder beim Schüren des Gebirgsseparatismus während des Kaukasuskriegs im 19. Jahrhundert noch bei der Unterstützung der Ukraine im aktuellen Konflikt. Die britische und die amerikanische Elite – letztere ist Blut vom Blut und Fleisch vom Fleisch der ersten – hat Russland immer eher als Objekt denn als Subjekt betrachtet. In den postsowjetischen Jahren ist der Glaube in die fehlende Subjektivität Russlands absolut geworden. Die Transatlantiker haben sich auf die geopolitische Loslösung der Ukraine von Russland, also die tatsächliche Zerstückelung der russischen Zivilisation, eingeschworen.
Ist sich Putin dessen bewusst? Natürlich. Wird er einen militärischen Vergeltungsschlag gegen Großbritannien befehlen? Nein. Denn das Zentrum der Entscheidungsfindung ist jetzt über die gesamte westliche Welt verstreut, auf beiden Seiten des Atlantiks, mit Schwerpunkt an dessen westlichen Ufern.
Russland wird sich an der gesamten angelsächsischen Elite rächen: Zunächst, indem es ihre Angriffe abwehrt, sich ihnen entgegenstellt und seine zivilisatorische Einheit wiederherstellt. Und dann wird es seine Anstrengungen verdoppeln, um eine neue Weltordnung aufzubauen, womit es das gesamte angelsächsische globalistische Projekt zerschlägt. Die Trümmer dieses Projekts werden dann nicht nur Großbritannien, sondern auch die Vereinigten Staaten unter sich begraben.
Da kann Hauptmann Ben Wallace seine Landsleute noch so sehr warnen, dass Putin sie im Fadenkreuz hat, den russischen Schlag kann er trotzdem nicht verhindern. Denn dieser wird nicht aus der Luft oder von See kommen, sondern aus der geballten Energie der Unzufriedenheit mit den Angelsachsen in allen Ecken der Welt. Unser eigener Beitrag zu diesem Vergeltungsschlag wird bedeutend sein, aber sicher nicht exzessiv angesichts dessen, was die Briten uns in den vergangenen Jahrhunderten angetan haben.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Originalartikel ist am 29. August 2024 auf ria.ru erschienen.
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