Grundrechte-Abbau: Massive Kritik am Sicherheitspaket der Ampel

Zivilgesellschaftliche Organisationen kritisieren das Sicherheitspaket der Ampel in scharfen Worten. Sie warnen vor radikalem Abbau von Grundrechten und flächendeckender biometrischer Überwachung. Der Bundestag darf diese Gesetze so nicht beschließen. Wenn doch, braucht es eine aktivistische Zeitenwende.

Kaputte Ampel
Die selbst ernannten Bürgerrechtsparteien FDP und Grüne haben sich von einer evidenzbasierten und grundrechtsfreundlichen Sicherheitspolitik verabschiedet. (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / lausitznews.de

Das geplante Sicherheitspaket der Ampel-Regierung löst bei Menschenrechts- und Digitalorganisationen Empörung aus.

Die Bundesregierung plant unter anderem eine Verschärfung des Asylrechts (PDF) sowie einen Ausbau der biometrischen Überwachung (PDF). Polizei und BAMF sollen mit Hilfe von Bildern aus dem Internet Gesichtserkennung nutzen dürfen. Außerdem soll das BKA wie Palantir große Datenmengen zusammenführen, verarbeiten und weitergeben dürfen. Weiterer Bestandteil der Gesetzespakete ist die Ausweitung von Messerverboten. Die führen dazu, dass die Polizei an vielen Stellen bislang verbotene anlass- und verdachtsunabhängige Kontrollen durchführen kann – und somit das Recht erhält, unbescholtene Menschen zu durchsuchen.

Das Sicherheitspaket wird schon am Donnerstagmorgen erstmals im Bundestag debattiert. Ein Bündnis von 13 Organisationen ruft zum Protest gegen das Sicherheitspaket auf.

Angriff auf Grundrechte „ohne Sinn und Verstand“

In der Kritik stehen dabei nicht nur die geplanten Maßnahmen selbst, sondern auch die Geschwindigkeit, mit der die Ampel diese nun durchsetzen möchte. Teresa Widlok vom liberalen Verein Load spricht von einem „Schweinsgalopp“ und „künstlich aufgebautem Zeitdruck“, mit dem Überwachungstools im Schnellverfahren eingeführt werden sollen. Es handle sich auch nicht um ein Sicherheitspaket, sondern ein „Überwachungspaket“.

Linus Neumann, Sprecher des Chaos Computer Clubs, kommentiert gegenüber netzpolitik.org: „Der blinde Aktionismus der Ampel nach Solingen macht den Terrorakt erst komplett.“ Die Bundesregierung greife „ohne Sinn und Verstand“ Grundrechte an, während sich Terroristen und Faschisten ins Fäustchen lachen würden.

Tom Jennissen von der Digitalen Gesellschaft wirft der Bundesregierung vor, ein zynisches Spiel zu treiben. Sie nutze den Anschlag von Solingen, um „schon lange gehegte Überwachungsträume der Sicherheitsbehörden ohne gesellschaftliche Diskussion durch das Parlament zu drücken – wohl wissend, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen diesen Anschlag nicht hätten verhindern können.“

Kilian Vieth-Ditlmann von AlgorithmWatch wirft der Ampel vor, sie nutze den „sicherheitspolitischen Ausnahmemodus nach Solingen, um neue Befugnisse einzuführen, die das Innenministerium schon länger in der Schublade hat“.

Das Gegenteil von evidenzbasierter Sicherheitspolitik

Beim Digitalverein D-64 spricht Svea Windwehr davon, dass die Ampel im „Hauruckverfahren“ Grundrechte radikal einschränke.

Ebenso sieht das die Gesellschaft für Freiheitsrechte. Legal Director Bijan Moini sagt: „Schon das Tempo steht in keinem Verhältnis zur Tragweite der Vorschläge.“ Zudem trügen diese Vorschläge nicht erkennbar zur Abwehr von so schrecklichen Anschlägen wie dem in Solingen bei, so Moini weiter. „Weder hätte der mutmaßliche Täter nach den neuen Regeln abgeschoben werden können, noch hätte er seinen Schutzstatus verloren, wäre über einen biometrischen Abgleich aufgefallen oder hätte er sich von den Verschärfungen im Waffengesetz beeindrucken lassen.“

Das kritisiert auch Jennissen von der Digitalen Gesellschaft: Die Pläne seien nicht nur ein Bruch des Koalitionsvertrages, sondern ein „Offenbarungseid einer Koalition, die einmal angetreten war, eine evidenzbasierte und grundrechtsorientierte Sicherheitspolitik zu verfolgen“.

„Flächendeckende biometrische Überwachung“

Bezüglich der geplanten biometrischen Überwachungsbefugnisse spricht Load von einer „Verschiebung des Denkbaren“, wenn Polizeien nun Zugriff auf riesige Gesichtsdatenbanken erhalten sollen, in denen Menschen gegen ihren Willen gespeichert sind.

„Wer irgendwelche biometrischen Spuren im Internet hinterlässt, wird künftig davon ausgehen müssen, dass diese Daten gegen ihn verwendet werden – ein fundamentales Untergraben der Anonymität des Internets“, sagt auch Tom Jennissen von der Digitalen Gesellschaft.

Bijan Moini von der GFF kritisiert, dass der biometrische Abgleich „tief in Grundrechte“ eingreife. Matthias Marx vom CCC spricht gar davon, dass die Bundesregierung mit dem Gesetzentwurf in Zukunft „alle biometrisch überwachen“ werde.

„Soziale Medien zur Überwachung freigegeben“

Ähnlich sieht das AlgorithmWatch: Die neuen Befugnisse kämen „einer neuen Form der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung“ gleich. Nur, dass es diesmal nicht um das Durchsuchbarmachen von Telekommunikations-Verkehrsdaten, sondern von besonders sensiblen personenbezogenen Körperdaten gehe.

„YouTube, TikTok oder Instagram sind damit zur Überwachung freigegeben“, so Kilian Vieth-Ditlmann gegenüber netzpolitik.org.

„Die Bundesregierung versucht nun im Schnellverfahren, die ersten Grundlagen für flächendeckende biometrische Überwachung in Deutschland zu schaffen und bricht damit den Koalitionsvertrag“, sagt Matthias Spielkamp, Geschäftsführer von AlgorithmWatch. „Die Idee der Ampel, KI-Systeme einzusetzen, um Gesichtsbilder mit Bildern und Videos aus dem Internet abzugleichen, sind unter der gerade verabschiedeten KI-Verordnung sogar verboten“, so Spielkamp weiter.

„Fehlerhaft, diskriminierend und grundrechtsgefährdend“

Ein weiterer Bestandteil des Sicherheitspaketes ist das Zusammenführen, Auswerten und Weitergeben von persönlichen Daten an Dritte zum Training von Big-Data-Anwendungen von Unternehmen wie Palantir von Peter Thiel.

Load kritisiert, dass mit dem Gesetz das, was das Bundesverfassungsgericht auf Landesebene schon einkassiert habe, nun auf Bundesebene legalisiert werden solle. Die Ampel sollte sich lieber an den Geist ihres eigenen Koalitionsvertrags erinnern und die Gelegenheit nutzen, übergriffige KI-Tools in Deutschland auch für Sicherheitsbehörden zu verbieten, so Load-Sprecherin Teresa Widlok.

Kilian Vieth-Ditlmann hält die Befugnis für automatisierte Datenauswertung für höchst problematisch. „Damit können über verschiedene Datenbeständen hinweg Persönlichkeitsprofile erstellt werden.“ Palantirs Gotham und ähnliche datenbasierte Analyse- und Profilingsysteme, die künftig verstärkt von der Polizei verwendet werden sollen, seien „fehlerhaft, intransparent, diskriminierend und grundrechtsgefährdend“, Vieth-Ditlmann. Es gebe zahlreiche Beispiele dafür, wie solche Systeme direkt und indirekt zu Racial Profiling und anderen Formen von Diskriminierung führen, insbesondere gegenüber Muslimen und als Migranten wahrgenommenen Personen.

„Alle Menschen unter Generalverdacht“

Kritik gibt es auch an den Plänen eines weitreichenden Messerverbotes. Dieses Verbot stelle „alle Menschen unter Generalverdacht“ und gewähre „ausufernde Kontrollbefugnisse“, sagt Bijan Moini von der GFF. Dabei werde im Gesetzentwurf „Messer“ nicht einmal genau definiert. Verboten wäre in betroffenen Gebieten z.B. auch die Nutzung eines Messers im Außenbereich eines Restaurants, so Moini. Sogar Plastikmesser könnten verboten sein.

Viel schwerwiegender seien die durch das Verbot entstehenden Kontrollen. „Vor allem soll aber künftig anlasslos kontrolliert werden können in allen betroffenen Gebieten, durch Anhalten, Befragen, Durchsuchung von Taschen und Personen. Vor allem die anlasslose Durchsuchung der Person bietet großes Missbrauchspotenzial und ist unverhältnismäßig“, so Moini weiter.

„Billiger Populismus“

„Wer nach verlorenen Wahlen auf billigen Populismus setzt, spielt den Rechtsextremen in die Hände. Im parlamentarischen Verfahren müssen die Zivilgesellschaft gehört und die Grundrechte aller Menschen verteidigt werden“, sagt Svea Windwehr von D-64. In wieweit dies noch passiert im Gesetzgebungsverfahren, ist unklar. Opposition im Bundestag dürfte einzig noch von der Linkspartei zu erwarten sein. Von Union und AfD ist zu erwarten, dass sie noch weitergehende Maßnahmen fordern.

Matthias Marx vom Chaos Computer Club fordert eine aktivistische Zeitenwende: „Wenn diese Gesetzesentwürfe verabschiedet werden, dann genügt es nicht mehr, schöne Stellungnahmen zu schreiben und alle drei Jahre eine Demo gegen die Vorratsdatenspeicherung zu organisieren. Künftig müssten wir dazu anleiten, Überwachungsmaßnahmen zu sabotieren und abzuschalten.“


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