Von Dagmar Henn
Gleich wie es in der Auseinandersetzung um die zwei russischen Mitarbeiter des Senders Perwy Kanal weitergeht – eigentlich müsste der Verein der ausländischen Presse in Deutschland dafür sorgen, dass gegen den Bescheid der Berliner Behörden, der den beiden den Aufenthalt entzog, rechtlich vorgegangen wird. Wenn nötig, bis zum Verfassungsgericht.
Die Begründung der Entscheidung, ihnen den Aufenthalt zu versagen, hat nämlich mitnichten nur Auswirkungen auf russische Korrespondenten. Sie beinhaltet eine Logik, die die Berichterstattung für ausländische Medien aus Deutschland grundsätzlich zu einer Frage der Gnade machen, und damit für ausländische Berichterstatter jegliche Pressefreiheit aufhebt.
Der erste gedankliche Schritt hierzu ist eine Aufhebung der Unterscheidung zwischen einer journalistischen Tätigkeit für Deutschland und jener für ein Publikum im Ausland:
"Als zentrales staatlich kontrolliertes Fernsehen aus der Sowjetzeit genießt die Nachrichtensendung 'Wremja' aufgrund der unveränderten, vertrauten Art der Ausstrahlung und Präsentation der Nachrichten weiterhin großes Vertrauen bei Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion."
Das erste Argument ist also eine – vermutete, nicht einmal belegte – Wirkung auf Migranten, die aufgrund der heutigen technischen Möglichkeiten auch in Deutschland imstande seien, dieses Programm zu empfangen. Ein Umstand, der in Zeiten des Internets selbst für eine Lokalzeitung auf Suaheli zutrifft. Es kann bei jedem beliebigen Medium konstruiert werden, dass auch Migranten aus den jeweiligen Ländern die Sendungen empfangen könnten. Und wenn man sich an den Versuch des damaligen EU-Kommissars für Binnenmarkt und Dienstleistungen im vergangenen August erinnert, Musk zu zwingen, sein Gespräch mit Donald Trump auf X für die EU zu sperren, erkennt man, dass es bei der Anwendung dieser Vorstellung fast keine Grenzen gibt.
Der nächste Vorwurf lautet "Desinformation", die "bei vielen russischsprachigen Menschen (…) Misstrauen gegenüber den Strukturen des deutschen Staates und der Europäischen Union" verursache. Der Kernbegriff ist hierbei "Narrativ". Ein abweichendes "Narrativ" ist "Desinformation".
Hier soll es nicht darum gehen, wie angebracht oder an den Haaren herbeigezogen die Definition von "Desinformation" ist. Das Grundproblem ist, dass unterschiedliche Interessen unterschiedlicher Länder zwangsläufig unterschiedliche Narrative erzeugen. Es mag nicht ungewöhnlich sein, dass das Narrativ eines im Ausland tätigen Journalisten Teile des einen, Teile des anderen miteinander verbindet; schließlich ist es die Aufgabe, Ereignisse und Handlungen in diesem anderen Land nicht nur zu berichten, sondern, wenn möglich, auch verstehbar zu machen. Wenn aber ein enger Begriff von "Desinformation" geschaffen und verwendet wird, der im Grunde jede Abweichung von der offiziellen deutschen Sicht umfasst, ist es für einen ausländischen Berichterstatter, der für ein ausländisches Publikum schreibt, völlig unmöglich, etwas anderes als "Desinformation" zu produzieren.
Dabei verbirgt sich in diesem zweiten Schritt ein extremer Übergriff. Denn schließlich ist hier nicht die Rede von irgendwelchen strafbaren Handlungen, es ist auch nicht die Rede von erfundenen Berichten, es ist die Rede von einem anderen Narrativ, das verwerflich sein soll, selbst wenn es sich an ein Publikum im Ausland richtet. Womit sich eine deutsche Behörde anmaßt, über die Inhalte zu richten, die ausländische Medien im Ausland verbreiten.
Dass es eine Landesbehörde, keine Bundesbehörde ist, und angeblich das Auswärtige Amt nichts davon gewusst hat (was gerade bei einer Berliner Landesbehörde höchst unwahrscheinlich ist), macht das in diesem Zusammenhang noch schlimmer.
Die Funktion, die ausländische Korrespondenten immer auch für das Empfängerland haben, nämlich zumindest in begrenztem Maß eine Brücke zwischen den beiden Gesellschaften zu bauen, können sie unter diesen Bedingungen nicht mehr erfüllen. Und der Vorfall mit Elon Musk gab schon zu erkennen, dass der Anspruch auf Kontrolle über die Inhalte selbst bei ausländischen Medien sich nicht auf die Tätigkeit russischer Journalisten beschränken muss, sondern durchaus in näherer Zukunft sogar US-Amerikaner treffen könnte.
Diese Details belegen, dass es hier längst nicht mehr um einen Verlust diplomatischer Maßstäbe geht, die ein derartiges Vorgehen gegen ausländische Journalisten untersagen sollten. Es geht auch nicht mehr um mangelndes Verständnis der Funktion, die Auslandsberichterstattung erfüllt. Der Bescheid des Berliner Landesamtes für Einwanderung belegt nicht nur eine völlige Unkenntnis, was Pressefreiheit bedeutet, er bezeugt sogar eine Unkenntnis der Tatsache, dass das Recht eines Landes an den Grenzen dieses Landes endet.
"Es ist schlicht falsch, dass wir in Deutschland oder in Europa eine Einschränkung der Pressefreiheit haben", erklärte Außenministerin Baerbock dazu. Ausnahmsweise hat sie recht. Denn etwas, das eingeschränkt ist, ist dennoch vorhanden, wenn auch in geringerem Maß. Die Pressefreiheit in Deutschland und Europa ist nicht eingeschränkt. Sie ist nicht mehr vorhanden.
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