Gastbeitrag von Tobias Prüwer
Am 28. Februar kam es zum Eklat zwischen dem US-Präsidenten Donald Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Bei den abgebrochenen Gesprächen im Weißen Haus wurde deutlich, wie weit die USA unter Trump mittlerweile davon entfernt sind, ein Verbündeter der Ukraine zu sein. Der Tag wurde von vielen als Zäsur eingeordnet. Offensichtlich war Trumps Rhetorik nicht nur Wahlkampftaktik, sondern ernst gemeint. Der neue alte US-Präsident fällt zurück in ein Großmachtdenken, in dem nur Russland und eben nicht die Ukraine oder Europa ein Partner auf Augenhöhe sein kann. Doch wir haben es hier nicht einfach nur mit einem verrückten alten Mann und seinen wirren Gedanken zu tun. Hinter Trumps Haltung zur Geopolitik steckt eine Idee, die vor über einem Jahrhundert entstand – und bis heute die Haltung faschistischer Vordenker bestimmt: Die Heartland-Theorie.
Das Muster hinter Trumps Widersprüchen
Donald Trumps Regieren aus dem Oval Office heraus wirkt widersprüchlich. Mal kündigt er Zölle an, setzt sie später aus. Er warnt kurz Russland, um dann Putin wieder einen zuverlässigen Partner zu nennen. Seine Drohungen und Aussagen zur Weltpolitik wirken inkonsistent. Alle Welt müht sich, Sinn darin zu suchen. Sicherlich dient Trumps lautes Poltern teilweise der Ablenkung und Einschüchterung und sollen außenpolitische Entgleisungen innenpolitische Signale senden. Das erfasst aber nicht alles von Trumps Verhalten. Vieles wird verstehbar, arbeitet man drei wirkmächtige Muster heraus, die sein Weltbild prägen. Sein handelspolitischer Schwerpunkt auf Zölle ist vom Merkantilismus des 18. Jahrhunderts inspiriert. Vom Wiener Kongress 1815 stammt die Vorstellung einer konkurrenzlosen Balance der Großmächte. Und Trump betrachtet Geopolitik durch die Brille der Heartland-Theorie, aus der sich auch die russischen Machtambitionen ableiten.
Zölle als Waffe
Merkantilismus attestierten Beobachter Trump schon in seiner ersten Amtszeit. Seine zollbasierte Außenhandelspolitik soll Exportüberschüsse erzielen, um die Beschäftigung zu steigern. „Außenhandel wird, wie zu Zeiten des Merkantilismus, als Null-Summen-Spiel mit Gewinnern und Verlierern gesehen“, urteilt der Ökonom Jörn Kleinert über die ersten Wochen der zweiten Regierungszeit. Handel sei zur Waffe geworden. „Die politischen und militärischen Großmächte scheinen sich gegenseitig Freiräume einzuräumen, sich ihre Umgebung zu formen.“
Das „Konzert der Großmächte“
Zu diesem Arrangement der Großmächte passt die sogenannte Metternich-These. Diese ist nach dem österreichischen Diplomaten Klemens von Metternich benannt. US-Journalist Noah Smith formulierte diese These kürzlich aus. Der erzkonservative Denker Metternich war maßgeblich am Wiener Kongress beteiligt, der die europäische Neuordnung nach Napoleons Niederlage 1815 regelte. Diese bedeutete einige Jahrzehnte des Restaurismus und monarchistisches Erstarken. Die europäischen Länder sollten in friedlicher Koexistenz leben, in einem „europäischen Mächtekonzert“, wie das Zeitgenossen nannten. Dadurch könnten sie jeweils ihre Kräfte gegen revolutionäre Bewegungen im Innern bündeln. Metternich organisierte die so genannte Heilige Allianz, ein Bündnis, das die Monarchen Russlands, Österreichs und Preußens 1815 abschlossen. Die Angst vor sozialen Bewegungen trieb die Herrschenden damals um.
Von Großmacht-Denken zu America First
Zeitsprung in die Gegenwart: Dass die angebliche Wokeness der Hauptgegner der MAGA-Bewegung ist, diagnostizieren nicht nur viele Beobachter. Das geht aus jeder Äußerung von Trump, seinem Vize Vance und seiner rechten Hand Elon Musk hervor. Daher könnte, so Noah Smith, Trump etwas Ähnliches wie Metternichs Heilige Allianz zur Aufteilung der ganzen Welt vorschweben. Das wäre eine „informelle Partnerschaft“ zwischen den USA, Russland und China, um die internen Konflikte zu beherrschen, die progressiven Kräfte zu bekämpfen. „Natürlich würde das nicht so aussehen wie die formalen Institutionen, die er erdacht hatte. Der Schlüssel würde es sein, alle Großmacht-Konflikte zu vermeiden und sich auf die internen ideologischen Kämpfe zu fokussieren.“
Smith argumentiert weiter, dass dahinter auch die Konzentration auf die westliche Hemisphere liegen könnte. Das forderte schon vor hundert Jahren die America First-Bewegung, nicht grundlos ist das der MAGA-Slogan. Übrigens: Die America First-Bewegung der 1930er und 40er Jahre sprach sich offen dagegen aus, dass die USA gegen Hitlerdeutschland in den Krieg ziehen sollte. Das bedeutet dann, damals wie heute, sich nicht mehr dort zu engagieren, was man unter „Eurasien“ versteht. Damit scheint das dritte Muster auf, das geopolitische Argument der Heartland-Theorie.
Machtfaktor Weltinsel – die Heartland-Theorie
„Wer das Weltherz beherrscht, beherrscht die Welt.“ Dieser einfachen Weltformel nach ist das Russland. In seiner Heartland-Theorie reduzierte der Geograf Halford Mackinder 1904 Komplexität zum radikalen geopolitischen Imperativ. Er erklärte das Zentrum der eurasischen Landmasse zum „Herzland“ und leitete aus dessen Mittellage eine besondere Sinnstiftung ab. Mackinder argumentiert mit der Karte: Die Erdoberfläche teilte der Brite in eine aus Europa, Afrika und Asien bestehende Weltinsel ein. Hier herum ordnen sich die küstennäheren Inseln als innerer Halbmond, küstenferne Inseln wie Amerika und Australien formen einen äußeren Halbmond. Eine starke, aber wirkungsvolle Vereinfachung der Realität.
Das Zentrum dieser Weltinsel, das Herzland, verortete Mackinder zwischen die Flüsse Wolga und Jangtsekiang sowie zwischen das Himalaya-Gebirge und die Arktis. Ungefähr umfasst dieses „Heartland“ also das Gebiet der früheren Sowjetunion. Mackinder operiert mit visueller Überzeugungskraft, denn sein Karte positioniert Zentralasien in der Mitte, das so noch massiver erscheint. Dass die Mercator-Projektion die Regionen verzerrt und ein Gebiet größer wird, je weiter es vom Äquator entfernt liegt, beachtete weder Mackinder noch seine Nachfolger.
Derart visuell unterstützt, erfreute sich die Heartland-Theorie großer Popularität. Alexander Dugin, neurechter Vordenker eines erstarkten Russlands, bezieht sich auf Mackinder. Geopolitisch kann er so „erklären“, warum Russland mit dem Westen in ewiger Konkurrenz steht. Und warum diesem wieder Weltmachtstatus zusteht. Unter russischer Dominanz sollte ein „Eurasien“ genanntes Gebiet stehen. Die „Herrschaft von Lissabon bis Wladiwostok“ ist in diesem geopolitischen Denken stehender Begriff. Mit dem Wissen muss man Putins 2010 geäußerten Wunsch nach einer „Gestaltung einer harmonischen Wirtschaftsgemeinschaft von Lissabon bis Wladiwostok“ neu bewerten.
Ein Herz(land) für Trump
Mackinder zufolge steht Landmacht des Heartlands eine Seemacht gegenüber. Das waren traditionell die Angelsachsen, mit ihrem Aufstieg kamen die Vereinigten Staaten dazu. Dort wurde die Theorie in 1930ern bekannt und allmählich wirksam. Sie diente zur Projektion aufs eigene Land. Man konstruierte ein nordamerikanisches Hinterland, das man als eigenen Kulturraum betrachtete. Quasi das eigene „Heartland„. Eine konservative und libertäre Denkfabrik nennt sich beispielsweise The Heartland Institute, im Herzland hat Trump seine Wählerbasis. Wenn der US-Präsident davon schwadroniert, Kanada, Grönland und Panama notfalls mit militärischen Mitteln der USA einzuverleiben, dann bedient er sich der Heartland-Metapher. Auf der Karte erscheint sein Traumgebilde als massive Landmasse – als Gegenpol zu Putins Eurasien-Phantasma.
Bei Trump kann man nie sicher sein, was Prahlerei und bloßes Säbelrasseln ist und was er ernst meint. Aber seine Drohung befeuert die Logik des Großraumdenkens. Ob mit Militär oder Strafzöllen strebt Trump mutmaßlich eine neue Weltordnung an. Seine expansionistische Rhetorik, sein Fokus aufs Konzert der Großmächte und Zölle als Waffen das Begehren nach einer neuen internationalen Ordnung an, mit allen Risiken für die bestehende. Zu spüren bekommt das akut vor allem die Ukraine, zuletzt in Person von Wolodymyr Selenskyj. Doch auch der Rest Europas ist aus Sicht der Heartland-Theorie höchstens ein Anhängsel von „Eurasien“. Dass ein Anhänger dieser Theorie nun US-Präsident ist, ist keine gute Nachricht. Doch sie sollte auch niemanden mehr überraschen.
Zum Autor
Tobias Prüwer studierte Philosophie und Geschichte. Er ist freier Autor und Publizist. Ihn beschäftigen Inszenierungsstrategien, Comics und Körperpolitiken, Heavy Metal und Arthouse, Schwertern und Pflugscharen. Zuletzt erschienen: »Kritik der Mitte. Der Nabel der Welt« (Parodos, 2022) und »1525. Thomas Müntzer und die Revolution des gemeinen Mannes« (Salier, 2025)
Artikelbild: Evan Vucci/AP/dpa / Wikimedia Commons
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