Während am zweiten Tag nach dem Anschlag in Mannheim kaum noch jemand über den Vorfall berichtet und die nächsten Themen dominieren, findet eine Recherche Verbindungen vom mutmaßlichen Täter zu Neonazi-Gruppen – und der Weg zur AfD ist nicht weit. Kein ARD-Brennpunkt, die Neonazi-Enthüllungen interessieren kaum jemanden. Über ein inzwischen tägliches Medienversagen.
Wenn Deutsche töten, kann man es so schlecht instrumentalisieren
In Mannheim raste am 3. März 2025 ein 40-jähriger Mann mit seinem Auto in eine Menschenmenge. Zwei Menschen wurden getötet, elf weitere verletzt. Schon kurz nach der Tat liefen in sozialen Medien und rechtsextremen Kreisen die Empörungsmaschinerien heiß – allerdings nur so lange, bis klar war, wer der Tatverdächtige ist. Als bekannt wurde, dass der Festgenommene Alexander S. Deutscher ist, verstummten viele der zuvor lautesten Stimmen schlagartig. Die Live-Ticker wurden eingestellt, die Gruppen und Kommentarspalten wurden ruhig.
Ein erschreckendes Muster zeigte sich einmal mehr: Je nach Herkunft des Täters wird ein Verbrechen entweder zum Politikum hochstilisiert oder klein geredet. Nach der Amokfahrt in Mannheim blieb ein großer gesellschaftlicher Aufschrei bislang aus. Weder gab es einen ARD-„Brennpunkt“ zur Tat, noch forderten Spitzenpolitiker drastische Konsequenzen. Etwas, was nach sehr ähnlichen Taten wie München zu tagelangen Debatten oder gar Asylverschärfungen führte. Wenn der Täter kein Deutscher war.
Auch die rechtsextreme AfD-Chefin Alice Weidel wechselte auffällig den Ton: Nach einer Gewalttat in München fabulierte sie auf Twitter, „Soll das immer so weitergehen? Migrationswende jetzt!“ – also eine direkte Politisierung im Sinne der AfD-Agenda. Beim Fall Mannheim hingegen drückte Weidel lediglich ihr „aufrichtiges Mitgefühl“ aus, ohne politische Forderungen
Im Fall Mannheim schlossen Ermittler bereits am Abend der Tat fast kategorisch ein politisches oder extremistisch motiviertes Tatmotiv aus: Man konzentriere sich „insbesondere“ auf die psychischen Probleme des Beschuldigten. War das voreilig? Angesichts neuer Erkenntnisse drängt sich diese Frage förmlich auf.
Neonazi-Kontakte: Exif-Recherche entlarvt die Verbindungen
Wie nun dank antifaschistischer Recherche bekannt wurde, hatte der Mannheim-Tatverdächtige wohl Verbindungen in die Neonazi-Szene. Das unabhängige Recherchekollektiv Exif hat aufgedeckt, dass Alexander S. Mitglied einer rechtsextremen Gruppe namens „Ring Bund“ bis mindestens 2018 gewesen sein soll
Diese obskure Gruppierung ordnet sich dem Reichsbürger-Spektrum zu und wurde von zwei berüchtigten Neonazis geführt. Laut Exif handelt es sich dabei um Bernd Z. aus Gröbenzell und Alexander R. aus Neubiberg – beide waren auch Teil eines Waffenhandelsrings der extremen Rechten.
Alexander S. tauchte 2018 in einer Kontaktliste dieses Neonazi-Netzwerks auf, inklusive seiner E-Mail-Adresse, beruflichen Fähigkeiten und dem Vermerk „RB Ringbund“. In der Liste war bei seinem Namen sogar eine Mitgliedsnummer verzeichnet. Mit anderen Worten: Alexander S. wäre demnach fest im Umfeld einer rechtsterroristischen Gruppe verankert gewesen.
Exif konnte weiterhin Indizien dafür nachweisen, dass Alexander S. persönliche Kontakte zu militanten Neonazi-Kadern hatte. So fand sich sein Name in Unterlagen, die auch führende Köpfe der rechtsextremen Szene wie Thorsten Heise und sogar AfD-Faschist Björn Höcke aufführen – letzteren als „persönlich bekannt“.
Der Weg von AfD zu Terror ist nicht weit
Zudem bestätigte Exif mit Foto-Belegen, dass Alexander S. an Neonazi-Aufmärschen teilgenommen hat. Konkret zeigen Bilder ihn bei einem rechten „Wir für Deutschland“-Marsch am 3. Oktober 2018 in Berlin.
Etwa 2.000 Rechte versammelten sich dort, organisiert u.a. von der NPD (die heute als „Die Heimat“ firmiert ist). Auf einem der Fotos steht Alexander S. mitten in der Menge, mit einer Deutschland-Fahne in der Hand. Auf dem Foto sieht man nur paar Meter daneben einen AfD-Abgeordneten.
Dieser Aufmarsch wurde zwar formal von der NPD angeführt – doch wie so oft waren auch diverse AfD-Anhänger und -Funktionäre unter den Teilnehmern, wie Beobachter berichteten. Die Nähe von AfD-Kreisen zu neonazistischen Veranstaltungen ist kein Geheimnis. AfD-Politiker wie Björn Höcke pflegen seit Jahren den Schulterschluss mit extrem rechten Kameraden – sei es auf gemeinsamen Treffen oder durch derartige Organisationen. Die Wege zwischen AfD und rechter Terror-Szene sind real, kurz und gefährlich, auch wenn die AfD dies öffentlichkeitswirksam leugnet.
Natürlich muss die Tat von Mannheim nicht zwangsläufig politisch gewesen sein, nur weil der Tatverdächtige in einer Neonazi-Gruppierung gewesen ist. Aber würde irgendjemand auch nur eine Sekunde daran zweifeln, dass eine Tat islamistisch motiviert war, wenn ein Verdächtiger in so einer Gruppe war? Tatsächlich sind genau solche Dinge, wie verdächtig pro-islamistische Posts genau jene Hinweise, mit denen islamistische Motive festgestellt werden. Ich plädiere übrigens hier dafür, dass wir immer diese Vorsicht haben sollten, nicht, sie jetzt auch über Bord zu werfen. Es ist nur ermüdend, dass nur eine Richtung (korrekt) differenziert wird. In der Vergangenheit wurde die rechte Motivation von Taten wie dem Attentat auf Henriette Reker, dem Sprengstoffanschlag am S-Bahnhof HH-Veddel, dem OEZ-Attentat und anderen auch erst viel später bekannt.
Rechtsextreme Gewalt auf Rekordhoch – doch der Aufschrei bleibt aus
Der Fall Mannheim, wenn er denn eine rechtsextreme Tat ist, wäre kein Einzelfall – weder was rechte Tatverdächtige angeht, noch was das Kleinreden rechter Gewalt betrifft. Die Kriminalität von Rechtsextremen befindet sich in Deutschland nämlich auf einem historischen Höchststand. Politisch motivierte Gewalttaten von rechts nehmen drastisch zu, doch gesellschaftlich scheint man sich daran gefährlich zu gewöhnen.
Ein Blick nach Hessen verdeutlicht den Trend: Dort stieg die Zahl der rechtsextrem motivierten Straftaten 2023 massiv an – von 1.101 Fällen im Jahr 2022 auf 1.511 Fälle im Jahr 2023. Die Zahlen werden offiziell erst morgen bekannt gegeben, aber Hessens Innenminister Roman Poseck erklärte heute, 2024 gab es einen weiteren Anstieg von 57%.
Insbesondere rassistisch motivierte Gewalt nimmt rasant zu. In Sachsen-Anhalt etwa dokumentierte die Mobile Opferberatung im vergangenen Jahr 233 rechte Angriffe – das entspricht statistisch gesehen fast jeden zweiten Tag einer Attacke. Rund drei Viertel dieser Übergriffe hatten explizit rassistische Motive.
Die Opfer reichen von Migrant:innen, Geflüchteten, People of Color bis hin zu politischen Gegnern und marginalisierten Gruppen. Die Mobile Opferberatung in Magdeburg berichtet, dass nach dem Anschlag von Magdeburg die Zahl rechtsextremer Gewalttaten deutlich zugenommen hat. Mehr als die Hälfte war rassistisch motiviert. Antje Arndt, Projektleiterin der Opferberatung in Magdeburg, spricht von einem „dramatischen, sich immer weiter verfestigenden Rassismus-Problem“ in Sachsen-Anhalt. Ähnliche Entwicklungen melden Opferberatungsstellen in vielen Bundesländern.
Wir ignorieren ein massives Problem
Trotz dieser alarmierenden Lage fehlt häufig der öffentliche Aufschrei. Rechtsextreme Gewalttäter fühlen sich ermutigt, weil die gesellschaftliche Reaktion vergleichsweise milde bleibt – zumindest im Vergleich zu islamistischem Terror oder Gewalttaten von Zuwanderern, bei denen Politik und Medien sofort auf höchste Alarmstufe schalten.
Tragischer Tiefpunkt war der rechtsterroristische Anschlag von Hanau 2020, doch seither reißen die Meldungen über rechte Anschlagspläne, Waffendepots und Gewalttaten nicht ab. Im ersten Quartal 2025 gab es bereits mehrere Fälle mutmaßlich rechtsextremer Gewalt – u.a. eine vereitelte Gruppenvergewaltigung und Mordpläne junger Neonazis in Wetzlar, die nur knapp verhindert werden konnten. Hast du gehört, dass bis zu 40 Personen einen Jugendclub in Brandenburg stürmen wollten, und dabei rechte Parolen gerufen und Steine geworfen haben sollen?
Fazit: Bleibt der Aufschrei aus, weil der Täter kein Ausländer war?
Der erschreckende Befund lautet: Weil der Täter von Mannheim kein Ausländer war, blieb der große Aufschrei aus. Hätte Alexander S. Ahmed geheißen und keinen deutschen Pass gehabt, würde das Land vermutlich über nichts anderes diskutieren. So aber versickert der Fall weitgehend in der Rubrik „Amokfahrt eines Verrückten“. Das ist brandgefährlich. Die Medien haben auch ihren Anteil daran. Zum einen werden damit die Opfer und ihre Angehörigen um die Anerkennung der möglichen wahren Hintergründe gebracht. Zum anderen verkennt es die Realität rechtsextremer Gewalt in Deutschland. Und es zeigt, dass es stets nur um die Täter geht, nie um die Opfer.
Was wir brauchen: lückenlose Aufklärung, bundesweite Debatten, politische Konsequenzen – und zwar egal, was die Herkunft des Täters ist. Und auch die Debatten sollten sich um echte Lösungen drehen und nicht Ablenkungen wie Migrationsdebatten. Was ist mit radikalisierter Männlichkeit? Was ist mit psychischer Versorgung? Oder sind uns die Opfer egal, wenn die Täter deutsch sind? Die extreme Rechte hat längst verstanden, wie sie unsere Wahrnehmung manipulieren kann. Lassen wir nicht zu, dass sie Erfolg damit hat.
Artikelbild: Uwe Anspach/dpa; Teile des Artikels wurden mit maschineller Hilfe erstellt.
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