Wer profitiert von einem schwachen Rubel?

Von Olga Samofalowa

Der Dollarkurs auf dem internationalen außerbörslichen Devisenmarkt Forex überschritt laut Handelsdaten zum ersten Mal seit März 2022 die Schwelle von 110 Rubel pro US-Dollar. Der Eurokurs erreichte die Schwelle von 115 Rubel, während der Yuan an der Moskauer Börse über 15 Rubel stieg.

Noch am 5. September lag der Kurs bei 88,93 Rubel, heute beträgt er bereits 105 Rubel. Damit ist der Kurs in weniger als drei Monaten um fast 20 Prozent gestiegen. Finanzminister Anton Siluanow sagte am Vortag, dass der derzeitige Wechselkurs für die Exporteure günstig sei und dass dieser Wechselkurs es ermögliche, den Haushalt wieder aufzufüllen.

Inzwischen wurde seitens der russischen Zentralbank bereits ein erster Schritt zur Stützung des Rubel-Wechselkurses unternommen. Sie kündigte an, dass sie ab dem 28. November und bis zum Jahresende keine Fremdwährungen auf dem Binnenmarkt im Rahmen der Spiegelung regulärer Operationen des russischen Finanzministeriums im Zusammenhang mit der Umsetzung der Haushaltsregeln kaufen werde. Gleichzeitig werde die Zentralbank weiterhin Fremdwährungen zur Auffüllung des Nationalen Wohlfahrtsfonds in Höhe von 8,4 Milliarden Rubel pro Tag verkaufen.

Nach Ansicht von VTB-Chef Andrei Kostin wird sich der Dollarkurs nach einem solchen Anstieg auf einem niedrigeren Kursniveau stabilisieren. Experten glauben jedoch, dass ein Dollarwechselkurs im dreistelligen Bereich die neue Realität ist.

Seit Herbstbeginn schwächelt der Rubel und verzeichnete in den letzten drei Monaten einen Verlust von fast 20 Prozent. Die jüngste Abwertung ist die stärkste. Dies stellt die Reaktion des Rubels auf die neuen gegen die Gazprombank verhängten Sanktionen dar.

Xenia Bondarenko, Expertin am Zentrum für komplexe europäische und internationale Studien der Fakultät für Weltwirtschaft und Weltpolitik an der Nationale Forschungsuniversität "Hochschule der Wirtschaft", erklärt:

"Auf der Exportseite ist es die Verhängung von Sanktionen gegen die Gazprombank. Jetzt sind europäische Kontrahenten nicht mehr in der Lage, für russisches Gas zu bezahlen. Auch die Verhängung von Sanktionen gegen andere kleinere Banken, über die die meisten Zahlungen abgewickelt wurden, spielt eine Rolle. Dadurch hat sich der Zufluss von Devisen verringert. Die Normalisierung der Lage wird Zeit in Anspruch nehmen."

Dies weckt die Sorge, dass Russlands Exporteinnahmen schrumpfen und die Bezahlung von Importen schwieriger wird. Natalia Miltschakowa, leitende Analystin bei Freedom Finance Global, meint dazu:

"Es gibt zusätzliche Befürchtungen, dass Russland die Gasexporte nach Europa stoppen könnte, wenn die EU sich den Sanktionen gegen die Gazprombank anschließt, wodurch ein erheblicher Teil der russischen Gaseinnahmen wegfallen würde."

Bondarenko ergänzt:

"Zweitens wirkt sich die Notwendigkeit, die Budgets bis zum Ende des neuen Jahres voll auszuschöpfen, als unter saisonalen Bedingungen liegende Hauptfaktor der erhöhten Nachfrage nach Importen aus. Außerdem fiel es den Unternehmen vor der Verhängung des jüngsten Sanktionspakets etwas leichter, für Importe zu zahlen, und es wurden lediglich längere Standzeiten an der Grenze vertraglich festgelegt."

Miltschakowa weiter:

"Die von Trump getätigten Äußerungen über mögliche Zölle gegen mehrere Länder auf einmal haben den US-Dollar nicht nur gegenüber dem Rubel, sondern auch gegenüber allen globalen Reservewährungen aufwerten lassen, was offenbar von Trump gewollt war. Die schwache und instabile Dynamik der Ölpreisnotierungen wirkt sich ebenfalls negativ auf den Rubel aus. Genau in der letzten Novemberwoche trafen all diese Faktoren zusammen und nivellierten sogar die Auswirkungen der Steuerperiode auf die russische Währung."

Die Rubelabwertung hat aber nicht nur negative, sondern auch positive Auswirkungen. Miltschakowa weiter:

"Der Haushalt profitiert von einem billigen Rubel mehr als von einem teuren Rubel. Umgerechnet in Rubel kostet ein Barrel Öl bei gleichem Dollarpreis mit einem billigeren Rubel viel mehr als mit einem teureren Rubel. Aus Sicht der Exporteure ist ein billiger Rubel günstiger als ein teurer Rubel, doch bei solchen Rubelsprüngen lässt sich eine langfristige Planung wichtiger Projekte nur schwer realisieren."

Bondarenko meint dazu:

"Der Haushalt profitiert natürlich mehr, ebenso wie die Exporteure. Für den Haushalt bedeutet ein USD/RUB-Kursrückgang um fünf Rubel etwa 500 bis 700 Milliarden Rubel pro Jahr. Es stellt sich aber auch die Frage, wie stark die Öl- und Gaseinnahmen aufgrund dieser Situation sinken werden."

Alexander Potawin, Analyst bei der Finanzgruppe Finam, sagt:

"Anscheinend kommt die derzeitige Rubelabwertung Moskau ganz gelegen, denn sie ermöglicht es dem Land, den Haushalt mit Rubel aufzufüllen – vorausgesetzt, alle anderen Faktoren bleiben unverändert. Als die Regierung einen stärkeren Rubel wollte, erließ sie ein Dekret zur Verschärfung der Devisenkontrollen für Exporteure (so geschehen im Oktober 2023). Doch jetzt lockert die Regierung im Gegenteil die Anforderungen für die Kontrolle von Devisenströmen, was bedeutet, dass sie einen schwächeren Rubelkurs braucht."

Allerdings hat die Rubelabwertung auch negative Folgen. "Zu teure Fremdwährungen schaffen Probleme für Importeure. Vor allem aber trägt der derzeitige Wechselkurs zur Verstärkung der Inflationsrisiken bei. Wie die Zentralbank bereits feststellte, erhöht eine Abwertung des Rubels um jeweils zehn Prozent die Inflation um 0,5 Prozentpunkte. Darüber hinaus erhöhen anhaltende Abwertungsimpulse die Inflationserwartungen bei der Bevölkerung und den Unternehmen", sagt Alexander Schepelew, Börsenexperte bei BKS Investmentwelt.

In erster Linie spiegele sich die Wechselkursaufwertung im Preisanstieg von Importgütern wie Geräten, Elektronik, Autos, verschiedenen Ausrüstungen und Komponenten wider. Die Währungsaufwertung um fast zehn Prozent seit Anfang November mit einer Zeitspanne von ein paar Wochen werde einen entsprechenden Preisanstieg für alle Importe verursachen, fügt Sсhepelew hinzu. Und weiter:

"Die Wechselkursentwicklung ist besorgniserregend, aber die Abwertung ist nicht unkontrollierbar – die Finanzbehörden behalten den Einfluss auf den Wechselkurs. Die wichtigste psychologische Schwelle ist der Bereich des historischen Dollar-Höchststandes von 120 Rubel, der im Frühjahr 2022 erreicht wurde. Im Falle einer Hype-Welle kann man einen Anstieg des Dollars auf 114 bis 115 Rubel nicht ausschließen, aber ein solches Wechselkursniveau birgt natürlich Risiken für die makroökonomische Stabilität. Wir glauben jedoch, dass die Staatsführung den Dollar nicht auf historische Höchststände steigen lassen wird."

Die Behörden haben mindestens zwei Möglichkeiten, den Rubel zu stützen. Von der Ersten wurde bereits Gebrauch gemacht: So setzte die russische Zentralbank die Spiegelung der Operationen des Finanzministeriums, das heißt den Ankauf von Fremdwährungen, bis Ende des Jahres aus. Die Zweite ist die Wiederaufnahme der erhöhten Limits für die Rückführung von Exporterlösen.

Miltschakowa argumentiert:

"Die russische Zentralbank hat bereits angekündigt, die Devisenkäufe bis zum Ende des Jahres einzustellen. Das ist unserer Meinung nach die richtige Maßnahme, aber sie reicht nicht aus, um den Rubel mindestens auf das Niveau von 90 Rubel pro US-Dollar zurückzubringen. Für einen deutlicheren Kursrückgang des US-Dollars und des Euros bedarf es einer Rückkehr zu den Anforderungen an die Exporteure bezüglich des obligatorischen Verkaufs von Währungserlösen um mindestens 80 Prozent.

Diese Maßnahmen wurden angesichts der Rubelabstürze in den Jahren 2022, 2014 und 2015 und auch davor angewandt und haben ihre Wirksamkeit bewiesen. Nun liegt der Ball beim Finanzministerium. Unserer Ansicht nach könnte es im Dezember Währungsverkäufe im Rahmen der Haushaltsregel oder im Extremfall zumindest eine vorübergehende Einstellung der Währungskäufe ankündigen. Generell wäre es eine gute Idee, die gesamten Mittel des Nationalen Wohlfahrtsfonds Russlands nur in Rubel oder zum Beispiel teilweise in Aktien russischer Emittenten und Staatsanleihen zu halten, um das Prestige russischer Rubelanlagen und letztlich des Rubels zu erhöhen." 

Nach Ansicht von Bondarenko führt die russische Regierung den obligatorischen Verkauf von Exporterlösen möglicherweise deshalb nicht ein, weil ein Großteil dieser Erlöse inzwischen in Europa, der Türkei, den Vereinigten Arabischen Emiraten, China und anderen Ländern "festsitzt" und nicht nach Russland transferiert werden kann.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 27. November 2024 zuerst auf der Seite der Zeitung Wsgljad erschienen.

Mehr zum Thema – Reuters: USA drohen deutschen und österreichischen Banken mit Sanktionen

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