Wollen Deutschlands Autobauer wieder auf den russischen Markt? Dafür könnte es schon zu spät sein

Von Alex Männer

Die deutsche Automobilbranche, die bekanntlich als der wichtigste Industriezweig der heimischen Volkswirtschaft gilt, gerät angesichts der hohen Energiekosten immer tiefer in die Krise. Denn während die Produktion weiter zurückfällt, nimmt der Stellenabbau aufgrund der schlechten Auftragslage zu.

Am deutlichsten zeigt sich der Ernst der Lage bei Volkswagen. Wegen schlechter Zahlen ist der Megakonzern zum ersten Mal in seiner 87-jährigen Geschichte gezwungen, Werke zu schließen und einen Teil der Belegschaft zu entlassen – entgegen den eigenen Regeln, die im Arbeitsvertrag seit 1994 festgeschrieben sind und Kündigungen bis 2029 eigentlich untersagen.

Andere Traditionsunternehmen wie BMW und Mercedes-Benz erleben aktuell ebenfalls nicht gerade ihre besten Zeiten. Der Autohersteller aus Bayern vermeldete im dritten Quartal dieses Jahres einen Gewinneinbruch von 84 Prozent. Bei dem Konzern aus Stuttgart brach der Gewinn im selben Zeitraum um mehr als 50 Prozent ein. Insgesamt ging der Umsatz in der deutschen Automobilindustrie im ersten Halbjahr 2024 laut Angaben des Statistischen Bundesamtes um 4,7 Prozent zurück.

Dass die Produktion in diesem Sektor – verglichen mit der internationalen Konkurrenz – mittlerweile teuer und unrentabel geworden ist, ist in hohem Maße darauf zurückzuführen, dass sich die Bundesrepublik im Jahr 2022 einer von den USA angeführten Sanktionskampagne gegen Russland angeschlossen hatte und dadurch mit steigenden Preisen für Energieimporte konfrontiert wurde. Das Ausbleiben eines Großteils der billigen russischen Energielieferungen bedeutete höhere Produktionskosten und somit das Ende des bis dato so erfolgreichen deutschen Geschäftsmodells. Dies führte letzten Endes zur Schließung von Produktionsstandorten im Land.

Mögliche Rückkehr nach Russland?

Diese Situation wird sich vermutlich noch weiter verschlechtern, solange der deutschen Industrie respektive der Autobranche weiterhin günstige Energieträger fehlen. Dies dürfte nun wohl auch dem letzten Autoproduzenten dämmern. Daher wollen einige von ihnen offenbar nach Russland zurückkehren, um einen Teil ihrer Verluste auszugleichen, berichtet das Portal Tageswirtschaft. Unter Verweis auf ein Zeitungsinterview von Ulf Schneider, dem Chef des Beratungsunternehmens Schneider-Gruppe, schreibt das Portal, dass Firmen aus Deutschland angesichts der bestehenden Energiekrise und des Handelsstreits zwischen der Europäischen Union und China bald auf die russischen Märkte zurückkehren könnten.

Diesbezüglich geht Schneider sogar davon aus, dass die Russland-Sanktionen der EU im kommenden Jahr nicht verlängert werden könnten: "Es ist nicht so, dass Russland jetzt irgendetwas groß fehlt. Wir müssen deshalb aufpassen, dass wir gewisse Märkte, die wir sanktioniert haben, nicht dauerhaft verlieren. Wirtschaftlich, nicht politisch betrachtet, sehe ich das so: Sollten in den nächsten zwölf Monaten die Sanktionen des Westens zurückgedreht werden und es möglich sein, einen BMW oder Mercedes auf direkten Wegen von Deutschland nach Russland zu verkaufen, dann werden die russischen Unternehmen auch bereit sein, das zu tun", so der Experte.

Allerdings gibt es hierbei ein allseits bekanntes Dilemma für die deutsche und europäische Industrie, das die Tageswirtschaft gut auf den Punkt bringt: "Zu den Optionen gehören der Weg des Elends, der Beschränkung, der Sparmaßnahmen und des Bankrotts. Und die Alternative ist, die Interessen aller EU-Länder über die amerikanischen Interessen zu stellen und zum Handel mit einem langjährigen Partner aus dem Osten zurückzukehren."

Chinesische Autohersteller auf Erfolgskurs

Das andere Problem besteht darin, dass nach dem Rückzug der europäischen, japanischen und koreanischen Autohersteller aus Russland Marktanteile von fast 70 Prozent frei geworden sind, die bereits größtenteils von den Chinesen übernommen wurden. Angaben des Nachrichtenportals Businessinsider zufolge liegt der Anteil chinesischer Fahrzeuge an den Neuwagenverkäufen in Russland mittlerweile bei über 50 Prozent. Im sogenannten "Premium-Bereich" sollen es sogar mehr als 80 Prozent sein. Anfang 2022 war die Volksrepublik noch mit gerade einmal neun Prozent auf dem russischen Markt vertreten.

Seitdem konnten Chery, Haval, Omoda und die anderen chinesischen Marken ihre Verkäufe enorm steigern und immer neue Höchstwerte erreichen: Im vergangenen September wurden in Russland knapp 93.000 Neuwagen chinesischer Bauart verkauft – ein neuer Rekordwert. Der bisherige Rekord wurde im Monat zuvor aufgestellt und lag bei etwa 90.000 verkauften Autos.

Beobachter verweisen auf den durchweg positiven Trend, der im Vergleich zum vergangenen Jahr nicht zu übersehen ist: Im Jahr 2023 betrug der Gesamtumsatz der Marke Chery "nur" rund 120.000 Fahrzeuge. Der Konzern Great Wall Motor, zu dem unter anderem Haval, Tank, Great Wall und Ora gehören, kam auf 138.000 verkaufte Autos. In diesem Jahr rechnen die beiden Unternehmen mit einem Zuwachs von mehr als 50 Prozent.

Ob Deutschland sich in Anbetracht dieser Erfolge Chinas nun dafür entscheiden wird, die zuvor angeführte "zweite Option" für ihre Industrie zu wählen, ist fraglich. Dafür bedarf es nämlich erst einmal einer Regierung, der die Wirtschaftsinteressen des eigenen Landes nicht egal sind. Insofern stellen der Zerfall der Ampel-Koalition und die vorgezogenen Neuwahlen des Deutschen Bundestages eine echte Chance dar.

Fraglich ist allerdings, ob Volkswagen, BMW und Co. die chinesische Konkurrenz problemlos verdrängen könnten, wie man sich das in der heimischen Branche vorzustellen scheint. Es ist nicht unbedingt der Preisfaktor, der den Chinesen auch auf anderen Märkten stets einen erheblichen Vorteil verschafft hat. Gegen eine erfolgreiche Rückkehr der deutschen Autobauer auf den russischen Markt sprechen auch die vielen negativen Folgen für die Verbraucher in Russland, die der sanktionsbedingte Rückzug mit sich brachte.

Es geht etwa darum, dass Millionen russischer Autobesitzer durch den von der EU angeordneten Lieferstopp von Ersatzteilen und die Verweigerung der Wartung vor den Kopf gestoßen wurden – und für die daraus entstandenen zusätzlichen Kosten selbst aufkommen mussten. Diese finanziellen Belastungen für die einfachen Bürger, die diese gewissermaßen als Strafe empfunden haben, und die dreiste Art und Weise, wie europäische Unternehmen sich in den vergangenen Jahren aufgespielt haben, wurden als eine enorme Ungerechtigkeit empfunden, die in Russland noch lange nachhallen dürfte.

Mehr zum Thema - Wirtschaft und Gas: Europa zahlt hohen Preis für Bruch mit Russland – Deutschland den höchsten

Getting new content in
:

Nur wer angemeldet ist, geniesst alle Vorteile:

  • Eigene Nachrichten-Merkliste
  • Eigener Nachrichtenstrom aus bevorzugten Quellen
  • Eigene Events in den Veranstaltungskalender stellen
M T W T F S S
 
 
 
 
1
 
2
 
3
 
4
 
5
 
6
 
7
 
8
 
9
 
10
 
11
 
12
 
13
 
14
 
15
 
16
 
17
 
18
 
19
 
20
 
21
 
22
 
23
 
24
 
25
 
26
 
27
 
28
 
29
 
30