Das Verwaltungsgericht Köln sieht die polizeiliche Videoüberwachung als grundsätzlich rechtmäßig an. Die Überwachungsbereiche in Köln sind aber zu groß und müssen nun verkleinert werden. Die Kläger-Initiative geht davon aus, dass etwa ein Drittel der Überwachungskameras abgeschaltet oder abgebaut werden muss.
Die Kläger:innen von der Kölner Initiative Kameras stoppen konnten vor dem Verwaltungsgericht Köln einen Teilerfolg gegen die Videoüberwachung in der Domstadt erreichen. Das Gericht erklärte zwar in einer Pressemitteilung, dass die polizeiliche Videoüberwachung durch fest installierte Kameras an sieben Standorten in der Kölner Innenstadt grundsätzlich rechtmäßig sei. Es stellte aber unter anderem fest, dass die Überwachungsbereiche zu groß bemessen sind.
Das sieht die Kläger-Seite positiv. Calvin Baus, Sprecher des Chaos Computer Clubs und „Sachbeistand“ der Kläger:innen, sagt: „Wir freuen uns, dass der Umfang der Überwachungsmaßnahme um ein Drittel eingeschränkt werden muss, auch wenn das Gericht die Videoüberwachung für rechtmäßig hält.“ Das Urteil zeige, dass unbescholtene Menschen sich nicht auf Schritt und Tritt per Knopfdruck verfolgen lassen müssten, so Baus gegenüber netzpolitik.org.
Von Anfang an Proteste gegen die Kameras
Seit Ende 2016 setzt die Polizei Köln Videoüberwachung auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen zur Verhütung und Aufklärung von Straftaten ein. Die Videobilder werden rund um die Uhr von der Polizei in Echtzeit beobachtet, gleichzeitig aber auch für 14 Tage gespeichert. Eine Löschung findet nur statt, wenn die Aufnahmen nicht zur Strafverfolgung oder vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten weiterhin benötigt werden.
Zu den ersten Überwachungsgebieten gehörten die Bereiche um den Kölner Dom und den Hauptbahnhof sowie die Kölner Ringe. Danach folgten 2019 Bereiche um den Breslauer Platz, den Ebertplatz, den Neumarkt und den Wiener Platz. Zuletzt kam im Oktober 2022 die Videoüberwachungszone in Köln-Kalk hinzu. Von Anfang an war die Videoüberwachung in Köln von Protesten begleitet.
Die beiden Kläger:innen sind laut der Presseerklärung der Initiative von der Überwachung selbst betroffen. Ein Kläger wohnt linksrheinisch, in dem am meisten kameraüberwachten Teil der Stadt. Die andere Klägerin wohnt direkt in einem videoüberwachten Bereich. „Sie kann das Haus nicht verlassen oder betreten, ohne dass sie dabei beobachtet und ihr Bild auf den Servern der Polizei gespeichert wird“, schreibt die Initiative. Die Klägerin berichtet von einem Gefühl totaler Überwachung. Deshalb hatte sie sich der Initiative angeschlossen.
Die Kläger:innen wollten mit der Klage die vollständige Einstellung der Videoüberwachung erreichen. Sie sehen ihre Grundrechte auf informationelle Selbstbestimmung, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit und sowie die Achtung des Privatlebens durch die Überwachung beeinträchtigt.
„Ausdehnung über Brennpunkte nicht mit Gesetz vereinbar“
Die vollständige Einstellung der Überwachung konnten die Kläger:innen vor Gericht nicht durchsetzen. Zur Begründung führte das Gericht laut Pressemitteilung aus, dass der Einsatz von Videoüberwachung „an besonders kriminalitätsbelasteten Orten in der Öffentlichkeit“ grundsätzlich ein legitimes Mittel der Gefahrenabwehr sei und mit der Verfassung im Einklang stehe. Das Gericht weist jedoch darauf hin, dass die Landesgesetze die Überwachung auf „einzelne Kriminalitätsschwerpunkte“ begrenze. Deswegen kam das Gericht zum Schluss:
Eine Ausdehnung der Videoüberwachung über die eigentlichen Brennpunkte hinaus auf weitere Straßen, Wege oder Plätze in der Umgebung ist mit dem Gesetz nicht vereinbar.
Es stellte fest: Obwohl die Überwachung grundsätzlich rechtmäßig ist, sind die sieben Videoüberwachungsbereiche jedoch zu groß bemessen. Sie seien nur in Teilen Schwerpunkte der Straßenkriminalität und dürfen nur insoweit von den Kameras erfasst werden. „In vielen bislang ebenfalls überwachten Nebenstraßen ist eine signifikant erhöhte Kriminalitätsbelastung hingegen nicht feststellbar. Insoweit muss die Videoüberwachung beendet werden“, heißt es weiter in der Mitteilung des Gerichts.
Calvin Baus vom Chaos Computer Club fordert die Polizei auf, das Urteil nun unverzüglich umzusetzen. „Es wäre ein schönes Signal der Polizei, dass sie Grundrechte und Privatsphäre aller Anwohnenden respektiert“, so Baus.
Gericht definiert, was ein kriminalitätsbelasteter Ort ist
Prozessbeobachter berichten gegenüber netzpolitik.org, dass das Gericht einen „kriminalitätsbelasteten Ort“ als solchen definiert hat, wenn dort die straßenüblichen Delikte um das Zehnfache höher sind als im Durchschnitt des Gesamtgebietes. In den Landesgesetzen NRW ist ein kriminalitätsbelasteter Ort nur sehr unspezifisch beschrieben.
Dies gilt unter anderem für die von der Klägerin bewohnte Straße in Köln-Kalk. Ferner urteilte das Gericht, dass Außengastronomieflächen, die wie Privatbereiche in Gebäuden zu behandeln sind, nicht überwacht werden dürfen. Einschränkungen für die Überwachung gibt es auch bei politischen Demonstrationen. Auf Versammlungen hätten die „Kläger aus ihrem Versammlungsgrundrecht regelmäßig einen Anspruch darauf, dass sie auch auf ihren Wegen zu und von der Versammlung nicht von Videokameras erfasst werden“.
Bei Versammlungen müssen die Kameras aus sein
Das Gericht fordert zudem in Anlehnung an ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster, dass die Polizei bei Versammlungen die Kameras im gesamten Videoüberwachungsbereich und nicht nur am Versammlungsort abschaltet – und zwar eine Stunde vor Versammlungsbeginn bis 30 Minuten nach dem Ende der Versammlung.
Gegenüber netzpolitik.org sagen die Kläger:innen von „Kameras stoppen“: „Wir freuen uns über diesen Teilerfolg, mit dem wir die Überwachung im Kölner Stadtgebiet reduzieren konnten. Wichtig ist uns der deutliche Hinweis der Kammer, dass die Versammlungen mit den Zu- und Abwegen besonders vor Videoüberwachung geschützt werden müssen.“
Gegen die Urteile können die Beteiligten noch Berufung einlegen, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheiden würde.
CCC kritisiert Datenschutzbehörden
Der Chaos Computer Club kritisiert angesichts des Gerichtsurteils die Datenschutzbehörden. Es habe System, dass die Polizei die „chronisch unterbesetzten Datenschutzbehörden“ außen vor lasse. „Doch die Aufsichtsbehörden spielen dabei mit und suchen im Zweifel sogar im Nachhinein für die Polizei noch nach einer Rechtsgrundlage, um Überwachungsmaßnahmen zu rechtfertigen“, so der Hackerverein in einer Pressemitteilung.
„Wir brauchen dringend Datenschutzbehörden, die ihren Aufgaben gewachsen sind und ihre Kontroll- und Untersagungsbefugnisse einsetzen – und im Zweifel vor Gerichten verteidigen“, sagt CCC-Sprecher Calvin Baus. „Dass Privatpersonen in jahrelangen gerichtlichen Streitigkeiten Grundrechte gegen polizeiliche Überwachungsauswüchse verteidigen müssen, darf nicht der Normalfall werden.“
Aktenzeichen: 20 K 4855/18; 20 K 6705/20; 20 K 6706/20; 20 K 6707/20; 20 K 6708/20; 20 K 6709/20; 20 K 2682/24.
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