Es gibt nicht nur immer mehr Prozesse gegen Demokratiefeinde – es gibt auch immer mehr Urteile. Die Abgrenzung, wer „Querdenker“, Rechtsextremist, Antisemit, AfD-Politiker, Reichsbürger oder alles gleichzeitig ist, fällt immer schwerer. Am Ende wählen die meisten ohnehin die rechtsextreme AfD oder stehen ihr ideologisch zumindest nahe. Die Übergänge verfließen immer weiter. Zugleich haben viele der Verurteilten auch deutliche Schnittmengen mit anderen demokratiegefährdenden Gruppen, sodass wir uns entschlossen haben, die „Querdenker“-Urteile umzubenennen.
Seit 2024 schaffen wir die Urteile-Sammlungen leider nur noch monatlich. Letzten Monat berichteten wir unter anderem darüber, dass ein Polizist nach Häftlingsmisshandlung nun selbst verurteilt wurde. Im März gibt es bereits bis Monatsmitte so viele Urteile, dass wir uns entschlossen haben, diesen Monat zwei Artikel zu veröffentlichen. Im ersten Teil geht es vor allem um die Verurteilung der “Vereinten Patrioten”, die unter anderem planten, Karl Lauterbach zu entführen sowie acht weitere Urteile, darunter eine erneute Niederlage der CDU gegen Campact.
1. Planten Lauterbach-Entführung: Lange Haftstrafen für “Vereinte Patrioten”
Nach fast zwei Jahren Verhandlung kam es im prominenten Prozess rund um die “Vereinten Patrioten”, die unter anderem planten, Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu entführen, zu einem Urteil. Die vier Rädelsführer wurden zu Haftstrafen zwischen 5 Jahren und 9 Monaten und 8 Jahren verurteilt. Ein weiterer der Angeklagten bekam zwei Jahre und zehn Monate.
Mehrere Angeklagte hingen den Ideologien der Reichsbürger nach – eine vom Verfassungsschutz beobachtete Szene, die die Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennt. Für viele von ihnen besteht das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 fort. Für das Jahr 2023 zählt der Verfassungsschutz 25.000 Personen, die der Szene angehören.
Die Pläne der “Vereinten Patrioten”, wegen denen sie nun verurteilt wurden, muten ähnlich an: Sie planten einen Umsturz in Deutschland, einen mehrwöchigen Stromausfall, die Entführung von Lauterbach sowie die Einführung einer neuen Verfassung nach dem Vorbild des Kaiserreichs 1871. Das Oberlandesgericht Koblenz sah es als erwiesen an, dass die Angeklagten Mitglieder einer terroristischen Vereinigung waren.
Einer der Verteidiger hat anscheinend schon Revision eingelegt. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Eine der Angeklagten fiel immer wieder mit antisemitischer Propaganda auf. Ein anderer sagte aus, dass “für ihn alles mit der Corona-Pandemie angefangen habe”, wie der SWR schreibt.
2. 1.000 Euro Ordnungsgeld für bayerischen AfD-Politiker
Der bayerische AfD-Abgeordnete Oskar Lipp muss ein Ordnungsgeld von 1.000 Euro zahlen. Es ist das erste Mal überhaupt, dass der bayerische Landtag mit einem solchen Schritt durchgreift. Die AfD sorgt mal wieder für Negativrekorde. Eben wegen Störaktionen und Beleidigungen wurde im vergangenen Jahr das Abgeordnetengesetz reformiert. Für Störungen gibt es nun ein dreistufiges Verfahren.
Der Grund für das Ordnungsgeld: Lipp hatte in der Plenarsitzung am 27. Februar den NS-Begriff «Endsieg» benutzt, im Kontext des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Er sagte damals, die anderen Parteien würden Friedensverhandlungen zwischen den USA und Russland sabotieren: „Meine Damen und Herren, Sie wollen weiterhin den Endsieg.“, wie die SZ berichtet. Diese Täter-Opfer-Umkehr muss der AfD-Politiker nun teuer bezahlen.
Mit dem Ordnungsgeld holt sich der Staat zumindest einen Bruchteil des Geldes zurück, das für die Rechtsextremisten im bayerischen Landtag ausgegeben wird. Eine BR-Recherche aus dem vergangenen Jahr deckte auf, dass die AfD im Bayerischen Landtag mehrere Mitarbeiter aus dem rechtsextremen Spektrum beschäftigt.
3. Gerichtsniederlage für AfD-Bürgermeister aus Brandenburg
Der AfD-Bürgermeister Arne Raue aus Jüterbog (Brandenburg) hatte in einem YouTube-Video Falschbehauptungen über die ehemalige evangelische Pfarrerin Mechthild Falk verbreitet. Diese muss er nun unterlassen. Das entschied das Amtsgericht Potsdam im Eilverfahren Ende Februar, jedoch nach Redaktionsschluss der letzten Ausgabe der Urteile des Monats. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Zum Hintergrund: “Raue hatte in einem Video auf seinem privaten YouTube-Account am Silvestertag gesagt, Falk habe «Straftaten ihrer Neuankömmlingsschützlinge» gedeckt”, wie die dpa schreibt. An aktuelle, konkrete Tatsachen konnte er aber nicht anknüpfen, wie Falks Rechtsanwälte argumentieren. Die Entscheidung begründete das Gericht zunächst nicht. Ob der AfD-Politiker in die nächste Instanz ziehen wird, ist noch unklar.
Raue erhielt ein Bundestagsdirektmandat für die AfD – Jüterbog wird somit einen neuen Bürgermeister bekommen.
4. Strafbefehl für Akremi: 24.000 Euro für antisemitische Hetze
Der antisemitische Comedian Nizar Akremi erhielt einen Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Koblenz, in dem er zur Zahlung einer Geldstrafe von 24.000 Euro wegen Volksverhetzung aufgefordert wird (120 Tagessätze zu je 200 Euro). Das veröffentlichte er sogar selbst auf seinem Twitter-Account. Gleichzeitig kündigte er an, nicht zahlen zu wollen und hat nach eigener Aussage bereits Einspruch eingelegt. Dementsprechend würde der Fall vor Gericht verhandelt werden.
Antisemitismus ist bei Akremi nichts Neues. Die Jüdische Allgemeine schreibt:
“Akremi fiel in der Vergangenheit häufig mit antisemitischen Aussagen und Sketchen auf, nicht zuletzt durch die regelmäßige Wiederholung des Klischees vom geldgierigen Juden. Zum Beispiel erzählte Akremi in seiner Bühnenshow »Shitstorm« aus dem Jahr 2022, dass er überprüft habe, ob der Restaurantbesitzer auch tatsächlich ein echter Jude sei, indem er eine Münze in die Luft warf. Der Mann habe sofort zugeschnappt. »Ok, der ist Original«, so Akremi.
In weiteren Sketchen macht sich der Comedian auch über den Holocaust lustig und bedient das Klischee vom hakennasigen und kindermordenden Juden.”
Die Verbreitung von antisemitischen Verschwörungserzählungen von “geldgierigen Juden” führte nun auch zu dem Strafbefehl, wie Akremi hier selbst bestätigt:

Negativ fällt Akremi nicht nur wegen Antisemitismus auf, sondern auch wegen Behindertenfeindlichkeit. Zusammen mit Luke Mockridge machte er sich in einem Podcast über Paralympics-Sportler:innen lustig.
5. Erneuter Erfolg von Campact – diesmal gegen CDU-Politiker Ploß
Bereits im Februar konnte Campact einen gerichtlichen Erfolg gegen die CDU erzielen. Der CDU Leipzig wurde per einstweiliger Verfügung vom Landgericht Leipzig untersagt zu behaupten, dass der Verein “Campact” Demonstrationen gegen die CDU unter anderem mit staatlichen Hilfen finanzieren würde. Wir berichteten:
Nun muss auch der Hamburger CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß einen Rückzieher machen. Im September letzten Jahres unterstellte er in einem Twitter-Post, Campact würde Geld von der Bundesregierung erhalten. Den Post löschte er später, doch Campact beantragte im Eilverfahren eine Unterlassungsverfügung beim Landgericht Hamburg.
Das Gericht gab damals dem Antrag statt, doch Ploß legte Widerspruch ein – das Landgericht bestätigte die einstweilige Verfügung gegen den CDU-Politiker. Er ging in Berufung, nun nahm er diese jedoch zurück.
Der Angriff der CDU auf Zivilgesellschaftliche Organisationen
Die CDU nimmt nicht nur Campact ins Visier. Viele gemeinnützige Vereine und zivilgesellschaftliche Organisationen werden derzeit von der Union angegriffen. Sie stellte Ende Februar eine Kleine Anfrage zur Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen. Die Kleine Anfrage trägt den Titel „Politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen“ und ist alles andere als “klein”. In 551 Fragen greift sie Organisationen wie Correctiv, Omas gegen Rechts, BUND, Greenpeace und die Amadeu Antonio Stiftung an.
Die Union stellt mit dem Papier die falsche Behauptung in den Raum, es würde “direkte oder indirekte Wahlkampfunterstützung” stattfinden. Anscheinend kann man es nicht verkraften, nach der Verbreitung von Desinformationen und dem Einreißen der Brandmauer kritisiert zu werden.
Mehr zu der Attacke der Union auf die Zivilgesellschaft findest du in unserem Artikel:
“Eine Antwort wie eine Ohrfeige”, wie die SZ titelte, gab die Bundesregierung der CDU mittlerweile.
6. Bewährungsstrafe für Kubitschek-Sohn
Wegen gefährlicher Körperverletzung wurde der Sohn des rechtsextremen Publizisten Götz Kubitschek zu einer Bewährungsstrafe von acht Monaten verurteilt. Das Urteil ist bereits rechtskräftig.
Zum Hintergrund: Der AfD-Vordenker Kubitschek war im November 2023 bei einer Identitären-Veranstaltung in Wien eingeladen. Sein Sohn war ebenfalls mit dabei und attackierte auf der Rampe vor der Universität Wien eine andere Person mit einer Flasche. Offenbar lag ein Missverständnis vor, denn das Opfer gilt, genauso wie Kubitschek, als rechtsextrem, wie Standard und Spiegel berichten.
Die Bewährungsstrafe verhängte das Amtsgericht Merseburg. Gegen Götz Kubitschek selbst ermittelt derzeit die Polizei Halle. Er soll am Rande eines bundesweiten Treffens von Vertretern der extremen Rechten Ende Januar in Schnellroda einen Journalisten angegriffen haben.
7. Bewährungsstrafe wegen Attacke auf Özdemir-Dienstauto
Auch mehr als ein Jahr nach den Bauernprotesten beschäftigen sich die Gerichte noch mit diesen. Im März verhängte das Amtsgericht Biberach eine Freiheitsstrafe von 9 Monaten auf Bewährung wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Landfriedensbruch. Ein 44jähriger hatte bei den Bauernprotesten 2024 ein Dienstauto von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) angegriffen. Es handelte sich um eine Scheibe des Fahrzeugs aus dem polizeilichen Vorauskommando des Bundesministers. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Der Fall trug sich im Zuge der gewaltsamen Ausschreitungen beim geplanten politischen Aschermittwoch der Grünen in Biberach letztes Jahr zu. Die Grünen-Veranstaltung wurde damals aufgrund dessen abgesagt.
“Laut Staatsanwaltschaft wurde in dem Komplex insgesamt gegen 63 Beschuldigte ermittelt. 14 Anklagen wurden bisher erhoben. Mehr als 40 Strafbefehle über Geldstrafen zwischen 30 und 120 Tagessätzen wurden beantragt – ab einer Verurteilung zu mehr als 90 Tagessätzen gilt man als vorbestraft.” Und weiter: “Die Tatvorwürfe reichen von Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte über Landfriedensbruch bis hin zu Nötigung. Auch das Zeigen des sogenannten Hitlergrußes wird in einem Fall verfolgt”, wie die Schwäbische berichtet.
Auch wir berichteten damals über die rechtsextreme Unterwanderung der Bauernproteste:
8. Nach Rassismusskandal bei Fußballspiel: Spiel wird als verloren gewertet
Nach Rassismusvorwürfen gegen die U19-Mannschaft von Hansa Rostock sowie deren Zuschauer:innen fällte das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes nun ein Urteil. Zwei Spieler von Hansa Rostock wurden für sechs Meisterschaftsspiele gesperrt, ein dritter Spieler muss drei Begegnungen zuschauen. Der Verein muss zusätzlich eine Geldstrafe von 7.500 Euro zahlen.
Die Partie trug sich am 1. Februar zu – gegen die U19-Mannschaft von Holstein Kiel. Beim Stand von 4:3 für die Mecklenburger wurde die Partie in der 90. Spielminute abgebrochen. Die Spieler von Holstein Kiel verließen geschlossen den Platz. Der Grund: rassistische Äußerungen der gegnerischen Akteure und der Zuschauer gegen die Spieler von Holstein Kiel.
Neben den Sperrungen der Rostock-Spieler entschied das Sportgericht, dass das Spiel für beide Mannschaften als verloren gewertet wird. Die Begründung: „Hansa Rostock wurde das Fehlverhalten seiner Anhänger und Spieler zur Last gelegt, Holstein das eigenmächtige Verlassen des Platzes“. Eine zumindest fragwürdige Entscheidung – der KSV Holstein prüft nun weitere rechtliche Schritte. Rostock akzeptierte die Geldstrafen und Spielersperren. Beide Klubs ließen offen, gegen die Spielbewertung vorzugehen.
9. Erfundener Macheten-Angriff: mutmaßlicher Neonazi muss zahlen (CW: Verletzung)
Weil ein mutmaßlich rechtsextremer Chemnitzer einen Macheten-Angriff von Linksextremen frei erfunden hat, muss er 4.500 Euro Strafe zahlen. Die Staatsanwaltschaft Chemnitz erließ einen Strafbefehl wegen Vortäuschens einer Straftat und versuchter Strafvereitelung. Die Entscheidung soll bereits rechtskräftig sein.
Zum Vorgang: “Der damals 29-Jährige hatte sich im August 2023 mit einer verstümmelten Hand bei der Polizei gemeldet. Dort gab das vermeintliche Opfer an (…) von Linksextremen im Chemnitzer Stadtpark mit einer Machete attackiert worden . Ihm seien mehrere Finger abgeschlagen worden”, wie die Freie Presse berichtet. Diese Geschichte wurde auch im Telegram-Kanal der rechtsextremen Freien Sachsen verbreitet.
Der Mann war bereits mehrfach vorbestraft. Die Ermittler fanden bei der Untersuchung seines Smartphones heraus, dass er zuvor danach forschte, wie Amputationsverletzungen richtig zu versorgen seien. Die abgetrennten Finger wurden schlussendlich in einem Glascontainer gefunden. Er hatte mit einem Komplizen ausgemacht, ihm seine ganze Hand abzuschlagen – dieser erwischte nur drei Finger. Der Komplize war bereits im Dezember vom Landgericht Chemnitz zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt worden.
Artikelbild: canva.com
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