Dieser Beitrag von Ans Hartmann und Sabine Herberth erschien zuerst bei Belltower News.
Wenn wir uns mit Debatten und Scheinlösungen über Migration ablenken lassen, sprechen wir nicht über das Problem gewaltvolle Männlichkeit..
Seit Monaten drehen sich politische Debatten über die innere Sicherheit Deutschlands fast ausschließlich um die Rolle von Migration. Die bereits seit Jahren wachsende rassistische Diskursverschiebung und die Infragestellung des Rechts auf Asyl haben sich im Zuge des Wahlkampfs sowie nach den schrecklichen Anschlägen in Magdeburg, Aschaffenburg und München weiter zugespitzt.
Dabei wäre ein weniger populistischer Blick auf Belange der inneren Sicherheit dringend notwendig: So stellt sich die Frage, warum angesichts der Statistiken von täglichen Tötungsversuchen durch Männern an ihren (Ex-)Partnerinnen und von vollendeten Tötungen an jedem zweiten Tag, Gewalt gegen Frauen im Wahlkampf kaum auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Seit Beginn des Jahres wurden bereits 17 Frauen ermordet. Trotzdem spielen Femizide, also Tötungen von Frauen, weil sie Frauen sind, in der sicherheitspolitischen Debatte kaum eine Rolle.
Andere Morde lassen sich nicht rassistisch instrumentalisieren
Die Gründe hierfür sind vielfältig. Femizide und die meisten Formen geschlechtsspezifischer Gewalt finden vor allem im sozialen Nahraum statt und lassen sich, sofern die Täter als weiß bzw. nichtmigrantisch gelten, nicht so leicht für rassistische Wahlkampfzwecke instrumentalisieren. Es hat fast schon Tradition, dass in vielen politischen Debatten die Notwendigkeit, gegen geschlechtsspezifische Gewalt vorzugehen, vor allem dann relevant erscheint, wenn damit andere Botschaften oder politische Interessen verbunden sind und bestimmte gesellschaftliche Gruppen als verantwortlich ausgemacht werden können. Dabei sind (cis) männliche Täter in der Regel nicht nur für häusliche Gewalt verantwortlich, sondern auch für die meisten Anschläge und Attentate. Die breiten gesellschaftlichen Debatten über gewaltvolle Männlichkeit und ihre Ursachen bleiben jedoch aus.


Diese Tendenz zur Instrumentalisierung sowie die generelle Marginalisierung frauenpolitischer Anliegen und tatsächlichem Gewaltschutz zeigt sich auch in einigen Wahlprogrammen. In Erhebungen zu Wahlverhalten und Wahlmotivation werden soziale Gerechtigkeit und Gleichstellung kaum abgefragt und somit in ihrer potenziellen Relevanz nicht mal abgebildet. Geschlechterunterschiede im Wahlverhalten weisen aber durchaus darauf hin, dass diese Themen für einen beträchtlichen Anteil der Wählerinnen eine Rolle spielen.
1. Wahlverhalten und Geschlechterunterschiede: Wie beeinflusst der Wunsch nach Gleichstellung die Wahlentscheidung?
Aktuelle Wahlergebnisse verdeutlichen, dass Union und AfD – die beiden Parteien mit dem niedrigsten Frauenanteil im neuen Bundestag (23 % bei der CDU/CSU und 12 % bei der AfD) – insbesondere die Anliegen junger Frauen kaum priorisieren. Wichtige Themen wie Geschlechtergerechtigkeit, Antidiskriminierung oder ein effektiver Schutz vor Gewalt spielen in ihren Programmen nur eine untergeordnete Rolle. Tatsächlich spiegelt sich dies auch in den Wahlergebnissen: Junge Frauen wählen mehrheitlich Die Linke, während junge Männer häufiger ihre Stimme der AfD geben.
Dieser Trend ist Teil eines weltweiten Phänomens: Junge Frauen stärken zunehmend linke, progressive Kräfte, während sich Teile der jungen Männer politisch stärker in Richtung Autoritarismus entwickeln. In der Forschung wird unter anderem diskutiert, dass antifeministische Haltungen und ein traditionelles, hierarchisches Männlichkeitsverständnis in Zeiten gesellschaftlicher Veränderungen vermeintliche Sicherheit vermitteln. Frauen hingegen entscheiden sich häufiger für Parteien, die sich klar für Gleichberechtigung und Teilhabe einsetzen.

Auch die neue Zusammensetzung des Bundestages weist in Bezug auf Gleichstellung und Repräsentanz eher auf Rückschritte hin: Mit nur noch 32,5 % weiblichen Abgeordneten – gegenüber 35 % zuvor – wird deutlich, dass Frauenrechte und die gezielte Förderung von Frauen in der Politik bei einigen Parteien an Bedeutung verlieren.

2. „Anti-Gender“-Mobilisierung als politisches Instrument und sicherheitspolitisches Problem im Zusammenhang mit geschlechtsspezifischer Gewalt
Wenn wir uns fragen, warum den erschreckend hohen Zahlen geschlechtsspezifischer Gewalt und den täglichen Tötungsversuchen nicht ausreichend politische Relevanz eingeräumt wird, müssen wir auch die Rolle antifeministischer Ideologien und Akteur*innen beleuchten. Wer spricht über die sicherheitspolitische Relevanz von geschlechtsspezifischer Gewalt im Kontext einer weltweit zunehmenden Verbreitung von frauen- und LGBTIQA+ -feindlichen Ideologien im Netz, die sexualisierte Gewalt legitimieren und mit purem Frauenhass und zahlreichen Verschwörungserzählungen einhergehen? Männer wie JD Vance, Elon Musk, Javier Milei oder Andrew Tate erlangen mit diesen Positionen nicht nur Reichweite, sondern gelangen auch in gefährliche politische Verantwortung und Handlungspositionen.
Rechte Politik befördert sexistische und antifeministische Positionen und ist zentraler Bestandteil autoritärer Bestrebungen. Damit schaffen ihre Akteur*innen weiteren Nährboden für Frauenhass und Gewalt. Antifeminist*innen in Regierungen weltweit schaffen dementsprechend Gewaltschutzmaßnahmen ab, bedrohen mit allen Mitteln die Sicherheit von trans Personen und der queeren Community, attackieren Frauenrechte, Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsprogramme und Bildungsarbeit für Kinder und Jugendliche, entziehen Gleichstellungs- und Beratungsstellen die Finanzierung.
Antifeminismus ist allgegenwärtig, antifeministisch motivierte Gewalt alltäglich und damit eine massive Bedrohung für demokratische Grundwerte und die Mehrheit der Bevölkerung.
Angriff auf Frauenrechte ist keine Randerscheinung mehr
In Deutschland steigen die erfassten Fälle von häuslicher Gewalt und queerfeindlicher Hasskriminalität seit Jahren. Gleichzeitig stehen auch hier Gleichberechtigungs-Grundsätze und gesellschaftliche Errungenschaften immer mehr unter Beschuss. Schon in den vergangenen Jahren war zu beobachten, wie extrem rechte und rechtskonservative Akteur*innen große Anstrengungen unternahmen, Gleichstellungspolitik als „Kulturkampf“ zu markieren – ein Kampf gegen vermeintlich „unwichtige Minderheiten“ und ihre „übertriebenen Forderungen“. Dieser Angriff auf Frauenrechte, geschlechtliche und sexuelle Vielfalt ist längst keine Randerscheinung mehr. Er dient autoritären Bewegungen weltweit dazu, Ängste zu schüren und Rechte einzuschränken. Frauenrechte werden nur dann hochgehalten, wenn sie in ein rassistisches oder transfeindliches Narrativ passen – beispielsweise um „fremde“ Täter zu stigmatisieren.

Ein kürzlich veröffentlichter Bericht der ILGA (International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association) zur Situation queerer Menschen in Europa fasst es treffend zusammen:
„Was als Angriff auf LGBTI-Rechte beginnt, entwickelt sich schnell zu einem umfassenderen Angriff auf die Rechte und Freiheiten aller Menschen in der Gesellschaft. Dies ist nicht nur ein LGBTI-Problem, es ist eine Krise für die Menschenrechte und die Demokratie insgesamt.“
Transfeindliche, antifeministische Feindbilder
Auch in Deutschland zeigte sich während der Gesetzgebungsverfahren zum Selbstbestimmungs- und Gewalthilfegesetz, wie weit verbreitet transfeindliche, antifeministische Feindbilder und Desinformationen tatsächlich sind. Transfeindliche politische Mobilisierung und Hetze fanden direkten Eingang in Gesetzestexte und Begründungen. Laut Wahlprogramm von CDU und CSU soll das Selbstbestimmungsgesetz direkt wieder abgeschafft werden.
Ein wesentlicher Mechanismus der Mobilisierung war auch hier die Gegenüberstellung sich vermeintlich ausschließender Interessen und Rechte von Frauen und trans* Personen. Derartige Instrumentalisierung von Gewaltschutz und Frauenrechten dient letztlich dazu, trans- und queerfeindliche Positionen zu rechtfertigen und voranzutreiben. So äußerten sich einige Akteur*innen, die sich so vehement für cis Frauenrechte und Gewaltschutz einsetzen, dahingehend, dass das Gewalthilfegesetz verhindert werden müsse, sollte es – wie in der Istanbul-Konvention vorgesehen – auch weitere marginalisierte Geschlechter einschließen. Dabei handelt es sich um ein Gesetz, für das Expert*innen, Verbände und die feministische Zivilgesellschaft seit Jahrzehnten kämpfen und das in der Praxis tatsächlich das Leben gewaltbetroffener Frauen retten kann.
3. Geschlechtsspezifische Gewalt und Antifeminismus: eine massive Bedrohung für die innere Sicherheit und demokratische Grundwerte
Wer ernsthaft etwas gegen Gewalt in Deutschland und für das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung unternehmen will, muss auch Gewalt gegen Frauen und Antifeminismus als sicherheitspolitische Herausforderungen anerkennen. Antifeminismus fungiert als Türöffner in extrem rechte oder verschwörungsideologische Weltbilder und spielt nachweislich eine zentrale Rolle in der Radikalisierung rechtsextremer Attentäter.
Die Ablehnung von Gleichberechtigung, brutale Frauenfeindlichkeit sowie queer- und insbesondere transfeindliche/transmisogyne Ideologien bildeten in den vergangenen Jahren, oft in Verbindung mit Rassismus und Antisemitismus, zentrale Motive extrem rechter und rechtsterroristischer Gewalttaten und Attentate. In der internationalen Forschung zu geschlechtsspezifischer Gewalt werden zudem konkrete Zusammenhänge zwischen Partnerschaftsgewalt und Attentaten aufgezeigt. So gibt es Erkenntnisse, dass der Großteil der Verantwortlichen von „mass shootings“ in den USA bereits eine Vorgeschichte und/oder rechtskräftige Verurteilung wegen häuslicher Gewalt/Gewalt gegen Frauen hatten. In Ländern wie Großbritannien wird sogar der statistische Anstieg von Fällen geschlechtsspezifischer Gewalt konkret in Verbindung mit der massiven Reichweite frauenfeindlicher Inhalte und Influencer wie Andrew Tate gebracht und darüber diskutiert, Gewalt gegen Frauen offiziell als „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ einzustufen.
Aus der Perspektive von Sicherheitspolitik und Opferschutz besteht somit dringender Handlungsbedarf.
Wichtige Schritte und Grundsätze sind unter anderem:
- Organisierten Frauenhass und Antifeminismus als Phänomen politisch motivierter Kriminalität (PMK) besser erfassen
- Antifeministische Ideologie und (Online-) Radikalisierung ernst nehmen – z.B. im Kontext von Gefährdungsanalysen und Präventionsansätzen
- feministische Zivilgesellschaft stärken – flächendeckende Anlauf- und Monitoringstellen für diejenigen, die von antifeministischen Angriffen betroffen sind
- Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsstrukturen sichern und ausbauen – Forderungen, wie sie etwa von der AfD kommen, Gleichstellungs- und Integrationsbeauftragte abzuschaffen, sind klar als antidemokratische Strategie zu benennen; außerdem muss der Schutz von sexueller und geschlechtlicher Identität im Grundgesetz verankert werden
- CSDs und queere Zivilgesellschaft sowie Bildungsarbeit stärken und vor rechtsextremen Angriffen und Mobilisierungen schützen
- Grundrechte und das Recht auf Schutz vor Gewalt gelten für alle – auch für Geflüchtete. Der Schutz von gewaltbetroffenen, geflüchteten Frauen und queeren Menschen muss gemäß Istanbul-Konvention garantiert werden.
- Die Richtigen in Verantwortung nehmen: verantwortlich für Gewalttaten sind zunächst die Täter*innen, verantwortlich für die Auseinandersetzung zum Umgang mit solchen Taten und dazu, wie (rechts)staatliches Handeln, gesellschaftliches Miteinander und vor allem gute Prävention aussehen kann, sind die Politik und wir alle. Rassistische und transfeindliche Instrumentalisierungen suchen Sündenböcke, lenken von diesen Verantwortungen ab und verhindern gleichzeitig keine Gewalt. Vielmehr führen sie zu mehr Gewalt und legitimieren den Abbau von Rechten und demokratischen Werten.
4. Gemeinsam patriarchale Strukturen überwinden: für echte Sicherheit und Demokratie
Das Erstarken rechter und rechtskonservativer Parteien geht regelmäßig mit einer Zunahme antifeministischer, frauen- und queerfeindlicher Gewalt einher. Zwar sind Frauen und queere Menschen davon besonders betroffen, doch langfristig richtet sich dieser Hass gegen die gesamte demokratische Gesellschaft. Wenn Parteien den Schutz von Frauen oder anderen marginalisierten Gruppen nur dann betonen, wenn er in ihr politisches Kalkül passt, ist das nicht nur scheinheilig, sondern gefährlich.
Gleichzeitig beweisen Wahlerfolge linker und grüner Kräfte, dass viele Menschen soziale Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Vielfalt als zentrale Anliegen sehen. Um diese Werte nachhaltig zu stärken, braucht es jedoch entschlossene und verbindliche Maßnahmen. Eine wirkungsvolle Sicherheitspolitik darf sich nicht an rassistischen Feindbildern abarbeiten, sondern muss patriarchale Strukturen und gewaltvolle Männlichkeit klar als das benennen, was sie sind: eine Gefahr für Frauen, queere Menschen – und letztlich für die gesamte Demokratie.
Wer wirklich für Sicherheit sorgen will, muss patriarchale Gewalt und Antifeminismus ins Visier nehmen – und zwar konsequent, parteiübergreifend und ohne rassistische oder transfeindliche Untertöne. Nur so lässt sich das Vertrauen in eine demokratische Gesellschaft stärken, die alle Menschen schützt und ihnen gleiche Rechte gewährt.
Artikelbild: Oleg Golovnev
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