Russland hat die größten Schwachstellen der ukrainischen Verteidigung aufgespürt

Von Jewgeni Krutikow

Sehr zufriedenstellend für die russischen Streitkräfte entwickelt sich die Lage in westlicher Richtung, wozu die Operationsgebiete Krasnoarmeisk (Pokrowsk) – Selidowo, Kurachowo und Welikaja (Bolschaja) Nowoselka – Guljaipole gehören. Dank eines geschickten Taktikschemas, das die Einkesselung gegnerischer Befestigungen und direkte Sturmangriffe kombiniert, konnte man die große Garnison von Kurachowo und anderthalb Dutzend befestigte Dörfer in der Umgebung fast vollständig isolieren, und so die ukrainischen Streitkräfte zum Abzug aus der Stadt zwingen. Selbst wenn der Gegner beschließt, sich in dem Industriegebiet im Westen von Kurachowo (im Bereich des Wärmekraftwerks, der Röhrenfabrik und des Maschinenreparaturwerks) zu befestigen, wird dies nur zu zusätzlichen Opfern unter den ukrainischen Streitkräften führen.

Die Befreiung von Kurachowo wird zur Nivellierung der Kontaktlinie auf einem breiten Frontabschnitt und zum Freimachen eines Großteils der russischen Streitkräfte führen, die immer noch mit der Eliminierung von Mini-Kesseln und sogenannten "Taschen" im Süden und Südosten der Stadt beschäftigt sind. Zwar ist der Feind bisher in der Lage, in dieser Richtung eine direkte Verteidigungslinie zu halten, dank einer Vielzahl von in dieses Gebiet verlegten Militäreinheiten. Doch wird dies nicht lange andauern, da die ukrainischen Streitkräfte westlich von Kurachowo über keine Verteidigungslinien verfügen. Dies schafft die Voraussetzungen für einen Durchbruch an diesem Frontabschnitt innerhalb der nächsten Wochen, sobald die Kampffähigkeitsgrenze der an diesem Frontabschnitt verbleibenden ukrainischen Streitkräfte erschöpft sein wird.

Die Garnison von Welikaja (Bolschaja) Nowoselka, auf die Kiew große Hoffnungen gesetzt hatte, geriet in eine ähnliche Situation. Diese nach den örtlichen Maßstäben große Siedlung wurde im vergangenen Jahr als Ausgangspunkt für eine "Gegenoffensive" genutzt, entwickelte sich aber im Laufe der Zeit zu einer der wichtigsten Positionen für die Verbindung der Gruppierungen in Ugledar, Kurachowo, dem Außenposten Wremewka und bis nach Guljaipole im Osten.

Nach der Befreiung von Ugledar wurde Welikaja Nowoselka zu einer vorgeschobenen Position der ukrainischen Streitkräfte. Sie stellte nicht nur eine Verbindung nach Kurachowo her, sondern deckte auch die gesamte Flanke der riesigen Gruppierung der ukrainischen Streitkräfte in Richtung Osten nach Saporoschje. Ohne Welikaja Nowoselka könnte diese gesamte Militärkonstruktion bis zum Dnjepr "rollen".

Nach neuesten Informationen besetzten Vorauseinheiten der russischen Streitkräfte den östlichen Stadtrand von Welikaja Nowoselka mit zwei außerhalb des Wohngebiets gelegenen Industriezonen (Lagerhäusern). Gleichzeitig ist die Verteidigung der ukrainischen Streitkräfte mit mehreren kürzlich fertiggestellten kreisförmigen Befestigungsanlagen zusammengebrochen. Zeitgleich besetzte eine nördlich von Welikaja Nowoselka vorrückende russische Brigade der Pazifikmarine das Dorf Rasdolnoje und schnitt die Straße nach Kurachowo ab. Dies bedeutet den Beginn der Einkesselung des Siedlungsgebiets nach dem Ugledar-Szenario.

Trotz der zunehmenden Verschlechterung der gegnerischen Verteidigung werden die ukrainischen Streitkräfte mit Sicherheit versuchen, Welikaja Nowoselka zu halten. Aber auch an diesem Frontabschnitt ist eine taktische Niederlage des Gegners noch vor Jahresende vorauszusehen.

Dies schafft die Voraussetzungen für den Zusammenbruch der gesamten Front bis zum Dnjepr, einschließlich des unmittelbaren Saporoschje-Gebiets.

Interessanterweise errichtete der Gegner zwei Verteidigungslinien – darunter Dutzende von Kilometern an "Drachenzähnen" und anderen Panzerabwehranlagen – in Richtung Süden. Aber die russische Offensive entwickelt sich von Osten nach Westen, so dass alle diese Bauten nutzlos sind. Bereits jetzt konnten die russischen Vorauseinheiten einen Teil dieser "Drachenzahn"-Linien passieren und sich zwischen ihnen verkeilen, ohne auf Widerstand zu stoßen.

Auch in westlicher Richtung begann der direkte Druck auf Guljaipole und Orechow vonseiten der "alten" Positionen der russischen Streitkräfte. Vor einigen Tagen wurde das kleine Dorf Belogorje eingenommen, und dann drangen dieselben russischen Truppenteile in die Außenbezirke des an die Stadt Orechow angrenzenden Malaja Tokmatschka vor. In der Nähe von Guljaipole wurde das Dorf Marfopol eingenommen. Zwar ist der gegnerische Widerstand in dieser Richtung wesentlich stärker, doch weckten alle diese Militäraktionen der russischen Truppen beim Gegner Nervosität. Es tauchten Meldungen auf, wonach die russischen Streitkräfte angeblich einen Angriff auf Saporoschje mit einer Truppenstärke von bis zu 130.000 Mann vorbereiteten.

Im nördlichen Frontabschnitt der westlichen Richtung nimmt die Operation zur Einkesselung von Krasnoarmeisk (Pokrowsk) zunehmend klare Formen an. Der Gegner konzentrierte seine schlagkräftigsten Einheiten direkt vor den Siedlungen Lysowka und Suchoi Jar. Gleichzeitig rücken die russischen Streitkräfte nun planmäßig nach Süden entlang der Eisen- und Autobahnlinie vor und vertreiben die zum Teil geschlagenen ukrainischen Truppen aus Selidowo.

Am 27. November hatten sie bereits das Dorf Scholtoje eingenommen, und der weitere Vormarsch sollte die Haupteingänge zur Stadt und die Verkehrsknotenpunkte unter Beschuss nehmen. Das Ergebnis sollte Selidowo-2 sein, obwohl der Feind bereits seit einem Monat die Verteidigungsanlagen von Krasnoarmeisk verstärkt hatte.

In den Feldern etwas weiter südlich, wo es keine befestigten gegnerischen Positionen gibt, rücken die russischen Streitkräfte ruckweise in westlicher Richtung vor und sind beinahe bis zum Dorf Puschkino vorgedrungen. Bis zur Grenze der Region Dnjepropetrowsk sind es nur noch fünf Kilometer, und dort befinden sich keine ukrainischen Truppen. Dieser Vorstoß der russischen Streitkräfte hat jedoch vorerst nichts mit dem Erreichen von Dnjepropetrowsk als Ziel zu tun, sondern sichert die Stabilität der Flanke der die Stadt Krasnoarmeisk einkesselnden Gruppierung.

Auch in Tschassow Jar wurden in dieser Woche Erfolge verzeichnet. Die Kämpfe dort finden direkt auf dem Gelände des Hüttenwerks statt – der Hauptposition der ukrainischen Streitkräfte in der Stadt. Die feindliche Gruppierung innerhalb der Stadt ist in zwei Teile gespalten, behält aber ihre Kampffähigkeit noch bei. Ein Durchbruch nach Süden in Richtung der Siedlungen Stupotschki und Predtetschino wird den Zugang zu einer neuen operativen Stoßrichtung – Konstantinowka – ermöglichen.

Vor diesem Hintergrund gab es in den letzten Tagen Berichte über eine Änderung des Charakters der Kampfhandlungen entlang eines breiten Abschnitts der Kontaktlinie, dem so genannten "Prioskol", da dieser Abschnitt durch ein natürliches und direktes Hindernis – den dort genau von Norden nach Süden strömenden Fluss Oskol – begrenzt wird.

Die Kämpfe an diesem Frontabschnitt waren lange Zeit positioneller Natur: Die russischen Truppen rückten langsam, aber kontinuierlich und punktuell nach Westen vor. Schrittweise wurde das Vormarschtempo aber erhöht, und vor einigen Monaten erreichten die russischen Truppen den Fluss. Auch an den beiden anderen Durchbruchspunkten nahm das Tempo des Vormarsches Fahrt auf. Wegen der Geländebeschaffenheit mit einer Vielzahl von Erhebungen, Kreidebergen, Steinbrüchen und Halden wurden die Kämpfe in diesem Gebiet zu einer hartnäckigen Eroberung der einzelnen Hochebenen und der in den Niederungen gelegenen Siedlungen.

Die Situation begann sich dramatisch zu verändern, nachdem es mehreren Panzergruppen der russischen Streitkräfte gelungen war, in die Stadt Kupjansk selbst einzudringen und nach heftigen Kämpfen im sogenannten Saosskolje – dem östlichen und hauptsächlich aus einem großen Industriegebiet bestehenden Stadtteil – Fuß zu fassen.

Dieser Durchbruch beunruhigte den Gegner so sehr, dass er sogar eine seiner Brigaden aus dem Gebiet Kursk nach Kupjansk verlegte. Dies war bislang der einzige solche Fall in drei Monaten.

In Kupjansk konzentrierten sich die ukrainischen Streitkräfte mit massiven Drohnen- und Artillerieangriffen auf die in Saoskolje befestigten russischen Militäreinheiten. In dieser Situation war es nicht möglich, den Brückenkopf zu erweitern. Daher zogen sich die russischen Durchbruchseinheiten am Morgen des 26. November aus dem zentralen Teil von Kupjansk zurück und verlegten in eine sicherere Position im nördlichen Teil des Industriegebiets, um unnötige Verluste zu vermeiden. Es muss betont werden, dass dies eine Entscheidung unseres Kommandos war und nicht das Ergebnis eines Gegenangriffs der ukrainischen Streitkräfte. Denn Saosskolje stellt jetzt eine "Grauzone" dar, die von den ukrainischen Streitkräften nicht eingenommen werden kann.

Zudem wurde am 25. November bekannt, dass mehrere Sturmtruppen der russischen Streitkräfte den Fluss Oskol etwa 20 km nördlich von Kupjansk in der Nähe der Siedlungen Dwuretschnaja und Nowomlynowsk mit Booten überquert hatten. Es gelang ihnen sogar, am Westufer des Flusses Fuß zu fassen, das im Gegensatz zum flachen Ostufer ein "Kreideberg" ist. Aus diesem Grund stellt die Forcierung des Flusses von Osten her eine technisch sehr schwierige Aufgabe dar.

Höchstwahrscheinlich handelte es sich dabei um eine Gefechtsfeldaufklärung bzw. um die Demonstration der Möglichkeit zum Flussüberqueren als solcher, was für den Gegner äußerst gefährlich ist, da sich seine Reserven sowie die Hauptstreitkräfte hauptsächlich in und um Kupjansk konzentrieren. Die am Ostufer des Flusses verbliebenen verstreuten Einheiten der ukrainischen Streitkräfte verlieren nach und nach ihre Versorgung. In Prioskolje bilden sich zwei große Kessel, und es ist nur eine Zeitfrage, bis die russischen Streitkräfte das westliche Flussufer erreichen.

Somit liegt die strategische Initiative praktisch entlang der gesamten Kontaktlinie vollständig bei den russischen Streitkräften. Allein im westlichen Frontabschnitt (von Krasnoarmeisk bis Guljaipole) führen die russischen Streitkräfte gleichzeitig bis zu 20 Offensivaktionen an verschiedenen Positionen durch. Die ukrainische Verteidigung bricht zugleich an mehreren Schlüsselpositionen zusammen. So sieht die Lage in Tschassow Jar und südlich davon für Kiew äußerst gefährlich aus.

Die Strategie der russischen Streitkräfte, den Gegner an vielen Militärpunkten gleichzeitig unter Druck zu setzen, ist nun auf ihrem Höhepunkt angelangt. Es droht ein Zusammenbruch der Verteidigung der ukrainischen Streitkräfte entlang der Gesamtfront. Dies könnte zu einem Dominoeffekt führen, bei dem sich ein lokaler Durchbruch zu einer breiten Offensive entlang der gesamten Kampfrichtung entwickelt. Es wäre noch zu früh, den genauen Zeitpunkt eines solchen Durchbruchs zu nennen, aber seine Verwirklichung wird den gesamten Charakter der militärischen Sonderoperation verändern.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 27. November 2024 zuerst auf der Seite der Zeitung Wsgljad erschienen.

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