Protest wirkt

Julian Assange, Foto: David G. Silber, Lizenz Creative Commons

Dass Julian Assange freigelassen wurde, ist das Verdienst der vielen, die sich für ihn einsetzten — auch bei anderen Themen braucht es jetzt wirksame Massenbewegungen. Julian Assange wurde freigelassen, weil sich Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr Hunderttausende von Menschen weltweit aufgemacht haben, um die Inhaftierung des wichtigsten Journalisten unserer Generation anzuprangern. Von diesen Menschen wird nicht gesprochen, und sie sind oft unbekannt. Sie sind jedoch Helden. Sie bewegen Berge. Sie umzingelten das Parlament und standen im strömenden Regen vor den Gerichten. Sie waren hartnäckig und unerschütterlich. Zusammen haben sie sich gemeinsam Gehör verschafft und Julian gerettet. Chris Hedges

 

Nach vierzehn Jahren der Verfolgung wird Julian freikommen (der Text erschien im Original am 26. Juni 2024, Anmerkung der Übersetzerin). Wir müssen die Hunderttausende von Menschen weltweit würdigen, die dies ermöglicht haben.

Die dunkle Maschinerie des Imperiums, deren Verlogenheit und Barbarei Julian Assange der ganzen Welt enthüllt hat, brachte vierzehn Jahre damit zu, ihn zu vernichten. Indem sie seine Bankkonten und Kreditkarten sperrten, drehten sie ihm den Geldhahn zu. Sie brachten fingierte Anschuldigungen wegen sexueller Übergriffe vor, um ihn an Schweden auszuliefern, von wo er schließlich an die USA überstellt werden sollte.

Nachdem sie ihm einen sicheren Transport zum Flughafen Heathrow verweigert hatten, hielten sie ihn sieben Jahre lang in der ecuadorianischen Botschaft in London fest, wo er politisches Asyl und die ecuadorianische Staatsbürgerschaft erhielt. Sie inszenierten einen Regierungswechsel in Ecuador, der zum Entzug seines Exilstatus führte sowie zu seiner Schikane und Demütigung durch fügsames Botschaftspersonal. Sie beauftragten die spanische Sicherheitsfirma UC Global, in der Botschaft all seine Gespräche, darunter auch die mit seinen Anwälten, aufzuzeichnen.

Die CIA zog in Betracht, ihn zu entführen und zu ermorden. Sie organisierten die Stürmung der Botschaft — souveränes Territorium von Ecuador — durch die Metropolitan Police Londons und die Ergreifung von Assange. Sie hielten ihn fünf Jahre im Hochsicherheitsgefängnis HM Prison Belmarsh gefangen — häufig in Einzelhaft.

Und währenddessen führten sie die ganze Zeit eine gerichtliche Farce in britischen Gerichten auf, bei der Rechtsstaatsprinzipien ignoriert wurden, sodass ein australischer Staatsbürger, dessen Standort für seine Veröffentlichungen nicht in den USA angesiedelt war und der wie alle Journalisten Dokumente von Whistleblowern erhielt, nach dem Spionagegesetz („Espionage Act“) angeklagt werden konnte.

Sie versuchten immer und immer und immer wieder, ihn zu vernichten. Sie scheiterten. Aber Julian wurde nicht freigelassen, weil die Gerichte die Rechtsstaatlichkeit verteidigten und einen Mann freisprachen, der kein Verbrechen begangen hatte. Er wurde nicht freigelassen, weil das Weiße Haus unter Biden und die Geheimdienste über ein Gewissen verfügen. Er wurde nicht freigelassen, weil die Nachrichtenagenturen, die seine Enthüllungen veröffentlichten und ihn dann fallen ließen und eine bösartige Verleumdungskampagne gegen ihn fuhren, Druck auf die US-Regierung ausübten.

Trotz dieser Institutionen wurde er freigelassen — Gerichtsdokumenten zufolge aufgrund eines Deals mit dem Gericht.

Er wurde freigelassen, weil sich Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr Hunderttausende von Menschen weltweit aufgemacht haben, um die Inhaftierung des wichtigsten Journalisten unserer Generation anzuprangern. Ohne diese Mobilisierung wäre Julian heute nicht freigekommen.

Massenproteste führen nicht immer zum Erfolg. Noch immer fordert der Völkermord seinen grausamen Tribut von den Palästinensern. Mumia Abu-Jamal ist noch immer in einem Gefängnis in Pennsylvania weggesperrt. Die Industrie für fossile Brennstoffe verwüstet den Planeten. Aber sie (die Massenproteste) sind die mächtigste Waffe, die wir haben, um uns gegen die Tyrannei zu wehren.

Dieser anhaltende Druck — es war mir ein Hochgenuss, als die Bezirksrichterin Vanessa Baraitser vom Old-Bailey-Gericht, das Julians Fall behandelte, sich während einer Anhörung in London 2020 über den Lärm beschwerte, den Demonstranten draußen auf der Straße machten — wirft fortwährend ein Licht auf die Ungerechtigkeit und offenbart die Amoralität der herrschenden Klasse. Deswegen waren die Plätze in den britischen Gerichten so begrenzt und deswegen stellten sich verschlafene Aktivisten bereits um 4 Uhr morgens draußen auf, um Plätze für Journalisten zu sichern, die sie respektierten. Meinen Platz hielt Franco Manzi, ein pensionierter Polizist, für mich frei.

Von diesen Menschen wird nicht gesprochen, und sie sind oft unbekannt. Sie sind jedoch Helden. Sie bewegen Berge. Sie umzingelten das Parlament. Sie standen im strömenden Regen vor den Gerichten. Sie waren hartnäckig und unerschütterlich. Zusammen haben sie sich gemeinsam Gehör verschafft. Sie haben Julian gerettet.

Und während diese schreckliche Geschichte ein Ende findet und Julian und seine Familie hoffentlich Frieden und Heilung in Australien finden, müssen wir diese Menschen würdigen. Sie beschämten Politiker in Australien und trieben sie auf diese Weise dazu, sich für Julian, einen australischen Staatsbürger, einzusetzen, sodass Großbritannien und die USA schließlich aufgeben mussten. Ich meine nicht, dass diese überzeugt wurden, das Richtige zu tun, nein, es war eine Kapitulation. Darauf sollten wir stolz sein.

Ich lernte Julian kennen, als ich seinen Anwalt Michael Ratner zu mehreren Treffen in der ecuadorianischen Botschaft in London begleitete. Michael, einer der besten Bürgerrechtsanwälte unserer Zeit, betonte, dass der vom Volk ausgehende Protest in jedem Fall, den er gegen den Staat vorbrachte, von wesentlicher Bedeutung war, ohne den der Staat seine Verfolgung von Dissidenten, seine Missachtung des Gesetzes und seine Verbrechen im Verborgenen fortsetzen könnte. Menschen wie Michael waren — gemeinsam mit Jennifer Robinson, Stella Assange, WikiLeaks Editor-in-Chief Kristinn Hrafnsson, Nils Melzer, Craig Murray, Roger Waters, Ai WeiWei, John Pilger und Julians Vater John Shipton und Bruder Gabriel — in diesem Kampf entscheidend. Aber sie hätten es nicht alleine geschafft.

Wir brauchen dringend Massenbewegungen. Die Klimakrise wird immer schlimmer. Mit Ausnahme des Jemen sieht die Welt passiv einem live gestreamten Völkermord zu. Die besinnungslose Gier einer grenzenlosen kapitalistischen Expansion hat alles, von menschlichen Wesen bis zur Umwelt, in Waren verwandelt, die bis zur Erschöpfung oder bis zum Zusammenbruch ausgebeutet werden.

Der Abbau von Bürgerrechten hat uns, wie Julian uns warnte, an einen vernetzten Sicherheits- und Überwachungsapparat gekettet, der sich über den ganzen Globus erstreckt.

Die herrschende globale Klasse hat die Karten auf den Tisch gelegt. Im globalen Norden beabsichtigt sie, Klimafestungen zu bauen, während sie im globalen Süden vorhat, ihre industriellen Waffen einzusetzen, um die Verzweifelten auszusperren und abzuschlachten, so wie sie die Palästinenser abschlachten.

Die staatliche Überwachung ist weitaus übergriffiger als die vergangener totalitärer Regime. Kritiker und Dissidenten werden auf digitalen Plattformen leicht marginalisiert oder zum Schweigen gebracht. Diese totalitäre Struktur, die der Politikphilosoph Sheldon Wollin „umgekehrten Totalitarismus“ nannte, wird nach und nach durchgesetzt. Julian hat uns gewarnt. In dem Moment, in dem sich die Machtstruktur durch eine widerspenstige Bevölkerung bedroht fühlt, die ihre Korruption, das Anhäufen obszönen Reichtums, endlose Kriege, Unfähigkeit und wachsende Unterdrückung ablehnt, werden die Reißzähne, die sie einst Julian gezeigt hat, auch vor uns entblößt werden.

Das Ziel einer umfassenden Überwachung besteht, wie Hannah Arendt in „The Origins of Totalitarianism“ („Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“) schreibt, letztlich nicht darin, Verbrechen aufzudecken, sondern „bereit zu sein, wenn die Regierung beschließt, eine bestimmte Kategorie der Bevölkerung zu inhaftieren“. Und weil unsere E-Mails, Telefongespräche, Internetsuchen und geografischen Bewegungen aufgezeichnet und für immer in staatlichen Datenbanken gespeichert werden — weil wir die am meisten fotografierte und verfolgte Bevölkerung der Menschheitsgeschichte sind —, werden mehr als genug „Beweise“ vorliegen, um uns zu ergreifen, sollte der Staat dies für notwendig erachten. Diese ständige Überwachung und die persönlichen Daten warten wie ein tödliches Virus in den Tresoren der Regierung darauf, gegen uns verwendet zu werden. Dabei spielt es keine Rolle, wie trivial oder unschuldig diese Information ist. In totalitären Staaten ist Gerechtigkeit, wie die Wahrheit, irrelevant.

Ein Klima der Angst zu prägen, um eine gefangene Bevölkerung zu lähmen, ist das Ziel eines jeden totalitären Systems. Die Bürger suchen in den Strukturen, von denen sie unterdrückt werden, nach Sicherheit. Inhaftierung, Folter und Mord werden für widerspenstige Abtrünnige wie Julian aufgespart.

Der totalitäre Staat erreicht diese Kontrolle, so Arendt, indem er menschliche Spontaneität und in der Folge auch die menschliche Freiheit unterdrückt. Die Bevölkerung wird durch ein Trauma ruhig gestellt. Die Gerichte legalisieren gemeinsam mit den gesetzgebenden Organen Staatsverbrechen. Wir sahen all dies bei der Verfolgung von Julian. Es ist ein unheilvoller Vorbote der Zukunft.

Der korporatistische Staat muss zerstört werden, wenn wir unsere offene Gesellschaft wiederherstellen und unseren Planeten retten wollen. Sein Sicherheitsapparat muss demontiert werden. Die Bürokraten, die den korporatistischen Totalitarismus verwalten, darunter auch die Führer der beiden großen politischen Parteien, einfältige Akademiker, Experten und bankrotte Medien, müssen aus den Tempeln der Macht vertrieben werden.

Massendemonstrationen und anhaltender ziviler Ungehorsam sind unsere einzige Hoffnung. Wenn wir uns nicht erheben — und genau damit rechnet der korporatistische Staat —, werden wir versklavt, und das Ökosystem der Erde wird für die Menschen unbewohnbar. Lassen Sie uns eine Lektion lernen von den mutigen Männern und Frauen, die 14 Jahre lang auf die Straße gingen, um Julian zu retten. Sie haben uns gezeigt, wie man es macht.

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