Stellen wir uns kurz vor, es ist 2029. Die Union hat mit der SPD zusammen durchregiert, die Wirtschaft wächst wieder. Das Asylsystem der Europäischen Union funktioniert wieder, asylberechtigte Menschen werden fair verteilt. Der Konflikt in der Ukraine ist für den Moment befriedet.
Und die AfD steht immer noch bei 25 %. Warum? Nun, ganz einfach: Die Wirtschaftszahlen sind doch alle Fake. Die AfD teilt lauter Videos von Migranten, die gerade abgeschoben werden und behauptet, es wären Migranten, die gerade Deutschland stürmen. Elon Musk und Tiktok sorgen dafür, dass jeder deutsche Twitter-Nutzer die zu sehen bekommt.
Und das war der positive Fall, in dem die Koalition glattläuft und Putin uns nicht alle ermorden möchte. Man muss sich nur mal vor Augen halten, dass der mit Landesverrätern verbandelte Maximilian Krah seinen Wahlkreis mit 44 % gewonnen hat.
Die Union profitiert eben nicht von Desinformation, Rechtspopulismus und Polarisierung – sondern die AfD. Das zeigen wir im Folgenden ausführlich:
Rechtspopulismus hilft nicht
Im Wahlkampf aus der Opposition ist es einfach gemacht mit den Sündenböcken. Es ist leicht, Probleme von der Seitenlinie zu kritisieren, eine Regierung schlecht zu reden. Die Union hat sich darin die letzten vier Jahre geübt. Die Ampel war natürlich ein leichtes Ziel, zerstritten, kein Wachstum, Inflation und kein Gefühl, die Dinge in den Griff zu kriegen.
Und trotzdem konnte die Union nichtmal 5 % zulegen, während gleichzeitig die AfD ihr Ergebnis verdoppelte und das BSW aus dem Stand 5 % erzielte. Dass die Union überhaupt Prozentpunkte gewonnen hat, lag vor allem an enttäuschten Ex-Ampel-Wähler*innen – an die AfD hat die Union aber sogar rund eine Million Stimmen verloren. In absoluten Zahlen hat keine Partei mehr Stimmen an die AfD verloren als die CDU/CSU.
Das passierte nicht einfach so. Wie es Forscher seit Jahren gebetsmühlenartig wiederholen: Die Themen der AfD zu bespielen, hilft der AfD.
Nicht nur die Union muss sich das vorwerfen lassen, auch deutsche Medien stärken die AfD.
Demokraten beleidigen hilft Merz nicht
Merz und Söder waren schon während des ganzen Wahlkampfs nicht gut auf die Grünen zu sprechen – um es mal höflich auszudrücken. Nur 14 000 Stimmen verschonen jetzt die Union davon, mit den Grünen regieren zu müssen. Was hätte die Union, was hätte Deutschland gemacht, wenn es anders gekommen wäre? Wie hätte man DAS den eigenen Wählern erklärt nach all der Hetze?
Merz hat – gerade mit seiner Rede vom Samstag – viele Demokrat*innen vor den Kopf gestoßen. Er nannte die Protestler “Spinner”, die “nicht alle Tassen im Schrank” haben.
Die er dort beleidigte, sind übrigens dieselben Menschen, die Merz ein Jahr zuvor noch als “ermutigend” bezeichnet hatte.
Die Proteste gegen Rechts selbst waren übrigens schon deutlich länger geplant als Merz’ Zusammenarbeit mit der AfD im Januar. Man kann also sagen: Die Protestler stehen noch da, wo Merz sie “ermutigend” nannte, nur Merz hat mit seiner Abstimmung mit der AfD die Demokraten gespalten. Markus Söder sagte damals über die Proteste: “Wenn Demokraten zusammen halten, haben Extremisten keine Chance”.
Die Linke war die einzige Partei, die eine Koalition mit der Union ausgeschlossen hatte. Mit seiner ruppigen Antwort auf die Demokratiebewegung in Deutschland – erst mit der AfD stimmen, dann die Proteste beleidigen – hat Merz der Partei viele Menschen zugetrieben. Dadurch haben SPD, Grüne und die Union jetzt keine 2/3 Mehrheit mehr. Und müssen beispielsweise die Schuldenbremse jetzt noch mit dem alten Bundestag modernisieren.
Merz wird seine Wähler enttäuschen
Julian Reichelt schlachtet bereits genüsslich aus, dass Merz nun sagt, er „wolle die Grenzen nicht schließen”. Das hat Merz auch nie gefordert (er wollte Zurückweisungen an der Grenze), aber wir hatten genau das schon vorhergesagt: Dass Merz die geschürten Erwartungen nicht wird erfüllen können.

Eigentlich hatte Merz für Tag 1 eine “grundlegende Wende” der Asylpolitik versprochen, stattdessen wurde sogar noch vor Tag 1 der Kanzlerschaft ein weiteres Wahlkampfthema kassiert. Statt vor der Wahl die Schuldenbremse zu modernisieren, hatte Merz sich für die Schuldenbremse ausgesprochen. Am Tag 1 nach der Wahl gibts nun doch Pläne für eine Reform.

Wie sieht es bei anderen Wahlversprechen aus? Wird es E-Fuels geben? Vermutlich nicht, weil es viel zu teuer ist. Wird es Kernkraft geben? Die Betreiber winken ab. Die Union forderte Steuersenkungen für Reichere, aber woher soll das Geld kommen?
Wie wärs mit Fakten?
Im Gegenteil: Im aktuellen Klima profitiert die Union davon, wenn sie sich mit einem faktenbasierten Kommunikationsstil von der AfD abheben kann. Das Programm der AfD ist fundamental von der Realität abgekoppelt. Dort gibt es keinen Putin, der gerade einen Angriffskrieg führt. Keine Pandemien. Keinen Klimawandel. Keinen demographischen Wandel. Deutschland als Exportnation, Deutschland als Land für Fachkräfte ist in deren Realität nicht existent. Man kann die AfD inhaltlich stellen. Man muss damit aber irgendwann auch mal anfangen.
Deshalb muss die Union den Kampf gegen Desinformation aufnehmen. Über die Volkshochschulen, das Bildungssystem, über Regeln für Tiktok und X, über die Landesmedienanstalten. Und natürlich über “leading by example”. Auf allen Ebenen der Partei. Ich habe das Gefühl, das wird mit am schwersten.
Artikelbild: Juergen Nowak
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