Lindner-Papier: Elementare Zusammenhänge nicht verstanden

Von Gert Ewen Ungar

Deutschland befindet sich in einer schweren Wirtschaftskrise. Die Gründe dafür sind schnell erklärt. Mit der Absage an günstige russische Energie im Rahmen der Sanktionen steigen die Preise für Energie und damit auch für die in Deutschland hergestellten Waren und Güter.  

Die auf Export fokussierten deutschen Unternehmen haben dadurch einen gravierenden Nachteil und verlieren Marktanteile. In der Folge fahren sie ihre Produktion zurück, schließen Werke und entlassen Mitarbeiter. In der Marktwirtschaft ist nämlich der Preis der entscheidende Faktor, nicht der Fleiß individueller Arbeitnehmer und auch nicht die Genialität deutscher Ingenieure – auch wenn in Deutschland ständig behauptet wird, es sei anders.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich Deutschland an der Eskalation des Handelskrieges mit China beteiligt und auch politisch auf Konfrontation geht. Völlig sinnlose Durchfahrten deutscher Kriegsschiffe durch die Straße von Taiwan und die Besuche von Delegationen des Bundestags auf der Insel können das Verhältnis mit Deutschlands zweitwichtigstem Handelspartner nur verschlechtern.

Durch derartige, in ihren Konsequenzen nicht durchdachte Provokationen kann Deutschland nichts gewinnen. Der Verlierer der von Deutschland nicht nur mitgetragenen, sondern angeführten Eskalation gegenüber China steht daher jetzt schon fest. Ein positiver Effekt auf die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen ist absolut ausgeschlossen.

Mit der Analyse des Problems ist auch seine Lösung eigentlich bereits gefunden. Deutschland muss seine Beziehungen zu Russland und China verbessern und die Energielieferungen aus Russland wieder aufnehmen, um die Krise im Land zu überwinden. Doch genau darüber darf in Deutschland nicht diskutiert werden. Jeder, der es dennoch tut, wird aus dem Diskurs mit der Begründung ausgegrenzt, er würde russische Propaganda betreiben und dem Kreml in die Hände spielen. 

Auch das 18-seitige Positionspapier der FDP zur Wirtschaftspolitik bildet da keine Ausnahme. "China" und "Russland" sowie der Begriff "Sanktionen" tauchen in dem Papier gar nicht erst auf. Es geht nur an einer Stelle kurz und diffus um geopolitische Faktoren und das Problem von Protektionismus, ohne dass Ross und Reiter genannt werden.

Die Umsetzung der FDP-Vorschläge würde Deutschland der Lösung seiner wirtschaftlichen Probleme daher auch keinen Schritt näher bringen, denn sie benennen die Ursache der deutschen Misere nicht. Auf diese eigentlich wichtige Provokation seiner Koalitionspartner hat Christian Lindner dann doch verzichtet.

Das Papier verdeutlicht aber ein grundlegendes Problem der Ampelkoalitionäre. Dort stehen sich rein ideologisch begründete wirtschaftspolitische Positionen unversöhnlich gegenüber, wobei keiner der Ansätze in der Lage ist, Deutschland wieder auf den Wachstumspfad zurückzuführen, weil man sich der Analyse verweigert. 

Das Lindner-Papier fordert beispielsweise den Abbau von Regulierungen. Im FDP-Jargon liest sich das so:

"Für die nächsten drei Jahre sollte ein striktes Moratorium dafür sorgen, dass keine neuen Regulierungen und keine neue Bürokratie in Deutschland beschlossen werden. Insbesondere sollte in diesem Zeitraum die volle Konzentration auf dem Abbau von Regulierung und Standards liegen."

Das klingt gut und sehr nach FDP, allerdings ist Lindner, was den Abbau von Regulierungen angeht, im höchsten Maße inkonsequent. Die Russland-Sanktionen sind nichts anderes als Marktregulierungen. Es handelt sich um massive staatliche Eingriffe in den Markt, mit denen versucht wird, seine Gesetzmäßigkeiten auszuhebeln.

Die Sanktionen verstoßen gegen alles, was den Liberalen eigentlich lieb und heilig ist: die freie Entfaltung der Kräfte des Marktes, von denen dann alle durch günstige Preise profitieren. Meistens ist das zwar Blödsinn, doch was den Energiemarkt angeht, ist es ausnahmsweise mal richtig; und ausgerechnet hier stimmt die FDP nicht ihr Loblied auf den freien Markt an, sondern gibt sich repressiv.

Das ist alles schon reichlich irre. Wenn es um Russland geht, sind Christian Lindner und seine FDP plötzlich die großen Regulierungs-Fans. Auf der Seite des Bundesfinanzministeriums findet sich unter der Rubrik "Unsere Meilensteine" eine Rede Lindners aus dem Jahr 2022 vor dem Bundestag zur Verabschiedung des Sanktionsdurchsetzungsgesetzes. Repressive Maßnahmen und ihre rigorose Durchsetzung sind plötzlich Lindners Lieblings-Ding.

Würde er es mit dem Regulierungsabbau ernst meinen, würde er bei den Sanktionen ansetzen. Dass Lindner das nicht tut, macht sein Agieren in der Krise ähnlich unglaubwürdig wie das von Wirtschaftsminister Habeck. Sie haben nichts zur Lösung beizutragen. Das ist die alarmierende Nachricht für die Deutschen. Es fehlt in den relevanten Ministerien an Sachkompetenz zur Lösung der drängenden Probleme. 

Stattdessen nutzen sie die schwerste Wirtschaftskrise Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg, um ihre Animositäten in aller Öffentlichkeit auszutragen und wie die Gockel aufeinander rumzuhacken. Dass sich Habeck und Lindner nicht mögen, ist bekannt und macht das Papier ebenfalls deutlich. Die Vorschläge der FDP attackieren alles, was dem grünen Koalitionspartner am Herzen liegt: Klimapolitik, Energiewende, Umweltschutz.

Es ist eine offene Provokation, die in ihrem Rundumschlag bei aller berechtigten Kritik an Habeck und der von ihm zu verantwortenden Wirtschaftspolitik ähnlich sinnlos ist, wie die Durchfahrt der Fregatte Baden-Württemberg durch die Straße von Taiwan. Da hat er's dem Habeck aber gegeben! Zur Lösung tragen die zur Schau getragenen Eitelkeiten allerdings nichts bei. 

Ansonsten enthält das Papier das, was man von der FDP erwartet: Rückbau von Arbeitnehmerrechten, sozialer Kahlschlag, Festhalten an der Schuldenbremse, Maßnahmen, mit denen die ohnehin schwache Inlandsnachfrage weiter gedrosselt wird. Die Vorschläge führen daher auch nicht aus der Krise heraus, sondern tiefer in sie hinein. Dazu braucht es keine seherischen Fähigkeiten. 

Die notwendigen Investitionen zur Modernisierung Deutschlands sollen irgendwie aus dem laufenden Haushalt gestemmt werden. Mit dem Abbau von Bürokratie soll der durch die Sanktionen verursachte Investitionseinbruch kompensiert und ein Feuerwerk an Investments ausgelöst werden. Christian Lindner ist ebenso ein Traumtänzer wie Robert Habeck. Sie träumen nur unterschiedliche Träume. Das ist die für Deutschland alarmierende Nachricht.

Investiert wird, wenn Unternehmen mit einer wachsenden Nachfrage rechnen. Das ist beim Maßnahmenkatalog der FDP allerdings nicht zu erwarten. Daher ist auch die Hoffnung auf Investitionen der Privatwirtschaft nicht realistisch. 

Die Rückkehr zu Wachstum und den Erhalt von Wohlstand gibt es für Deutschland nur, wenn es zum Völkerrecht zurückkehrt, auf repressive Maßnahmen gegen andere Länder verzichtet und Provokationen unterlässt. Am letzten Besuch einer Delegation des Deutschen Bundestages auf Taiwan war übrigens FDP-Ministerin Stark-Watzinger beteiligt. Es war das erste Mal, dass ein deutscher Politiker im Rang eines Ministers die Insel besucht hat. Das Unterlassen solcher Ego-Trips wäre für die Bekämpfung der deutschen Wirtschaftskrise mit Sicherheit deutlich zielführender als jede Maßnahme zum Bürokratieabbau.  

Der Weg zu Wachstum führt über globale Kooperation und nicht über Konfrontation und völkerrechtswidrige repressive Maßnahmen. Dieses Prinzip hat derzeit allerdings keine der etablierten deutschen Parteien verstanden. Das ist die bedrückende Nachricht.

Die FDP verfügt nicht über das Rezept, um die deutsche Wirtschaft wieder auf einen Kurs in Richtung Wachstum zu führen. Die SPD, die Grünen sowie die CDU allerdings auch nicht. Das ist das Dilemma des deutschen Wählers. Denn selbst wenn das Lindner-Papier das von vielen herbeigesehnte Ende der Ampel einleiten sollte – ein Ende der destruktiven deutschen Politik bedeutet das noch lange nicht.

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