KW 7: Die Woche, in der die Betroffenen Mut und Größe zeigten

Die 7. Kalenderwoche geht zu Ende. Wir haben 23 neue Texte mit insgesamt 220.849 Zeichen veröffentlicht. Willkommen zum netzpolitischen Wochenrückblick.

Liebe Leser:innen,

am Donnerstag um 17:59 Uhr hat mich eine Pressemitteilung erreicht, die mir sofort das Herz erwärmt: Betroffene des Münchener Anschlags, Menschen aus der Gewerkschaft und deren Freund:innen rufen zu einer spontanen Demo auf, in der sie einerseits der Opfer gedenken wollen und sich andererseits gegen die politische Instrumentalisierung wehren. Im Aufruf heißt es:

Als Gewerkschafter:innen und Betroffene sehen wir die aktuelle rassistische Stimmungsmache nicht als Unterstützung, sondern im Gegenteil als weiteren Angriff auf uns und fordern die Politik auf, sie zu unterlassen!

Es sind genau diese Stimmen der Menschlichkeit, die untergehen, wenn es zu einem Ereignis wie in München kommt. Denn Anschläge, Amokläufe und Morde unter Beteiligung von Menschen mit Migrationsgeschichte haben ein mediales Muster, das immer gleich ist und das wir alle mittlerweile gut kennen.

So auch dieses Mal:

Die Eilmeldung von der Tat trifft ein, es gebe etwa 30 Verletzte. Umgehend erste Spekulationen, auf der Hassplattform X sofort Schuldzuweisungen. Dann erste Infos vom bayerischen Innenminister: Es war ein Muslim, polizeibekannt, kriminell. Die Bundesinnenministerin fordert per Pressemitteilung die „maximale Härte des Rechtsstaats“ – auch wenn das rechtstheoretisch natürlich Bullshit ist – und markiert Härte: wir schieben als einzige auch zu den Taliban ab.

Söder ruft „Es reicht einfach!“ dazwischen, Scholz will ganz schnell auch abschieben, Merz in Deutschland etwas grundlegend ändern, Weidel hetzt. Irgendwer spricht von einer feigen Tat, die Gedanken seien bei den Opfern. Terrorexperten spekulieren, Söder inszeniert sich auf Instagram am Tatort. Kurz danach muss der bayerische Innenminister korrigieren, was er an Falschem verbreitet hat. Die Redaktionen tickern wie wild, Genaues weiß man nicht. Dennoch fragt abends der Moderator im ARD-Brennpunkt allen Ernstes den – warum auch immer eingeladenen – Ministerpräsidenten aus Rheinland-Pfalz, ob nicht doch zu viele Flüchtlinge im Lande seien.

Es ist nicht auszuhalten. Es ist ein Muster, das Rassismus, Angst und Hilflosigkeit vorantreibt und dabei Aktionismus, Handlungsfähigkeit und Entschlossenheit simuliert – aber in keinster Weise gegen solch schreckliche Taten hilft.

Die einzigen, die nicht in dieses Muster passen, sind die betroffenen Gewerkschafter:innen und ihre spontane Demo am Odeonsplatz. Ihr expliziter Wunsch: Dass sie und ihr Leid nicht instrumentalisiert werden – nicht für den Wahlkampf und nicht, um Migranten:innen das Leben schwer zu machen.

Eine Auszubildende der Stadt München spricht am Abend. Die Statements aus der Politik würden sie nicht nur hilflos und traurig machen, sondern „richtig, richtig wütend“. „Ich will am liebsten nur kotzen“, weil die Tat für einen „rechten und rassistischen Wahlkampf“ genutzt werde, sagt sie auf der Demo. Über die Demo und den Wunsch der Betroffenen wird in den Nachrichten kaum berichtet, sie bleiben Randnotiz.

Dabei zeigen ausgerechnet sie an diesem schlimmen Tag Größe und Mut. Sie machen Hoffnung. Denn sie stehen tatsächlich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, den andere nur floskelhaft beschwören, während sie gleichzeitig die rassistische Ausgrenzung von an der Tat völlig unbeteiligten Menschen vorantreiben.

In Gedanken bei den Betroffenen

Markus Reuter


Degitalisierung: Obskur

Was haben fragwürdige Wahlversprechen, ritualisierte Forderungen nach mehr Überwachung und Aufmerksamkeitsgetriebenheit gemeinsam? Sie alle verdunkeln das, worum es eigentlich geht. Zeit für mehr Klarheit, findet unsere Kolumnistin. Von Bianca Kastl –
Artikel lesen

US-israelische Firma Paragon: Neue Details zu Spionage-Angriff mit Trojaner „Graphite“

Italien dementiert, Kritiker*innen seiner Migrationspolitik mit Trojanern angegriffen zu haben. Auch in Deutschland soll es Betroffene geben. Die Bundesregierung gibt sich unwissend. Der Spähsoftware-Hersteller hat einen Briefkasten in Hamburg. Von Matthias Monroy –
Artikel lesen

Algospeak: Was Winterschuhe mit Politik zu tun haben

Politische Inhalte werden teilweise von Social-Media-Plattformen blockiert oder versteckt. Um den algorithmischen Filtern zu entwischen, entwickeln die Nutzer:innen eine eigene Sprache. Von Lilly Pursch –
Artikel lesen

Desinformation: Berliner Polizei bringt manipuliertes Foto in Umlauf

Die Berliner Polizei verbreitet ein manipuliertes Foto des Protestbusses des Zentrums für politische Schönheit – ohne die Veränderung transparent zu machen. Mehrere Medien übernehmen das Bild. Die Künstlergruppe wirft der Polizei zudem fortlaufende Schikanen vor. Von Markus Reuter –
Artikel lesen

Gesundheitsdaten: Fünf Thesen zur elektronischen Patientenakte

Die elektronische Patientenakte befindet sich derzeit im Testlauf. Und noch bevor sie bundesweit ausgerollt wird, wachsen die Begehrlichkeiten von sicherheitspolitischer und wirtschaftlicher Seite. Das Risiko sollen derweil die Versicherten tragen. Eine Zwischenbilanz und ein Ausblick, was nach der Bundestagswahl droht. Von Daniel Leisegang –
Artikel lesen

Cookie-Banner und Online-Tracking: EU-Kommission beerdigt Pläne für ePrivacy-Verordnung

Eigentlich wollte die EU mit der ePrivacy-Verordnung schon vor Jahren moderne Regeln für Tracking im Internet und Datenschutz bei Messengern festlegen. Stattdessen steckte das Gesetz in Verhandlungen fest. Nun zieht die EU-Kommission ihren Vorschlag zurück und öffnet den Weg für einen Neuanfang. Von Maximilian Henning –
Artikel lesen

Databroker Files: Wetter Online zieht Konsequenzen

Nach einer Aufforderung durch die Datenschutzbehörde hat Wetter Online seine Datenschutz-Regeln verschärft. Vorausgegangen waren Recherchen von netzpolitik.org, BR und internationalen Partnern. Gemeinsam mit der NGO noyb legen wir Beschwerde ein, weil Wetter Online Betroffenenrechte missachtet hat. Von Ingo Dachwitz, Sebastian Meineck –
Artikel lesen

Databroker Files: Diese EU-Firma soll Standortdaten aus Deutschland verkauft haben

Ausgerechnet ein Unternehmen aus der EU soll die präzisen Standortdaten von Millionen Menschen in Deutschland gesammelt und verkauft haben: Eskimi aus Litauen. Das Unternehmen bestreitet das. Recherchen von netzpolitik.org, BR und internationalen Partnern zeigen, welche Verbindungen Eskimi zum Geschäft mit sensiblen Daten hat. Von Ingo Dachwitz, Sebastian Meineck –
Artikel lesen

Databroker Files: Im Dschungel der Datenhändler

In Massen verkaufen Databroker Handy-Daten von Millionen Menschen, darunter genaue Standorte. Warum sprudeln die Daten immer weiter? Mit internationalen Recherche-Partnern decken wir ein raffiniertes System auf, in dem die Beteiligten die Verantwortung von sich weisen – sodass alle kassieren und niemand haftet. Von Sebastian Meineck, Ingo Dachwitz –
Artikel lesen

Tracking im Netz: „Manipulation, Diskriminierung und Vertrauensverlust“ durch personalisierte Werbung

Verbraucherschützer:innen fordern, Tracking zu verbieten und besser zu kontrollieren. Laut einem Gutachten birgt Tracking erhebliche Gefahren für Nutzer:innen, die diese kaum überblicken könnten. Bestehende Gesetze bieten dabei keinen umfassenden Schutz. Von Jan Grapenthin –
Artikel lesen

Internes Protokoll: Mehrheit der EU-Staaten beharrt auf verpflichtender Chatkontrolle

Die polnische Ratspräsidentschaft schlägt vor, die Chatkontrolle freiwillig zu erlauben statt verpflichtend zu machen. 16 von 27 EU-Staaten lehnen das ab, teilweise mit drastischen Worten. Damit ist weiterhin keine Einigung in Sicht. Wir veröffentlichen das eingestufte Verhandlungsprotokoll. Von Andre Meister –
Artikel lesen

Maßnahmen gegen Tech-Konzerne: „Das Internet zurückerobern, Alternativen stärken!“

Mächtige Tech-Konzerne dominieren das Internet und soziale Netzwerke. Verbände und prominente Personen haben einen 10-Punkte-Plan vorgelegt, der offene Alternativen wie das Fediverse stärken soll. Von Markus Reuter –
Artikel lesen

Trumps Propaganda: Google Maps, der Golf von Mexiko und der Umgang mit Autokraten

Wenn Autokrat:innen wie Donald Trump die Macht ergreifen, können Institutionen, Unternehmen und zivilgesellschaftliche Organisationen nicht einfach so weitermachen wie bisher. Was Google und Apple verpfuschen, macht die gemeinnützige Wikipedia besser. Von Leonhard Dobusch –
Artikel lesen

Brüsseler Arbeitsprogramm: EU-Kommission will ausfegen

Der EU-Kommission unter Ursula von der Leyen liegt die Wettbewerbsfähigkeit der EU besonders am Herzen. In einem Arbeitsprogramm legt sie nun näher dar, welche Richtung sie bei der Netz- und Digitalpolitik einschlagen will. Von Tomas Rudl –
Artikel lesen

Analyse zur Bundestagswahl 2025: Illegale Wahlwerbung mit Steuergeld

Fast ein Drittel aller Social-Media-Posts der Bundestagsfraktionen könnte rechtswidrig sein und gegen das Abgeordnetengesetz verstoßen. Das ergab eine Stichprobe von netzpolitik.org. Die verbotene Wahlwerbung haben die Parteivertreter*innen mit Steuergeld erstellt. Von Martin Schwarzbeck –
Artikel lesen

App-Tracking: Kartellamt rügt Apple wegen strengem Datenschutz, der nur für Dritte gilt

Apple macht das Blocken von Werbetracking auf seinen Geräten einfach, allerdings nur gegen Drittfirmen. Dagegen geht das Bundeskartellamt vor. Am Ende könnten aber die Verbraucher:innen und der Datenschutz verlieren. Von Markus Reuter –
Artikel lesen

Gescheitertes Transparenzgesetz: Eine verpasste Jahrhundertchance

Es hätte das legislative Kronjuwel einer progressiven Regierung werden können: Das Transparenzgesetz sollte die demokratische Kontrolle stärken und die Digitalisierung der Verwaltung voranbringen. Doch Innenministerin Nancy Faeser legte ihren Fokus lieber auf Überwachung als auf Transparenz. Ein Kommentar. Von Ingo Dachwitz –
Artikel lesen

Liberties-Studie: So steht es um die Aufsicht des Digital Services Act

Seit fast einem Jahr ist der DSA in Kraft. Das hat die Grundrechteorganisation Civil Liberties Union for Europe zum Anlass genommen, sich die nationale Umsetzung des EU-Digitalgesetzes näher anzusehen. Deutschland schneidet im Vergleich mit anderen EU-Ländern nicht schlecht ab. Von Tomas Rudl –
Artikel lesen

Zähe Verwaltungsdigitalisierung: Normenkontrollrat will föderale Hürden überwinden

Die Verwaltungsdigitalisierung kommt nur zäh voran. In einem Gutachten adressiert der Normenkontrollrat eine der größten Hürden: „Aufgabenzersplitterung“ infolge des Föderalismus. Dieses Problem ließe sich lösen, so das Gremium. Auch ohne eine „übergroße Staatsreform“. Von Esther Menhard –
Artikel lesen

Studie zu KI in politischen Kampagnen: Ob real oder nicht – die Botschaft zählt

Eine Mehrheit der Befragten in Deutschland sieht den Einsatz generativer KI in politischen Kampagnen kritisch, fanden Forscher:innen für die Otto-Brenner-Stiftung heraus. Auf der Website „CampAIgn Tracker“ finden Interessierte Beispiele für KI-generierte Posts im Bundestagswahlkampf. Von Jan Grapenthin –
Artikel lesen

US-Regierung: Leak zeigt mutmaßlich DOGE-Liste mit „Verschwendungsprojekten“

Auf zwei neu registrierten Domains der US-Regierung ist für etwa 30 Minuten eine Liste mit angeblichen Verschwendungsprojekten aufgetaucht. Sie könnte mit dem administrativen Putsch rund um Elon Musk und dem DOGE-Projekt zusammenhängen. Wir veröffentlichen die Liste im Volltext. Von Markus Reuter –
Artikel lesen

U.S. Government: Leak allegedly reveals DOGE list of „wasteful projects“

A list of alleged „wasteful projects“ appeared on two newly registered U.S. government domains for approximately 30 minutes. It may be linked to the administrative coup of Elon Musk and DOGE. We are publishing the full text of the list. Von Markus Reuter –
Artikel lesen

#291 On The Record: „Eine Patientenakte für die 60 Prozent“

In der neuen Folge „Off/On“ geht es um Gesundheitsdigitalisierung, genauer um die elektronische Patientenakte. Eigentlich sollte jede:r gesetzlich Versicherte mit dem heutigen Tag eine bekommen. Doch der Rollout verzögert sich. Über die Aussichten für die ePA und unsere Daten sprechen wir mit Bianca Kastl und Manuel Hofmann. Von Daniel Leisegang –
Artikel lesen


Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.

Getting new content in
:

Nur wer angemeldet ist, geniesst alle Vorteile:

  • Eigene Nachrichten-Merkliste
  • Eigener Nachrichtenstrom aus bevorzugten Quellen
  • Eigene Events in den Veranstaltungskalender stellen
M T W T F S S
 
 
 
 
 
1
 
2
 
3
 
4
 
5
 
6
 
7
 
8
 
9
 
10
 
11
 
12
 
13
 
14
 
15
 
16
 
17
 
18
 
19
 
20
 
21
 
22
 
23
 
24
 
25
 
26
 
27
 
28
 
29
 
30
 
31