Klimagames: Das Spiel mit der Katastrophe

Videospiele gelten als eines der wichtigsten Medien des 21. Jahrhunderts. Haben sie aber das Potential, uns für eine der größten Bedrohungen unserer Zeit zu sensibilisieren?

Screenshot des Spiels "Endling: Extinction is forever"
Screenshot des Spiels „Endling: Extinction is forever“ – Alle Rechte vorbehalten HandyGames

Es ist nur eine kurze Szene, die inmitten der prall gefüllten gamescom-Hallen in Köln plötzlich für ein lautes Raunen in der jungen Zuschauergruppe sorgt: Ein wunderschöner Fuchs mit knallig orangenen Fell muss auf der Suche nach Nahrung seine beiden Jungen durch einen schwer verschmutzten Fluss tragen. Es gibt keinen anderen Weg für ihn.

Die giftgrüne Flüssigkeit reicht dem Tier bis an den Hals, bei jedem Schritt versucht es verzweifelt, seine zappelnden Babys vor dem zähflüssigen Strom zu schützen. Die Anstrengung auf dem Bildschirm überträgt sich auf die Zuschauer, die sich vor dem Stand des Spiels unruhig drängen.

Javier Ramello begleitet diese Szene in der letzten Reihe mit einem stolzen Grinsen: Er hofft, dass sein Spiel „Endling: Extinction is forever“ nicht nur unterhalten, sondern außerdem dazu anregen kann, über die Folgen der Klimakatastrophe nachzudenken – und welche Konsequenzen sie nicht zuletzt für die Tierwelt hat.

Ein erster Blick ins Spielregal enttäuscht

Die Klimakatastrophe gehört zu den größten gesellschaftspolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Häufigere Extremwetterereignisse wie Starkregen und Hitzewellen, schmelzende Polkappen und überhitzte Ozeane begleiten den jährlichen Anstieg der globalen Durchschnittstemperaturen. Diese Entwicklungen sind gut dokumentiert, unter anderem im neuesten Bericht des Umweltbundesamts. Die Zukunftsprognosen klingen düster: weiter stark ansteigende Temperaturen, noch mehr Regen in Nordeuropa, noch mehr Hitze in Südeuropa – bis hin zu monatelangen Dürreperioden, regelmäßigen Waldbrände und sinkendem Grundwasserspiegel.

Es ist eine deprimierende Aufzählung, die in der Popkultur längst von ganz unterschiedlichen Künstlern und Künstlerinnen aufgegriffen und kreativ verarbeitet wird. In der Musik, im Film und in der Literatur. Wie aber sieht es bei Spielen aus? Wie geht das vielleicht wichtigste Unterhaltungsmedium des 21. Jahrhunderts mit der wohl größten globalen Katastrophe des 21. Jahrhunderts um?

Auf den ersten Blick: zurückhaltend.

Screenshot des Spiels "Endling: Extinction is forever"
Screenshot des Spiels „Endling: Extinction is forever“ - Alle Rechte vorbehalten HandyGames

Der Griff ins Spielregal bleibt zuallererst bei den AAA-Titeln hängen, den millionenschweren Großproduktionen, an denen Tausende Menschen über Jahre mitgearbeitet haben und die einen Großteil der Aufmerksamkeit auf sich vereinen: „Call of Duty“, „Assassin’s Creed“, „The Witcher“, „GTA“ – oder auch „Battlefield“.

„Battlefield 2042“, der aktuellste Teil der Shooter-Reihe, erzählt die Geschichte einer im globalen Bürgerkrieg versunkenen Welt der Zukunft. Vor den Kulissen futuristischer Großstädte kämpfen hier Söldner im Namen der großen Kriegsparteien USA und Russland um den Sieg – und stolpern dabei immer wieder über die Spuren einer Klimakatastrophe, die diesen Konflikt überhaupt erst losgetreten haben: Wüstenstürme fegen über die Schlachtfelder hinweg und werden zum spielmechanischen Hindernis. Anderswo prägen überflutete Küstenregionen oder Wüsten inmitten ehemaliger Kulturzentren das Bild. Eine spektakuläre Kulisse für die Massenschlachten der Zukunft, die Folgen der Klimakatastrophe haben Schauwert – zu mehr allerdings reicht es nicht. Es bleibt bei der dramatischen Kulisse für das Action-Spektakel im Stile Hollywoods.

Dieser Eindruck bestätigt sich bei den anderen AAA-Titeln: Wenn Großproduktionen der Spielebranche ihren Blick auf die realen Katastrophe unserer Welt legen, dann tun sie dies sehr zurückhaltend. Meist spielen sich diese im Hintergrund ab, im Vordergrund steht der Eskapismus.

Kleinere Teams zeigen, was möglich ist

Ramello geht mit diesem Thema anders um: „Für uns geht’s nicht nur um Unterhaltung – wir wollen die Möglichkeiten dieses Mediums nutzen, um Menschen zum Nachdenken anzuregen.“ Sein Team von Herobeat Studios verfügt gerade einmal über eine Handvoll Mitarbeiter. Es hat sich zum Ziel gesetzt, Spiele zu entwickeln, die auf die Klimakatastrophe und all ihre Folgen aufmerksam machen – über die Grenzen der eskapistischen Unterhaltung hinweg. „Als Spieleentwickler fühlen wir uns verantwortlich dafür, diese drängenden Probleme so anzusprechen, dass es mit den Spielern und Spielerinnen etwas macht“, sagt Ramello. „Aber nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern indem wir emotionale Geschichten erzählen, die dann im Nachgang zum Reflektieren einladen.“

Diese emotionale Geschichte wird in Ramellos Spiel von einem Fuchs durchlebt, der in ferner Zukunft in einer lebensfeindlichen Welt für sich und seine Nachkommen sorgen muss. Der Spieler muss die Tiergruppe durch einfallende Ruinenstädte, verstrahlte Atommüllberge und giftige Flüsse führen, während die Jungtiere allmählich auf und zu eigenen Persönlichkeiten heranwachsen.

Warum aber ausgerechnet ein Fuchs? Das ist kein Zufall, wie Javier Ramello erklärt: „Füchse sind widerstandsfähig, klug, anpassungsfähig und finden sich sowohl in der tiefsten Natur wie an den Rändern unserer Großstädte zurecht. Aber selbst sie sind nicht immun gegen die Zerstörung unserer Umwelt. Wir wissen außerdem, wie stark das dramaturgische Motiv der Mutter ist, die sich um ihre Kinder kümmert, und dass diese Geschichte auf der ganzen Welt von allen Menschen verstanden wird.“

Indem sie ihre Spieler in die Rolle der Fuchsmutter schlüpfen lassen, will Javier mit seinem Team eine starke emotionale Verbindung zur Spielwelt herstellen. Hier können die Spieler unmittelbar die Konsequenzen der Umweltzerstörung nacherleben.

Spiele haben großes Potential – wenn man es richtig angeht

Aber kann das so funktionieren? Oder bleibt das Spiel dann doch einfach nur ein Spiel und die dort gemachten Erfahrungen geraten in Vergessenheit, sobald der Abspann flimmert?

Martin Thiele-Schwez ist Gründer des Berliner Studios Playing History, das sich auf die Entwicklung medienpädagogischer Spiele spezialisiert hat. Diese Spiele entstehen oft in Zusammenarbeit mit Museen und Bildungseinrichtungen, sehen aber – entgegen gängiger Klischees – hochwertig und zeitgemäß aus.

Das Portfolio von Playing History ist bunt: das Leben in der DDR als Kartenspiel, eine App, mit der Schulklassen Toleranz einüben können, ein Spiel über die Krankenmorde in der NS-Zeit. Der spielerische Umgang mit ernsten Themen ist das tägliche Brot des Gründers: „Ich halte Spiele für das beste Medium zur Vermittlung komplexer Themen – auch wenn es darum geht, für die Folgen der Klimakatastrophe zu sensibilisieren. Zum einen ermöglichen sie es uns, interaktiv Szenarien durchzuspielen und auf diese Weise konkrete Modelle zu erfahren: Welche Entscheidungen führen zu welchen Konsequenzen?“ Zum anderen, so Thiele-Schwez weiter, würden sie einen immersiven Raum schaffen, in dem Spieler durch Probehandeln lernen können. „Spiele bieten die einzigartige Möglichkeit, verschiedene Zukunftsszenarien durchzuspielen und deren Konsequenzen zu erleben – ohne dass Angst vor realen Auswirkungen unser Denken blockiert.“

Screenshot des Spiels "ToleranzRäume"
Screenshot des Spiels „ToleranzRäume“ - Alle Rechte vorbehalten Playing History

Und noch eine andere Angst kann den erhofften Lerneffekt bei Spielern verhindern: nämlich die vor dem erhobenen Zeigefinger. Denn kaum ein Spielefan hat Lust darauf, nach Feierabend oder Schulschluss vor der Konsole zu sitzen und mitansehen zu müssen, wie ihm eine digitale Welt etwas über die ernsten Folgen der Klimakatastrophe beizubringen versucht.

Das zumindest sagt der Entwickler Ramello mit Blick auf sein Spiel „Endling“: „Wir wissen ganz genau, dass die Leute schnell die Lust verlieren können, sobald sich ein Spiel wie Schulunterricht anfühlt oder predigt. Deswegen haben wir uns auch darauf konzentriert, mit Bildern statt mit langen Texten und Dialogen zu erzählen, was wir erzählen wollen: Die Schauplätze, Details im Hintergrund, die Entdeckungen, die der Spieler macht – sie tragen unsere Geschichte.“

So wird Spielern zu keinem Zeitpunkt explizit mitgeteilt, was mit dieser digitalen Welt eigentlich passiert ist und noch passieren wird. Stattdessen spüren sie als Fuchs die direkten Folgen und Auswirkungen der Klimakatastrophe: Nahrung wird knapper, Menschen aggressiver, die Umwelt verändert sich nachhaltig.

Für ihre Herangehensweise, eine Geschichte über die Klimakatastrophe zu erzählen, erhielt Ramellos Team nicht nur zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Sondern es brachte ihnen auch den kommerziellen Erfolg: „Endling“ erschien 2022 und verkaufte sich so gut, dass die Zukunft des kleinen Studios gesichert war. Das Team konnte so direkt zum nächsten Projekt übergehen, ohne sich mit Auftragsarbeiten querfinanzieren zu müssen.

Strategien gegen die Klimakatastrophe finden

Während „Endling“ versucht, über eine emotionale Geschichte seine Spieler für die Klimakatastrophe und ihre Folgen zu sensibilisieren, hat eine weitere Gruppe von Entwicklerteams einen anderen Weg zu diesem Thema gefunden: Sie hat aus dem Kampf um die Zukunft des Planeten ein Strategiespiel im weitesten Sinne gemacht.

Dazu gehört „Terra Nil“, das sich „Umweltstrategiespiel“ nennt und von Free Lives veröffentlicht wurde, ein südafrikanisches Entwicklerteam aus Kapstadt. Hier müssen Spieler mit klug platzierten Wassersprenklern, Pumpen, Begrünungsstationen und Öko-Dünger verdorrte Regionen wieder mit Leben füllen. Das Spiel gehörte 2023 zu den bestbewerteten Titeln des Jahres und verkaufte sich weit über dern Erwartungen des Studios.

Diesem Erfolg nacheifern möchte „Spilled!“, ein weiterer Titel aus der Kategorie der Umweltstrategiespiele, der von einer niederländischen Entwicklerin namens „Lente“ seit Jahren alleine programmiert und gepflegt wird. Die Idee des Spiels: Mit einem Boot Ölflecken beseitigen, Waldbrände in Küstennähe löschen und Plastik auf den Weltmeeren einsammeln. Das Spiel, präsentiert in niedlicher Pixelgrafik, konnte bereits auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter von mehr als 1.700 Supportern insgesamt über 30.000 Euro einsammeln. Kurz vor dem Release im März wird das Spiel in der Branche sehnsüchtig erwartet.

Screenshot des Spiels "Terra Nil"
Screenshot des Spiels „Terra Nil“ - Alle Rechte vorbehalten Terra Nil

Helden gegen die Klimakatastrophe?

Die Liste ähnlicher Spiele ist lang. Und die Titel zeigen, dass sich Entwicklerteams nicht zwangsläufig zwischen kommerziellem Erfolg und ernsten, realweltlichen Themen entscheiden müssen. Das eine schließt das andere offensichtlich nicht aus. Dennoch tauchen nach wie vor insbesondere im Spielregal der allergrößten Studios nur selten Titel  über die Klimakatastrophe auf. Warum ist das so?

Marin Thiele-Schwez vermutet, dass den börsennotierten Unternehmen meist der Mut fehlt, viel Zeit und Geld in solche Projekte zu investieren. Denn die braucht es, um aus ernsten Themen wie die Klimakatastrophe unterhaltsame Spiele zu generieren. „Die Herausforderung, die Klimakrise spielerisch abzubilden, liegt in ihrer grundlegenden Natur: Ursache und Wirkung treten nicht unmittelbar aufeinander ein, sondern sind langfristig, vielschichtig und oft nicht monokausal“, sagt der Entwickler. „Spiele funktionieren hingegen meist so, dass Handlungen schnelle und eindeutige Konsequenzen haben – das macht die Klimakrise zu einem schwer greifbaren Thema im spielerischen Kontext.“

Ein weiteres Problem stellt laut dem Experten die sogenannte „Agency“ dar: „In vielen Spielen übernehmen wir die Rolle mächtiger Helden und Heldinnen, die durch ihr individuelles Handeln großen Einfluss nehmen können. Doch die Klimakrise erfordert ausdauerndes kollektives Handeln, das über die Entscheidungsmacht einzelner Akteure – sei es eine Person oder ein Staat – hinausgeht.“ Diese Diskrepanz zwischen spielerischer Gestaltung und realer Problemlage stelle eine besondere Herausforderung dar.

Vor diesem Hintergrund wundert sich Thiele-Schwez auch nicht, warum viele Spiele, die eigentlich dafür bekannt und beliebt sind, glaubwürdige Welten zu simulieren, ausgerechnet dieses Thema ausblenden: „Ein Beispiel ist Cities: Skylines – ein Städtebauspiel, das nach meiner Meinung veralteten Mustern folgt. Die Stadt wird primär durch Straßen strukturiert, und das zentrale Spielprinzip dreht sich um das Gleichgewicht zwischen Wohnen, Konsum und Produktion. Dieses bewährte Gameplay funktioniert zwar gut, blendet aber soziale und ökologische Herausforderungen weitgehend aus.“

Und auch Minecraft, die vielleicht bekannteste und erfolgreichste Weltsimulation überhaupt, stehe nicht viel besser da: „Ich fälle tausende Bäume, baue ’seltene Erden‘ ab und schöpfe Ressourcen aus, ohne dass Nachhaltigkeit eine Rolle spielt.“

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Eskapismus ist wichtig, Sensibilisierung aber auch

Auch wenn Javier Ramellos nächstes Spiel sich wieder um Klimakatastrophe und Artensterben dreht – daneben dürfe und müsse es weiterhin eskapistische Spiele geben, betont der Spiele-Entwickler. Denn Spieler wollten  all die Krisen und Katastrophen auch mal gezielt ausblenden.

Eine kleine Einschränkung erlaubt sich Ramello aber doch: „Mehr Studios sollten das Potential von Spielen erkennen und nutzen, um in ihren Welten wichtige Themen auf sinnvolle Weise anzusprechen. Wir sind jetzt an einem Punkt angekommen, an dem der Klimawandel keine ferne Bedrohung mehr ist, sondern für alle spürbar ist.“

Wenn Videospiele es schon schaffen, Spieler auf emotionaler Ebene zu erreichen, dann können sie ihre Fans auch zum Nachdenken und schlussendlich auch zu Taten inspirieren, meint Ramello. „Je mehr Entwickler und Entwicklerinnen das erkennen und sich diesen Möglichkeiten annehmen, desto besser.“

Dem stimmt auch Martin Thiele-Schwez von Playing History zu: „Gerade bei Entertainmenttiteln gilt es, auch die Erwartungen richtig einzuordnen: So ist es in vielen Fällen sicherlich schon gut genug, wenn Spieler zunächst mit einer Problemstellung überhaupt einmal konfrontiert werden, ohne dass das Medium sie letztlich direkt als Aktivisten entlässt.“


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