"Gigantisches Unsicherheits-Paket" – Wirtschaftsweise Grimm kritisiert Pläne von Union und SPD

Veronika Grimm, seit April 2020 Mitglied des Sachverständigenrates Wirtschaft, erklärt in einem Focus-Interview ihre nachdrücklichen Bedenken zu den Schuldenplänen der kommenden Bundesregierung, diese getarnt unter dem Sammelbegriff "Sondervermögen". Auch das "Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW)" zeigt sich wenig begeistert.

Grimm ist zudem Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). In dem Focus-Interview erklärt die Professorin an der Technischen Universität Nürnberg (UTN) einleitend wörtlich zu ihren Bedenken:

"Das ist ein gigantisches Unsicherheits-Paket. Statt ein Signal der Stärke – in Richtung Russlands, aber auch der USA – auszusenden, verschifft uns die neue Bundesregierung absehbar in eine Falle. Die Schulden sollen in großen Teilen nicht zusätzlich für zukunftsorientierte Ausgaben verwendet werden, sondern dafür, Spielräume im Kernhaushalt zu schaffen, um weitere Sozialausgaben und Vergünstigungen zu verankern oder sie aufrechtzuerhalten."

Unionschef Merz entdeckte jüngst für sich das Argument weltpolitischer Ereignisse, um darüber seine anvisierten Schuldenpläne zu rechtfertigen. So erklärte der CDU-Politiker, dass "wenn Trump sich von Europa abwendet, kann schließlich nichts so bleiben, wie es ist". Grimm erklärt dazu im Interview:

"Das ist völlig widersinnig, wenn man bedenkt, dass die weitreichenden Beschlüsse mit einer sich dramatisch zuspitzenden weltpolitischen Lage gerechtfertigt werden. Die Zeitenwende wurde also gleich wieder abgesagt, nachdem sie genutzt wurde, um die gewünschte Verschuldung herauszuhandeln. Man schafft eine Situation, die immer auswegloser wird für zukünftige Bundesregierungen."

Grimm erkenne nun die sich daraus ergebende Gefahr, dass es für die Politik immer schwieriger werden wird, "wirksame Reformen umzusetzen". Es würde "auf demokratischem Wege irgendwann unmöglich werden". Die Schuldenkrise samt diesbezüglicher Politik, nicht nur in Deutschland, würde zudem die EU-Staaten mehr als gefährden:

"Eine offene Flanke für die Sicherheit ist es, dass die gigantischen Schulden absehbar in eine Schuldenkrise in der Europäischen Union führen dürften. Die Zinsen auf Staatsanleihen steigen. Das wird insbesondere den hoch verschuldeten Staaten der Eurozone die Finanzierung zusätzlicher Verteidigungsausgaben erschweren."

Es stelle sich daher die Frage, "wie lange es dauert, bis es irgendwo schiefgeht" und weiter:

"Alles wird umso unangenehmer, je weniger Wachstum ausgelöst wird. Und nachhaltiges Wachstum zeichnet sich nicht ab, eher ein vorübergehendes Strohfeuer durch die höheren Ausgaben." 

Die Pläne der potenziellen GroKo würden dabei "in so vielen Bereichen des Reformbedarfs" alleinig zeigen, dass "das neue Geld die Probleme kaschieren soll, etwa beim Wohnen". Weitere Gefahren des Finanzierungschaos würden sich bei den Themen "Energie, Klima, Rente, Digitalisierung, Gesundheit und Bauen" abzeichnen.

Zu den Plänen von CDU/CSU und SPD, "alleine 500 Milliarden Euro in die Infrastruktur stecken" zu wollen, erklärt die Ökonomin kritisch resümierend zu den Plänen aus Berlin:

"Man schafft mit den geplanten Krediten Platz im Kernhaushalt, um die Vergünstigungen auszuweiten oder aufrechtzuerhalten (...) Ich halte es für eine naive Vorstellung, zuerst Kreditspielräume zu ermöglichen, um dann Reformen zu planen und umzusetzen. Wer will sich denn für Reformen unbeliebt machen, wenn andere anbieten, einfach Subventionen zu nutzen, um die Dinge zu lösen? Dafür gab es die Schuldenbremse, um den Reformeifer zu stärken. Sie ist jetzt Geschichte."

Friedrich Heinemann, vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), kritisiert stellvertretend an dem geplanten Maßnahmenpaket, "wie das von beiden Partnern anvisierte Ende der Schuldenbremse die Schleusen für unsinnige Subventionen und Klientelpolitik wieder weit öffnet". So heißt es weiter seitens Heinemanns argumentativ in einem Artikel der ARD-Tagesschau:

"Nach Ansicht Heinemanns fehlt es in der Vereinbarung an allem, was Deutschland dringend benötige: höheres Renteneintrittsalter, Ausweitung der Wochenarbeitszeit, mehr Eigenverantwortung im Fall von Krankheit und Pflege, Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und ein konsequenter Subventionsabbau."

Das ZEW-Mitglied moniert, dass die Koalitionäre demnach vermeintlich darauf hoffen, dass sie "erhebliche Teile der Schulden für Rüstung und Investitionen 'elegant' ihres Zwecks entfremden, 'um damit einflussreiche Gruppen zu bedienen'". An der geplanten Anhebung des Mindestlohns auf 15 Euro kritisiert Heinemann:

"Dies führt zu einem erheblichen Lohnkostenschub für Geringqualifizierte in strukturschwachen Gebieten – und das in einem sich stark abkühlenden Arbeitsmarkt."

Der Deutsche Bauernverband unterstützt diese Kritik. Der Obst-, Gemüse-, und Weinanbau sei dann "in Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig", so der Verbandspräsident Joachim Rukwied. Dieser begrüßte wiederum die angekündigte Rückkehr zur Subventionierung von Agrardiesel.

Mehr zum Thema - Deutschland sprengt die Schuldenbremse: Rating-Downgrade droht, während Anleger die Flucht ergreifen

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