German Angst total – Wie eine Studie gezielt die Angst vor Russland, China und Iran schürt

Von Wladislaw Sankin

"73 Prozent der Deutschen sind nach den US-Wahlen und dem Koalitionsaus der Meinung, dass Deutschland mehr in die europäische Sicherheit investieren sollte. Gleichzeitig spricht sich die Mehrheit der Deutschen (65 Prozent) gegen eine militärische Führungsrolle Deutschlands in Europa aus – um sechs Prozent weniger als im Vorjahr." So lauten die Ergebnisse einer Studie der jährlichen repräsentativen Umfrage "The Berlin Pulse" der Körber-Stiftung, die am Dienstag veröffentlicht wurde.  

Der Vorschlag von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), die Verteidigungsausgaben auf 3 bis 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen, trifft bei 50 Prozent der Befragten auf Zustimmung; 15 Prozent halten diesen Wert sogar für zu niedrig. Wenn es um ein stärkeres Engagement in internationalen Krisen insgesamt geht, sind sich die Deutschen allerdings uneins: 46 Prozent sprachen sich im September dafür aus; das ist der höchste Wert seit Umfragebeginn in 2017. Gleichzeitig lehnen 44 Prozent ein stärkeres internationales Engagement weiterhin ab.

"Dass eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung der Meinung ist, Deutschland solle mehr Geld in die europäische Sicherheit investieren, sollte unabhängig von der Frage, wer zukünftig die Bundesregierung stellt, als Votum verstanden werden, die 'Zeitenwende' konsequent umzusetzen", kommentiert Nora Müller, die Leiterin des Bereichs Internationale Politik der Körber-Stiftung, die Umfrageergebnisse. 

Auch die "K-Frage" wurde am Rande behandelt. Auf die Frage nach der Person mit der größten außenpolitischen Kompetenz nannten nach dem Koalitionsbruch 28 Prozent der Befragten Friedrich Merz, der damit den höchsten Zuspruch erhielt – weit mehr als die übrigen Kandidaten Habeck und Scholz.  

Bemerkenswert ist das außerordentlich positive Image der USA bei den Deutschen. Bei der Frage "Welches Land ist derzeit der wichtigste Partner für die deutsche Außenpolitik?" gaben 47 Prozent der Befragten die USA an, gefolgt von Frankreich (27 Prozent). Russland und China bekamen nur je drei Prozent. In Bezug auf den Umgang mit dem Krieg in der Ukraine gaben 70 Prozent die USA als wichtigsten Partner an. In der Stationierung der US-Mittelstreckenraketen sehen allerdings 52 Prozent die Erhöhung der Gefahr eines Krieges mit Russland; im Osten sind es sogar 69 Prozent. Diese Meinung deckt sich mit dem Befund einer kritischen Studie, die im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung erstellt wurde. Darin heißt es:

"Die erwartbare russische Gegenstationierung nuklearfähiger Raketen wird Deutschland einer erhöhten Gefährdung aussetzen. Die absehbare Eskalation der Spannungen mit Russland wird die Sicherheitslage Deutschlands verändern und das atomare Risiko für Deutschland im Konfliktfall gravierend erhöhen." 

Die Autoren der Studie heben hervor, dass der Beschluss über Mittelstreckenraketen im Unterschied zum NATO-Doppelbeschluss von 1979 als Exekutivakt einseitig und ohne vorherige Konsultationen stattgefunden hat, wobei Russland die Möglichkeit einer Stellungnahme verweigert wurde. Aber auch nach solchen fragwürdigen Entscheidungen der USA sehen die Deutschen fast einstimmig die Bedrohung nur in Russland, China und Iran.

Allerdings ist hier die eingeschränkte Auswahl der als Antwort vorgegebenen Länder und tendenziöse Fragestellung zu beachten. Die Befragten konnten die Länder, die sie als Gefahren ansehen, keineswegs frei wählen. Die Vorauswahl der Länder traf die Körber-Stiftung selbst und stufte dabei die in den Medien einstimmig als "Autokratien" verschmähten Staaten Russland, China und Iran schon vorab als potenziell bedrohlich ein.

Auf die Frage "Besteht Ihrer Meinung nach für unsere Sicherheit in Deutschland eine große, eine geringe oder keine militärische Bedrohung durch …?" (Nummer 13 in der detaillierten Aufschlüsselung der Studie) antworteten die Befragten:

Große Gefahr: Russland 39 Prozent, Iran 15, China zehn

Geringe Gefahr: China 47, Iran 45, Russland 43

Keine Gefahr: China 41, Iran 35, Russland 16

Dazu hieß es in der Pressemitteilung der Körber-Stiftung: 

"Eine Mehrheit der Deutschen (82 Prozent) sieht in Russland eine militärische Bedrohung für Deutschland. Dieser Wert ist im Vergleich zum Vorjahr um 6 Prozentpunkte gestiegen. Der Iran wird von 60 Prozent der Befragten als militärische Bedrohung wahrgenommen, China von 57 Prozent."

Die Resultate geben Anlass zur Verwunderung. Offenbar haben die Fragesteller viele potenziell neutrale oder sogar russlandfreundliche Stimmen mit der Formulierung "von Russland bedrohte" eingefangen. Denn einerseits wird die Angabe einer "geringen Gefahr" hier nicht als Gegenteil einer "großen Gefahr" verstanden, obwohl dies durchaus zahlreiche Befragte genau so verstanden haben können; daher werden die Antworten jener Befragten, die in Russland kaum eine Gefahr sehen, mit den Antworten derer zusammengezählt, die sich von Russland stärker bedroht fühlen. Auf der anderen Seite kann Russland tatsächlich bedrohlich wirken, wenn es provoziert wird. Das Problem besteht aber darin, dass die deutschen Medien die NATO-Politik gegenüber Russland als notwendig und nicht als provokativ bezeichnen.

Denn natürlich wird Russland, wenn es direkt angegriffen wird, zu einer Bedrohung aller in Deutschland lebenden Menschen werden, unabhängig davon, wie sie politisch zu Russland stehen. Dieses Szenario wird jedoch nur eintreten, wenn Moskau zu einer militärischen Antwort auf das fortlaufende Vorrücken der NATO bis an die russischen Grenzen, auf Provokationen wie Angriffe auf das Innere des russischen Territoriums oder Seeblockaden kommen sollte. Dass eine solche Bedrohung aber bereits durch die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen auf deutschem Territorium erhöht wird, erkennen immerhin 52 Prozent der Deutschen.

Wie manipulativ die Interpretation der Umfrageergebnisse ist, lässt sich auch am Beispiel China und Iran feststellen: Wie kann es sein, dass sich die Mehrheit der Deutschen von Iran, das nicht einmal Israel einen größeren Schaden durch (wohlgemerkt, mehrfach provozierte) Vergeltungsangriffe zufügen kann, derart bedroht fühlt? Oder von China, das ausschließlich in Südostasien militärisch aktiv ist? Möglich ist dies, indem die Menschen durch tendenziöse Fragestellungen zu solchen Interpretationen ermutigt werden. 

China waren noch weitere Fragen gewidmet. Aus den Antworten auf diese Fragen lässt sich eine überaus chinakritische Einstellung der Deutschen schließen. So wird der wachsende Einfluss Chinas von 61 Prozent der Befragten negativ bewertet. Sechs von zehn Deutschen (60 Prozent) sprechen sich für eine größere wirtschaftliche Unabhängigkeit von China aus – auch wenn dies wirtschaftliche Einbußen und den Verlust von Arbeitsplätzen in Deutschland zur Folge hätte. Rechtfertigt dies also die Selbstbeschädigung der deutschen Wirtschaft – Hauptsache, die gelbe Gefahr ist gebannt? Der Einfluss antichinesischer Propaganda wird hier offensichtlich.

Ein weiterer interessanter Befund der Studie ist die schwindende Solidarität mit der Ukraine: "Zweieinhalb Jahre nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine spricht sich weiterhin eine Mehrheit von 57 Prozent der Deutschen für eine militärische Unterstützung der Ukraine aus. Im Vergleich zum Vorjahr (66 Prozent) ist dieser Anteil jedoch gesunken. Besonders gering ist die Zustimmung in Ostdeutschland, wo nur 40 Prozent die anhaltende militärische Unterstützung befürworten.

47 Prozent der Befragten sind der Meinung, die Ukraine solle sich so lange gegen den russischen Angriffskrieg verteidigen, bis alle von Russland besetzten Gebiete zurückerobert sind. Demgegenüber vertreten 43 Prozent die Ansicht, die Ukraine solle Teile ihres Territoriums an Russland abtreten, um so zu versuchen, ein Ende des Krieges herbeizuführen. 

Auf die Frage nach den drei größten außenpolitischen Herausforderungen für Deutschland entfielen im September 45 Prozent der Nennungen auf den Krieg in der Ukraine – der höchste Wert seit dem russischen Einmarsch in 2022. 31 Prozent der Nennungen fallen auf das Thema Migration und 17 Prozent auf den Krieg im Nahen Osten."

Fazit: Im Hinblick auf die Ukraine-Frage wächst neben der Wahrnehmung des Krieges als zunehmende Belastung auch die gesellschaftliche Spaltung.

Russlandfreund Rexin: Bedrohung nicht zu erkennen, im Gegenteil

Wir baten den stellvertretenden Vorsitzenden der Gesellschaft für deutsch-russische Freundschaft Torsten Rexin, der sich zum Zeitpunkt des Gesprächs in Moskau befand, die Ergebnisse der Studie in Bezug auf die "russische Bedrohung" zu kommentieren.

"Die Deutschen werden gefüttert mit Informationen, die den Eindruck erwecken, als hätte die Spezialoperation keine Geschichte vor dem 24. Februar 2022. Mitnichten können wir von einem Angriffskrieg sprechen. Das ist aber die Geschichte, die den Deutschen erzählt wird, dadurch kommen wir auf die 82 Prozent", so Rexin. Eine Bedrohung Russlands für Deutschland und Europa konstruieren zu wollen, sei lächerlich, sagte er im Hinblick auf seine zahlreichen Treffen mit russischen Ex-Diplomaten in Moskau, die sich nach wie vor für die deutsch-russische Freundschaft engagieren. 

"Tatsache ist, dass man in Russland sehr genau das Verhalten der NATO und der USA beobachtet und insbesondere die Stationierung von Raketen in Deutschland – wir hatten dieses Thema im letzten Jahrhundert schon einmal, es wird also sehr ernst genommen. Und das Zweite ist, dass für die Menschen in Russland beängstigend ist zu sehen, wie Deutschland mit der Errichtung eines NATO-Stützpunktes in Rostock umgeht, mit welcher Arroganz man sich über nationale und internationale Verträge hinwegsetzt." Und weiter:

"Eine Bedrohug ist nicht zu erkennen, im Gegenteil. Da muss man klar sagen, dass Russland nach wie vor interessiert ist, die Brücken nach Deutschland aufrecht zu erhalten."

Trotz des offenkundig manipulativen Charakters der Studie in einigen Fragen kann man dem interessierten Leser durchaus empfehlen, in der Aufschlüsselung der Studie nach weiteren Antworten zu stöbern. Denn aus den Ergebnissen lassen sich zahlreiche weitere politische, regionale, bildungsrelevante und geschlechtsspezifische Präferenzen der Deutschen feststellen. Hervorzuheben ist etwa der Befund, dass BSW- und AfD-Wähler in vielen außenpolitischen Fragen sehr ähnliche Einstellungen vertreten, wobei die BSW-Sympathisanten die Kritik gegenüber den USA und pazifistische Positionen von allen Parteien am konsequentesten vertreten. 

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