Von Dagmar Henn
Vielleicht hat Bundesjustizminister Marco Buschmann nur das Gefühl, nicht genug für die Zerstörung jeder Rechtsstaatlichkeit in Deutschland getan zu haben – Innenministerin Nancy Faeser ist ihm auf jeden Fall mehr als eine Nasenlänge voraus. Aber er gibt sich Mühe. Und er hat sich anscheinend qualifizierte Hilfe dabei geholt – der von ihm im April eingesetzte Generalbundesanwalt Jens Rommel macht sich jedenfalls schon deutlich unangenehm bemerkbar.
Mit zwei Entscheidungen fällt er jedenfalls auf. Und beide sind gerade vor dem Hintergrund seiner Biografie, wenn man es freundlich sagen will, auffällig. Denn er müsste es besser wissen. Es gibt bestimmte Dinge, die er erkennen müsste.
Jens Rommel, gebürtiger Ravensburger, war nämlich vier Jahre lang Leiter einer sehr speziellen Abteilung der deutschen Justiz: der "Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen". Zugegeben, über Jahrzehnte hinweg war diese Behörde eher damit beschäftigt, die Verdächtigen nicht finden zu lassen; dass beispielsweise mehr oder weniger die gesamte Kriminalpolizei der Nazizeit in den Einsatzgruppen damit beschäftigt war, Morde zu begehen, hat man in der Bundesrepublik praktischerweise erst in dem Moment "entdeckt", als die meisten Täter längst unter der Erde lagen. Auf den Gedanken, den Urteilsspruch des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals, dass die SS in Gänze – mit allen Unterorganisationen – eine verbrecherische Organisation war, die Mitgliedschaft allein also genug Anlass für eine Strafverfolgung gegeben hätte, kam man ohnehin nicht. Und in Momenten, in denen Aussagen aus dieser Behörde wichtig gewesen wären, beispielsweise als man aus dem Heydrich-Mitarbeiter Hanns Martin Schleyer ein ganz unschuldiges Opfer machte, weil ihn die RAF entführt hatte, war aus dem Ludwigsburger Laden nichts zu hören.
Nun, im Jahr 2015, als der Oberstaatsanwalt Jens Rommel die Stelle dort antrat, galt zumindest offiziell, dass man nun endlich die letzten noch lebenden Täter vor Gericht stellen wollte. Aber ungeachtet dessen, was Rommel in dieser Tätigkeit erreicht hat – der Umgang mit den Akten in Ludwigsburg sollte zumindest eine recht konkrete Vorstellung vermitteln, woran man Nazis erkennen kann und wie sie sich verhalten (haben).
Nur, in seiner aktuellen Tätigkeit lässt Rommel genau davon nichts erkennen, im Gegenteil. Nehmen wir den ersten Punkt, die Untätigkeit. Ein Detail, über das ich nur stolperte, weil heute die Bundesregierung so vehement auf die Hinrichtung eines Deutschen im Iran reagierte. Wie, dachte ich mir, sieht es eigentlich aus mit deutschen Opfern in Gaza, von denen man wenig bis gar nichts hört? Interessanterweise gab es vor zwei Wochen da einen Ausreißer in der Berichterstattung: Das ZDF berichtete in einer Reportage über eine deutsch-palästinensische Familie, die bei einem israelischen Angriff in Gaza ums Leben kam. Richtig, die ganze Familie, sechs Personen insgesamt.
"Mit seiner Frau und den vier Kindern war der Deutsch-Palästinenser Youssef Abujadallah im September 2023 nach Gaza gereist. Kurz vor dem Antritt seiner neuen Stelle als Arzt auf einer Dortmunder Intensivstation wollte die Familie Eltern und Geschwister besuchen."
Dann saßen alle sechs in Gaza fest. Vater, Mutter und vier Söhne: Salahuddin (10), Mohammed (8), Abulrahman (3) und Omar (neun Monate). Alle sechs starben am 25. Oktober 2023, als eine israelische Rakete das Haus traf, in dem sie sich befanden.
Überraschenderweise befragt das ZDF sogar einen Völkerrechtler, Alexander Schwarz, der die Familie vertritt.
"Bei der Familie Abujadallah handele es sich um sechs deutsche Staatsbürger, die bei einem möglicherweise völkerrechtswidrigen Angriff ums Leben gekommen seien", so Alexander Schwarz.
"Es gebe daher eine Ermittlungspflicht der Bundesanwaltschaft. Diese aber habe verlautbaren lassen, dass sie sich selbst für nicht zuständig betrachte."
Nun, unverkennbar gibt es Deutsche unterschiedlicher Qualität, und sechs Deutsch-Palästinenser erreichen bei Weitem nicht das Gewicht eines Deutsch-Iraners, selbst wenn ihnen niemand eine Straftat vorwerfen kann. Verantwortlich für das Nichthandeln der Bundesanwaltschaft ist jedenfalls ihr Chef, der Generalbundesanwalt, Jens Rommel. Der eigentlich vier Jahre lang auf einem Posten saß, der ihn gelehrt haben sollte, einen Genozid zu erkennen.
Doch das ist nicht alles, es geht noch besser, wenn dieser Herr anfängt, zu handeln. Das zeigt sich an der Anklage gegen den Deutsch-Russen Dieter S., der jetzt wegen Tätigkeit für eine terroristische Vereinigung (§ 129 b StGB) angeklagt wurde, weil er "von Dezember 2014 bis August 2016" für eine terroristische Vereinigung gekämpft haben soll – die Volksrepublik Donezk. Eine Anklage, die nicht nur in mehrfacher Hinsicht absurd ist, sondern sogar den Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllen dürfte.
Fangen wir einmal damit an, dass die Anklage mitnichten die Miliz der DVR zur terroristischen Vereinigung erklärt, sondern die ganze Republik. Mitsamt Kindergärtnerinnen, Müllfahrern, Ärzten, Lehrerinnen, Elektrikern und Verwaltungsangestellten. Alles Mitglieder einer terroristischen Vereinigung. Man sollte eigentlich erwarten, dass ein Jurist da zu unterscheiden vermag, mindestens.
Ganz zu schweigen von dem klitzekleinen Problem, dass die DVR aus dem Widerstand gegen eine auch nach der ukrainischen Verfassung widerrechtliche Machtübernahme in Kiew entstand, die von der Putschregierung mit dem Einsatz vom Panzern, Kampfflugzeugen und Raketenwerfern beantwortet wurde. Mag ja sein, dass man als braves FDP-Mitglied davon nichts mitbekommen hat, aber ein wenig Recherchefähigkeit gehört zum Job des Staatsanwalts dazu.
Nun, es wird noch schöner. Denn schließlich gibt es ein völkerrechtliches Abkommen, das von Deutschland mit ausgehandelt und bezeugt und vom UN-Sicherheitsrat beschlossen wurde, die Minsker Abkommen. Übrigens war das erste Minsker Abkommen Teil des vom Sicherheitsrat beschlossenen Textes, nicht nur das zweite. Die Donezker Volksrepublik war Unterzeichner des Abkommens, und Minsk I wurde im September 2014 unterzeichnet, also noch vor jener Zeit, in der Dieter S. überhaupt in Donezk war. Wie kann eine Gebietsverwaltung, abtrünnig oder nicht, die für die Bundesregierung Ansprechpartner in Verhandlungen war, plötzlich zu einer terroristischen Vereinigung werden?
Wer die Minsker Vereinbarungen kennt, weiß, dass sie die Kiewer Regierung zu Verhandlungen mit der Donezker und der Lugansker Volksrepublik verpflichteten und dass das Ziel nicht nur eine Waffenruhe war, sondern ein Autonomiestatut für diese beiden Regionen mit voller Absicherung sprachlicher und kultureller Rechte. Dass diese Abkommen von Kiew nie umgesetzt wurden, da der erste Schritt nach der Waffenruhe eine Verfassungsänderung gewesen wäre, die ebendiese Autonomie ermöglicht. Und dass keine der wechselnden Merkel-Regierungen (oder die Ampel) auch nur den geringsten Druck auf Kiew ausgeübt hat, diese Vereinbarungen umzusetzen.
Man mag es noch für eine geopolitische Kapriole halten, jetzt aus dem damaligen Verhandlungspartner eine terroristische Vereinigung zu machen. Schließlich will man ja die Ukraine, egal, wie sehr sie mit Hakenkreuzen und SS-Runen um sich wirft, als "Demokratie mit europäischen Werten" um jeden Preis im Spiel halten, was tut das schon, wenn man dafür selbst die Erinnerung an etwas, das Diplomatie hätte sein können, so es denn ernst gemeint gewesen wäre, in die Tonne tritt? Aber da ist noch ein weiterer Punkt, der jedem halbgebildeten Juristen die Haare zu Berge stehen lassen müsste: der gute alte Satz "nulla poena sine lege", keine Strafe ohne Gesetz.
Wir reden immerhin um Handlungen, die fast zehn Jahre zurückliegen. Damals, im September 2014, gab es einen Anlauf innerhalb der EU, genau diesen Schritt zu tun – nämlich die beiden Volksrepubliken Donezk und Lugansk zu terroristischen Vereinigungen zu erklären –, der gescheitert ist. Der Grund ist bis heute nicht bekannt; damals hatte Wolfgang Gehrke ein Schreiben des Auswärtigen Amtes veröffentlicht, in dem die Rede davon war, sie über die dafür zuständige Geheimkommission der EU namens CP 931 in die Liste der terroristischen Vereinigungen aufzunehmen. Die Konsequenzen wären, gerade für die Möglichkeit, über die Vorgänge dort realistisch zu informieren, verheerend gewesen. Aber es passierte nicht.
Das normale Verfahren beim 129 b läuft also über diese CP 931. Steht eine Organisation erst einmal auf dieser Liste, kann das Bundesjustizministerium die Verfolgung nach diesem Paragrafen mit einer Ermächtigung in Gang setzen. Allerdings – es gibt keinen Eintrag für die DVR und die LVR. Marco Buschmann hat die Ermächtigung dennoch erteilt, sonst gäbe es diese Anklage nicht.
Es gibt nur einen entscheidenden Unterschied zwischen diesem Vorgang im Jahr 2015 und Buschmanns Ermächtigung heute. Wenn nämlich zehn Jahre danach plötzlich eine Struktur zur terroristischen Vereinigung erklärt wird, dann dürfte das im Grunde nur ab genau diesem Moment rechtliche Konsequenzen haben. Denn es ist einer der entscheidenden juristischen Grundsätze, dass jemand zumindest die Chance haben muss, zu wissen, ob er eine Straftat begeht, um dafür verurteilt werden zu können. Nachdem Glaskugeln bekanntlich nicht funktionieren und das Kämpfen für eine ausländische Armee in Deutschland nicht strafbar ist, sondern nur die Werbung dafür, wäre es geradezu großzügig, die Grundlage für diese Anklage dünn zu nennen.
Wahrhaft unheimlich an dieser Anklage ist jedoch das restliche Paket, das am § 129 b hängt. Denn sollte ein deutsches oberes Gericht zu der Entscheidung kommen, der 129 b sei auf die Volksrepubliken Donezk und Lugansk anwendbar, auch rückwirkend, dann würde diese Rückwirkung vermutlich nicht nur Dieter S. betreffen, und nicht nur die Tätigkeit für eine terroristische Vereinigung, sondern auch die Berichterstattung, humanitäre Hilfen, selbst das Zeigen der Fahnen der beiden Republiken. Das, was ich damals, im Herbst 2014, ausbuchstabiert hatte, würde immer noch zutreffen, und wenn das Rückwirkungsverbot schon nicht gilt, warum sollte dann Verjährung noch gelten?
Doch kommen wir noch einmal auf die Vergangenheit des Herrn Rommel zurück. Dieter S. soll, der Anklage zu Folge, "unter anderem im Winter 2014/2015 am Flughafen in Donezk sowie im Juni 2015 in der Kleinstadt Marinka" gekämpft haben. Wüsste Herr Rommel etwas mehr über den ukrainischen Bürgerkrieg, wüsste er auch, dass auf der Gegenseite gerade am Flughafen Donezk gerade zur Jahreswende 2014/15 das Gegenüber nicht die reguläre ukrainische Armee war, sondern gewisse Einheiten, die einer gewissen Ideologie anhängen, die Herrn Rommel aus seiner vorhergehenden Tätigkeit bekannt sein sollte. Es gab damals ein Video, das die Einheit, die am Donezker Flughafen kämpfte, Giwis "Somali", mit Gefangenen zeigte. Die Bild-Zeitung hatte das damals skandalisiert, weil Giwi einen der Gefangenen ohrfeigte. Allerdings hatte ebendieser Gefangene im Jahr zuvor für das ukrainische Parlament kandidiert – für den Rechten Sektor, auf Position 3.
Unmittelbar zuvor hatte einer der schlimmsten Terrorangriffe auf Donezk stattgefunden; mitten in der Stadt war ein Bus mit einer ukrainischen Granate beschossen worden, und es gab viele Tote.
Man kann, bezogen auf den Flughafen Donezk, der lange Zeit mit am schwersten umkämpft war, recht deutlich sagen, dass auf der anderen Seite – jener, die angeblich nicht "terroristisch" war, der Kiewer – wirkliche Nazis kämpften. Solche, die sich Hitler auf die Arme tätowieren lassen oder schwarze Sonnen und andere Formen von SS-Runen. Solche, die sich auch genauso verhalten wie ihre historischen Vorbilder. Die man, wenn man vier Jahre umgeben von den Ludwigsburger Akten verbracht hat, hundert Meter gegen den Wind erkennen müsste.
Rommel bringt es also nicht nur fertig, seine Rechtsvorstellungen weit in die Vergangenheit zu projizieren und vollkommen zu übergehen, dass niemand im Jahr 2014 hätte wissen können, dass ihm und seinem Chef Marco Buschmann im Jahr 2024 einfällt, aus der Donezker Volksrepublik eine terroristische Vereinigung zu machen, er schafft es auch noch, jemanden vor Gericht zu stellen, weil er gegen echte Nazis gekämpft hat. Gegen genau jene Nazis, die am 2. Mai 2014 das Massaker in Odessa verübten. Die Dutzende Videos mit Folter und Mord ins Netz gestellt haben, um sich ihrer Taten zu rühmen. Wie es die Originale aus den Jahren bis 1945 auch getan hätten, hätten sie diese Möglichkeit gehabt. Sie hatten sie nicht, also gibt es nur Schwarzweißfotos, auf denen sie posieren wie andere Kolonialherren neben ermordeten Eingeborenen.
Was sagte Rommel einst, vor bald zehn Jahren, in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung zu seinem Amtsantritt in Ludwigsburg?
"Ich sehe Deutschland nicht annähernd in der Verfassung wie damals, als der Staat seine Bürger nicht geschützt, sondern verfolgt hat. Aber wir müssen wachsam sein."
Nun, offenkundig hat er beschlossen, dass der sicherste Ort dann in den Reihen der Verfolger ist.
Um den Kreis zu schließen – bekanntlich gibt es derartige Videos wie vom Rechten Sektor heute auch aus der israelischen Armee. Insofern ist es zwar abscheulich, aber immerhin in sich logisch, wenn Rommel hier keinen Grund sieht, irgendwie rechtlich tätig zu werden. Vielleicht ist es ja nur der Dunst der Ludwigsburger Büroräume, der Staub der jahrzehntelangen, von Adenauer initiierten Haltung der gezielten Nichtverfolgung, der sich Rommels bemächtigt hat wie ein Poltergeist. Auf jeden Fall hat er sich mit seiner gekonnten, politisch dienstbaren Mischung aus Wegsehen und Verfolgungseifer klar als Marco Buschmanns Fachmann für Unrecht qualifiziert.
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