Von Olga Samofalowa
Laut Forbes wurde Gazprom als das unrentabelste Unternehmen Russlands des Jahres 2023 eingestuft. Russlands "Nationalschatz" verzeichnete in den letzten 25 Jahren nie einen Verlust, da das Unternehmen das Exklusivrecht hat, russisches Pipelinegas ins Ausland zu verkaufen. Das Jahr 2023 könnte jedoch als das schlechteste in die Unternehmensgeschichte eingehen.
Der Nettoverlust von Gazprom belief sich 2023 auf 583,1 Mrd. Rubel. Als Hauptgründe für den Verlust werden die Abschreibung von Vermögenswerten in Höhe von 1,15 Billionen Rubel und Währungsverluste in Höhe von 652 Milliarden Rubel genannt.
Zu den drei Spitzenreitern in der Rangliste der unrentabelsten Unternehmen in Russland gehörten neben Gazprom auch der Amur-Gas-Chemiekomplex, der von Sibur und der chinesischen Korporation Sinopec realisiert wird und noch nicht in Betrieb genommen wurde, sowie der Online-Marktplatz Ozon.
Wie kam es dazu, dass Gazprom im Jahr 2023 zum ersten Mal in den 25 Jahren seines Bestehens eine solche finanzielle Talsohle erreichte? Sergei Kaufman, Analyst bei der Finanzgruppe Finam, versucht eine Antwort:
"Gazprom gibt in seinen Jahresabschlüssen nicht an, welche nicht-finanziellen Vermögenswerte wertgemindert wurden, sondern weist nur darauf hin, dass das Gas-, Öl- und Stromgeschäft einschließlich der im Bau befindlichen Anlagen betroffen waren. Die Wertminderung betraf wahrscheinlich Felder, Gaspipelines und andere Infrastrukturen, die für den Export nach Europa bestimmt sind."
Der Verlust im Jahr 2023 sei vor allem darauf zurückzuführen, dass Gazprom alle Vermögenswerte abgeschrieben hat, die von den Europäern im Jahr 2022 beschlagnahmt wurden, sagt Igor Juschkow, Experte an der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation und des Nationalen Energiesicherheitsfonds (NESF).
Offensichtlich hatte sich Gazprom bereits im vergangenen Jahr damit abgefunden, dass es nicht in der Lage sein wird, diese Vermögenswerte wiederzuerlangen, und es keinen Sinn hätte, sie in der Bilanz auszuweisen. Dabei handelt es sich höchstwahrscheinlich um die Beteiligung von Gazprom an dem polnischen Unternehmen Europol, das den polnischen Abschnitt der Jamal-Europa-Pipeline betreibt. Außerdem geht es um das Unternehmen Gazprom Deutschland, das von den Deutschen beschlagnahmt wurde und viele Tochtergesellschaften von Gazprom in seinen Büchern hatte. Gazprom hat den Wert dieser Unternehmen abgeschrieben – und es wurde ein Verlust, so Juschkow.
Negative Wechselkursdifferenzen stünden im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch des Rubels im Jahr 2023, der im vergangenen Jahr jedes Unternehmen betraf, dessen Fremdwährungsverbindlichkeiten die Fremdwährungsaktiva überstiegen, bemerkt Kaufman.
Juschkow verweist seinerseits auch auf die Steuererhöhung um 600 Milliarden Rubel, die Gazprom im vergangenen Jahr zu zahlen hatte. Aber woher kamen diese zusätzlichen Steuern? Der Experte erklärt diesbezüglich:
"In den Jahren 2021 und 2022 machte Gazprom Supergewinne aus dem Gasverkauf in Europa, wo die Preise ab Mitte 2021 auf über 1.000 US-Dollar pro Tausend Kubikmeter stiegen und 2022 sogar auf mehrere Tausend US-Dollar anschwollen. Der Staat beschloss, diese Gewinne abzuschöpfen. Aber nicht durch Dividenden, sondern in Form von Steuern, weil das einfacher und schneller geht. Die Mineralgewinnungssteuer wurde für Gazprom erhöht, und es zahlt jeden Monat 50 Milliarden Rubel einfach als zusätzlichen Aufschlag, unabhängig davon, wie viel es gefördert hat. In einem Jahr werden so 600 Milliarden Rubel eingenommen."
Der Rückgang der Einnahmen aus Gasexporten nach Europa wirkte sich zweifelsohne auch auf die Verluststeigerung aus. Im Jahr 2021 lieferte Gazprom rund 150 Milliarden Kubikmeter Gas nach Europa; im Jahr 2022 gingen die Lieferungen zurück, allerdings bisher "nur" auf etwas mehr als 60 Milliarden Kubikmeter. Im ersten Halbjahr 2022 wurden noch große Mengen exportiert, doch im September erfolgte nach der Explosion der Nord-Stream-Pipelines ein starker Einbruch. Zugleich erreichten die Preise in der EU 2021 und 2022 unglaubliche Höhen, die den Mengenverlust kompensierten.
Im Jahr 2023 gingen die Exporte dann bereits auf 27 Milliarden Kubikmeter zurück, wobei auch die Gaspreise in der EU deutlich sanken (sie lagen zwischen 600 und 300 US-Dollar pro Tausend Kubikmeter). Und in diesem Jahr ist die Situation in Richtung Europa ähnlich, denn Gazprom liefert nur noch über zwei Routen – durch die Ukraine und über "Turkish Stream".
Der Umsatz von Gazprom (vor Verbrauchssteuern und Ausfuhrabgaben) aus allen Gasexporten sank im Jahr 2023 von zuvor 7,3 Billionen Rubel auf 2,9 Billionen Rubel. Der Rückgang der Einnahmen sei sowohl auf einen Rückgang der Exportmengen in die EU-Länder als auch auf eine teilweise Normalisierung der Gaspreise im Vergleich zu den ungewöhnlich hohen Preisen von 2022 zurückzuführen, bemerkt Kaufman.
Für 2024 sieht die Lage von Gazprom deutlich besser aus, aber wird es dem Unternehmen gelingen, nach einem so misslungenen Jahr 2023 wieder Gewinne zu erzielen?
"Gazprom erhöht die Pipeline-Gasexporte nach Europa um 3–6 Milliarden Kubikmeter auf 30–33 Milliarden Kubikmeter. Dabei wird der durchschnittliche Jahrespreis wahrscheinlich bei etwa 380–400 US-Dollar pro Tausend Kubikmeter liegen. Einige weitere Milliarden Kubikmeter werden nach Usbekistan geliefert, und China erhöht im Rahmen des Plans das Kaufvolumen via "Power of Siberia 2" – das bedeutet eine Steigerung um weitere 8 Milliarden Kubikmeter auf 30 Milliarden Kubikmeter. Das sind natürlich nicht die zig Milliarden Kubikmeter, die auf dem europäischen Markt verloren gegangen sind. Aber im Jahr 2024 wird es keine Abschreibung der europäischen Aktiva geben, auch wenn die erhöhte Mineralgewinnungsteuer weiterhin gelten wird", argumentiert Igor Juschkow.
Darüber hinaus gibt es den Binnenmarkt, auf dem der Gasifizierungsgrad bis 2030 auf 86 Prozent erhöht werden soll. Allerdings ist nicht damit zu rechnen, dass Gazprom durch die Versorgung russischer Regionen mit Gas ernsthafte Einnahmensteigerungen erzielt.
"Die inländische Gasifizierung ist ein sehr langsamer Prozess, hier gibt es kein großes Marktpotenzial. Das Ziel einer 86-prozentigen Gasifizierung bedeutet ein Wachstum von maximal 10 Prozent. Russlandweit bedeutet dies einige Dutzend Milliarden Kubikmeter, aber nicht Hunderte von Milliarden Kubikmetern zusätzlichen Gasbedarfs", erklärt der NESF-Experte.
In der ersten Hälfte des Jahres 2024 erzielte das Unternehmen bereits einen Nettogewinn von 1,1 Billionen Rubel. Sergei Kaufman:
"Gazprom meldete zwar recht gute Ergebnisse für das erste Halbjahr, aber man kann nicht sagen, Gazprom habe es geschafft. Am Ende des Halbjahres lag der bereinigte freie Cashflow des Unternehmens immer noch nahe Null, und der Nettogewinn in US-Dollar war deutlich niedriger als vor der Corona-Pandemie. Das Umsatzwachstum im Gassegment betrug nur 9,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, wobei der Hauptumsatzzuwachs aus dem Ölsegment infolge höherer Ölpreise auf Rubelbasis kam. Die Wiederaufnahme der Exportmengen in die EU von einem niedrigen Niveau Anfang 2023, die geplante Erhöhung der Lieferungen nach China und Zentralasien sowie ein schwächerer Rubel ermöglichten es nur, die niedrigeren Gaspreise zu kompensieren."
Experten schätzen die Chancen von Gazprom, im Jahr 2025 einen Gewinn zu erwirtschaften, als wesentlich höher ein. Im Jahr 2025 wird Gazprom wahrscheinlich nicht mehr den erhöhten Steuersatz der Mineralgewinnungssteuer, zumindest ist dieser Zuschlag im Haushaltsentwurf für 2025 nicht mehr enthalten, so dass die wirtschaftliche Komponente von Gazprom noch besser dastehen wird.
Freilich besteht das Risiko einer Verschlechterung der Lage, wenn Gazprom am Ende doch die Möglichkeit verliert, 15 Milliarden Kubikmeter pro Jahr durch die ukrainische Pipeline zu pumpen. Denn es gibt keine Möglichkeit, diese Mengen umzuleiten. Juschkow hofft jedoch, dass weder Europa noch die Ukraine davon profitieren werden und der Transit auch nach Auslaufen des Transitabkommens mit der Ukraine im Dezember dieses Jahres aufrechterhalten wird.
Nur die USA könnten hier Druck auf die Ukraine ausüben, seien aber noch nicht dazu gekommen. Der Transit könne auch ohne die Unterzeichnung eines zusätzlichen Handelsabkommens verlängert werden, wenn die Ukraine Kapazitäten für den Transit versteigert, meint Juschkow. Und Kaufman sagt:
"Ab 2025 wird Gazprom durch den Wegfall der zusätzlichen Mineralgewinnungssteuer in der Lage sein, einen positiven freien Cashflow zu erwirtschaften, so dass man sich um die finanzielle Situation dieses Gasgiganten keine Sorgen machen muss und im positiven Fall mit Dividenden rechnen kann."
Doch selbst wenn man die Pläne von Gazprom zur schrittweisen Wiederherstellung der Exporte berücksichtige, wird es für das Unternehmen in absehbarer Zukunft praktisch unmöglich sein, den US-Dollar-Gewinn des Jahres 2021 oder zumindest der Jahre 2018 und 2019 wieder zu erzielen, sagt der Experte bei der Finanzgruppe Finam und ergänzt:
"Was den Amur-Gas-Chemiekomplex betrifft, so befindet sich die Anlage noch im Bau, so dass von vornherein nur Kosten anfallen und kein Gewinn erzielt werden kann. Dies ist eine übliche Situation beim Bau von Großprojekten. Sibur geht davon aus, dass der Bau des Gas-Chemiekomplexes 2026–2027 abgeschlossen sein wird, und erst danach wird es sinnvoll sein, die finanziellen Ergebnisse des Projekts zu betrachten."
Beim Marktplatz Ozon, dem drittunrentabelsten in der Rangliste, seien die Verluste im Jahr 2023 auf hohe Expansions-, Marketing- und IT-Kosten sowie höhere Abschreibungen zurückzuführen, während im Jahr 2024 und darüber hinaus die Gewinne auch durch höhere Zinszahlungen belastet würden, betont Ignat Ivanow, Analyst bei der Finanzgruppe Finam. Und er schließt seine Ausführungen mit den Worten ab:
"Ozon verliert nicht gegen seine Konkurrenten, es ist der zweitgrößte Marktplatz in Russland und er wächst schneller als WB. Was die Verluste betrifft, so sind sie größtenteils auf die Strategie des Unternehmens zurückzuführen: zu wachsen, ohne auf die Rentabilität zu achten. Wenn die Unternehmensleitung beschließt, das Expansionstempo zu verlangsamen, werden die Kosten sinken, sodass ein Gewinn in Sicht ist. Die Entscheidung, wann Ozon einen Gewinn erzielen wird, liegt jedoch bei der Holdingleitung. Wir glauben, dass man nicht vor 2026 mit Gewinnen rechnen sollte."
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 4. Oktober 2024 zuerst auf der Seite der Zeitung "Wsgljad" erschienen.
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