Excel, Word, PowerPoint und Co. sind mittelmäßig. Weil sie aber allgegenwärtig sind, muss die reale Welt an ihre Mittelmäßigkeit angepasst werden. Doch der Abhängigkeit vom Mittelmaß können wir entkommen.
Jedes 33. Wort dieser sonntäglichen Ausgabe von Degitalisierung wird im Mittel mittelmäßig sein. Denn in dieser Ausgabe geht es um so mittelmäßige Software wie Microsoft Office. Es geht um mittleres Management und Abhängigkeiten und die Frage, wie wir aus dieser Mittelmäßigkeit wieder herauskommen. Und vor allem: Warum wir schnellstens aus der Abhängigkeit von mittelmäßigen Digitalisierungslösungen heraussollten. Und keine Sorge: Es geht nicht um den Begriff der „Digitalen Souveränität“, der nur mittelmäßig weiterhilft in diesem Kontext.
Aber eins nach dem anderen. Die Schlagworte Office, Clouds und Lobbyismus häuften sich in den vergangenen Wochen im Dunstkreis der öffentlichen Verwaltung. Da war die Bundesverwaltung, die mit einer „souveränen“ Microsoft-Cloud einerseits eine mittelmäßig saubere Lösung für die Verwendung von Microsoft Office in der Verwaltung schaffen wollte, dabei aber implizit die Abhängigkeit zu Microsoft weiter verstärken wird.
Dann kam das Bundeskartellamt, das die „überragende marktübergreifende Bedeutung“ von Microsoft würdigt und das Unternehmen eben nicht mehr nur als nur mittelmäßigen Marktteilnehmer sieht. Zukünftig wird die Behörde wohl strenger gegen die Praktiken des Unternehmens aus Redmond vorgehen.
Zuletzt folgte dann der Lobbyismus. Massiver Lobbyismus seitens Microsofts, wie ihn die Antworten auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Anke Domscheit-Berg (Linkspartei) offenlegten. Viele Treffen mit Ministerien und Bundesbehörden. Für Rahmenverträge in Milliardenhöhe. Im Gegensatz zur sonstigen Mittelmäßigkeit der Software-Lösungen ist das eher Spitzenklassen-Lobbyismus.
Empowerment für mittleres Management
Um genauer zu verstehen, warum Microsoft neben seiner Marktdominanz im Bereich der Betriebssysteme mit seinen mittelmäßigen Office-Softwarelösungen so mächtig werden konnte, empfiehlt sich ein Blick auf einen Werbespot für Microsoft Excel aus dem Jahr 1990. Er fasst hervorragend zusammen, warum sich mittelmäßige Lösungen wie Microsoft Excel speziell im mittleren Management so gut verkauft haben – bis zur vollkommenen Abhängigkeit von eben diesen mittelmäßigen Lösungen.
Eine Kurzzusammenfassung des Werbespots für Microsoft Excel:
Zwei Business-Typen, mittleres Management, haben eine wichtige Präsentation von Finanzzahlen beim Vorstand. Beide sind aber nicht vorbereitet. Business-Typ 1 ist in Panik, Business-Typ 2 bereitet auf seinem Notebook im Aufzug die Zahlen in Microsoft Excel noch schnell auf. Dank der integrierten Funktionen von Excel erhalten Sie noch während der Aufzugfahrt noch eine passable Darstellung von Zahlen mit logisch richtigen Werten. Am Ende steht eine mittelmäßige Tabelle mit 12 Zahlenwerten ohne tiefere Bedeutung oder Zweck.
Für das Jahr 1990 mögen die Funktionen des Officepakets noch wie Magie gewirkt haben. Weiterführen von Zahlenreihen, Drag-and-drop, fertige Designs, damit am Ende ganz mittelmäßige Tabellen schnell erstellt werden können. Kein digitales Meisterwerk, aber ganz mittelmäßig okay. Und irgendwie ganz bequem und schnell angelegt, fürs mittlere Management reicht es aus.
Inzwischen aber ist die Abhängigkeit von Microsoft-Produkten ein Problem. Mittleres Management kommt quasi nicht mehr weg von dem mittelmäßigen (Software-)Stoff, vor allem in oberen Verwaltungshierarchien im Bund und Ländern, aber nicht nur dort.
Mehr als dreißig Jahre später trommelt selbst die Spitzenbesetzung des Kanzleramts offensiv für die Aufrechterhaltung des Status quo an mittelmäßiger Office-Software von Microsoft. Kanzler Scholz, sonst im Digitalen eher so mittelmäßig aktiv, setzt sich höchstpersönlich für die „souveräne“ Office-Variante von Delos / SAP ein.
Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt mischt auch mit, indem er die Open-Source-Alternative openDesk als „den geladenen Colt auf die Brust Microsoft“ bezeichnet – so zumindest die Aussage auf einer Digitalveranstaltung der SPD im vergangenen Jahr. Am Ende geht es gar nicht darum, der gefährlichen Abhängigkeit von Microsoft zu entkommen, sondern schlichtweg nur noch um bessere Bedingungen für mittelmäßige Software.
Mutierte Gene
Grundsätzlich wirken manche Office-Software-Bestandteile heute gar nicht mehr so mittelmäßig. Excel ist inzwischen Turing-vollständig, damit universell programmierbar und laut Aussage von Microsoft „die weltweit am häufigsten verwendete Programmiersprache“.
Allerdings ist das in der Gesamtbetrachtung vielleicht nicht unbedingt die beste Idee, Excel zu einem universellen Werkzeug zu machen. Nach einer langfristigen Studie sind sehr, sehr viele Excel-Tabellen inkorrekt und enthalten teils schwerwiegende Fehler. Erkenntnis dabei: Das Empowerment beliebiger Angestellter, mittels einer Turing-vollständigen Programmiersprache irgendwas mit mittelmäßiger Qualitätssicherung anlegen zu können, ist nicht unbedingt von Vorteil. Speziell in kritischen oder teuren Anwendungen.
Im Jahr 2012 gingen JPMorgan 6,2 Milliarden US-Dollar wegen eines Copy-Paste-Fehlers zwischen Excel-Tabellen verloren. 2020 kamen in Großbritannien 16.000 Covid-Testergebnisse in Excel-Tabellen abhanden, weil durch die Längenbeschränkungen von Exceldateien alte Ergebniszeilen überschrieben wurden. Im gleichen Jahr mussten menschliche Gene umbenannt werden, damit deren Bezeichnungen nicht mit der Autoformat-Funktion von Excel kollidieren.
Excel, Word, PowerPoint und andere Microsoft-Produkte sind also digital so allgegenwärtig, dass die reale Welt an die mittelmäßige technische Leistungsfähigkeit von Office-Software angepasst werden muss.
Helfen würde hier die Erkenntnis, dass Excel zwar eine Art von Lösung sein kann, in den meisten Fällen aber nur eine mittelmäßige. Nur ist oftmals das mittlere oder obere Management seltsam stolz auf die in Excel, Word oder PowerPoint zusammengeklöppelten Lösungen. Nicht selten wird hier Mittelmäßiges durch den IKEA-Effekt psychologisch zu etwas Besonderem. Vielleicht nicht unbedingt besonders gut gemacht, vielleicht nicht unbedingt besonders schön umgesetzt, aber doch irgendwie als wertvoll angesehen von den Kreateur*innen, weil mittelmäßig selbst gemacht.
Elektrische Datenknäuel
Dabei sind Office-Dateien an sich eher eine Art elektrische Datenknäuel, aus denen eigentlich wichtige Daten nur sehr mühsam zu extrahieren sind. So mittelmäßig gut strukturiert sind deren Datenstrukturen. Klar, für mittleres Management, das schnell textliche Anweisungen oder individuelle Tabellen anlegen will, mag das funktionieren. Für das digitale Massengeschäft in der Verwaltung und Gesundheitswesen ist die hohe Durchdringung mit unstrukturierten Office- oder PDF-Dateien – ebenfalls lange vorangetrieben von Microsofts Konkurrenten Adobe – digitales Gift.
Die Hoffnung, dass „KI“ jetzt dabei hilft, diese Daten in unstrukturierten Datenformaten endlich digital nutzbar zu machen, ist nichts anderes als Ausdruck eines gerade einmal mittelmäßigen Verständnisses von Digitalisierung. Es ist ein Zeichen gleichzeitiger Ohnmacht gegenüber der eigenen strukturellen Abhängigkeit, aus der vermeintlich nur weitere digitale Magie helfen kann. Die Hoffnung, „KI in allen Bereichen“ des Gesundheitswesens einzuführen, auch im Bereich der Interoperabilität, ist das Eingeständnis, Digitalisierung nicht in der Tiefe verstanden zu haben. Zu bequem waren lange die mittelmäßigen Datenknäuel aus der Office-Welt.
Dass ausgerechnet jetzt Microsoft einer der Vorreiter im Bereich sogenannter Künstlicher Intelligenz sein will, der zusammen mit Partnern magisch aus unstrukturierten Datenknäuel wieder ganz andere sinnvolle digitale Anwendungen ermöglichen will, wirkt geradezu zynisch. Nicht nur mittelmäßig, sondern spitzenmäßig zynisch.
Natürlich gibt es diese magischen Produkte wie Office 365 oder Copilot zukünftig nur noch in Clouds oder exklusiv mit dem Betriebssystem des gleichen Herstellers, bei denen das Label „souverän“ zumindest das Gefühl vermitteln soll, volle Kontrolle darüber zu behalten.
Nieder mit dem Mittelmaß
Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass es nicht reichen wird, eine mittelmäßig bessere Alternative zu Microsoft Office zu schaffen, wie etwa die Delos Cloud. Auch keine „digital souveräne“ Open-Source-Alternative wie openDesk kann uns aus dieser digitalen Mittelmäßigkeit heraushelfen.
Den Weg aus dem Mittelmaß bereitet zuallererst die Schaffung von echter digitaler Kompetenz im mittleren Management, insbesondere in Verwaltung und Gesundheitswesen. Es braucht ein mittleres Management, das den KI-Sprachmodell-Hype von genuiner Digitalisierung trennscharf unterscheiden kann. Ein mittleres Management, das „KI“ nicht als ein weiteres Mittel zur Kostensenkung bei gleichzeitiger Verachtung der Kompetenzen von Grafiker*innen, Texter*innen oder Fotograf*innen sieht. Bloß weil deren Tätigkeiten jetzt mit irgendeiner Applikation vermeintlich schneller und billiger erledigt werden können, führt dies ja nicht zu irgendwas Besserem als Mittelmaß.
Aus einer digital mittelmäßigen Welt wird uns keine mittelmäßige „KI“ führen, sondern nur digitale Kompetenzen, die wir uns alle individuell erarbeiten müssen. Das Digitale und seine Abhängigkeiten in seiner Tiefe zu verstehen, wird uns keine „KI“ abnehmen können – und schon gar nicht Microsoft. Nieder mit dem Mittelmaß.
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